Präsidentin des Abgeordnetenhauses
Seit einem Jahr ist Cornelia Seibeld (CDU) Präsidentin des Abgeordnetenhauses und damit Chefin von 180 Mitarbeitenden. Familienfreundlicher und offener für alle Berliner sollte das Landesparlament mit ihr an der Spitze werden – hat das geklappt? Von Agnes Sundermeyer
Strammen Schrittes geht Cornelia Seibeld auf die Flügeltür des Plenarsaals zu. Es ist Donnerstagmorgen, gleich wird sie die 44. Sitzung des Parlamentes in dieser Legislaturperiode eröffnen. Meist sei das Routine - aber ein bisschen Anspannung ist auch immer dabei, räumt die 49-jährige Juristin ein: "Ich hoffe immer, dass wir reibungsfrei durch die Sitzung kommen, um einen reibungslosen Ablauf garantieren zu können. Dann bin ich abends zufrieden!"
Seibeld war fünf Jahre lang Vizepräsidentin. Als die CDU die Wahl gewann, fiel ihr die Entscheidung, sich zur Wahl zu stellen, nicht schwer: "Das war so: entweder ich gehe in eine hintere Reihe der Fraktion oder an die Spitze des Parlamentes!" Damit wurde Seibeld zur zweiten Frau an der Spitze des Abgeordnetenhauses, vor ihr hatte bisher als einzige die CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurien von 1991 bis 1995 das Amt inne. Aus der SPD waren es bisher immer Männer.
Im Plenarsaal drückt Seibeld um 10 Uhr morgens den Knopf vor sich auf dem Präsidiumstisch, ein Gong ertönt. Ihre wohl sichtbarste Aufgabe ist es, die Plenarsitzungen zu leiten. Dabei verpflichtet sie die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses zur politischen Neutralität. Seibeld kündigt Redner an, verliest die Tagesordnung – und achtet auf den Debattenton. Die geringe Zahl ihrer Ordnungsrufe zeigt, dass sie dabei deutlich toleranter als ihre Vorgänger ist.
Zwei "gelbe Karten" hat sie erst verteilt, im ganzen Jahr. Unter ihrem langjährigen Vorgänger Ralf Wieland waren es zuletzt 39 in fünf Jahren. Der Ton sei über die Jahre rauer geworden, so Seibeld. Aber sie findet "lebendige Debatten gut, besser als langweilige". Und da schlügen Rednerinnen und Redner auch mal über die Stränge – und das teilweise durchaus kalkuliert. "Über jedes Stöckchen sollte man als Präsidentin aber nicht springen. Die Würde des Parlamentes muss gewahrt bleiben und dann ist es eine Ermessensentscheidung."
Auch in dieser Sitzung wird die CDU-Politikerin nur eine Rüge erteilen: Als die AfD-Abgeordnete Jeannette Auricht in Richtung der Grünen und Linken "Ach, halten sie doch den Mund!" ruft, lässt Seibeld sie ihre Rede erstmal beenden – und rügt dann, mit dem für sie typischen, strengen Gesichtsausdruck: "Frau Auricht, ich halte den Satz 'Ach halten sie doch den Mund' für kein Mittel der parlamentarischen Auseinandersetzung!"
Seibeld ist Chefin von 180 Mitarbeitenden. Angetreten ist sie mit zwei Schwerpunkten: Den Arbeitsalltag familienfreundlicher machen und das Parlament "öffnen". 155 Schulen haben ihre Mitarbeiter schon angeschrieben und einen Besuch im Parlament angeboten. Außerdem lädt sie zu jeder Sitzung Mitarbeiter/Vertrerinnen und Vertreter von Polizei und Feuerwehr auf die Besuchertribüne.
Auch an diesem Plenartag nimmt sie sich Zeit für einen Austausch mit Polizeischülern. Als einer über das niedrige Ausbildungsgehalt und seine hohe Miete klagt, reagiert Seibeld kühl: "Im normalen Leben bin ich Rechtsanwältin und da sage ich auch: Lehrjahre sind keine Herrenjahre."
Cornelia Seibeld ist selbst Mutter eines 13-jährigen Sohnes. Um die Arbeit im Abgeordnetenhaus familienfreundlicher zu machen, hat sie zwei feste Home-Office-Tage pro Woche eingeführt und setzt so wenige Abendveranstaltungen wie möglich an. Aber da "ist noch Luft nach oben", gibt sie zu. Nur sei der öffentliche Dienst sehr starr. Dass sich Eltern bei einem leicht erkrankten Kind gleich ganz krank melden müssten, anstatt im Homeoffice weiter arbeiten zu können, "das kann ich nicht nachvollziehen", schüttelt Seibeld den Kopf.
Unter den Abgeordneten gilt die Juristin als sehr konservativ, streng, aber fair. Fragt man Parlamentarier, stellt niemand Seibelds Neutralität als Präsidentin in Frage. Die Grünen-Politikerin Marianne Burkert-Eulitz kennt Cornelia Seibeld schon lange, beide sind Mitglieder im Präsidium. Strenger in der Führung der Sitzungen sei Seibeld gar nicht, so Burkert-Eulitz, aber "straffer organisiert". Und wenn es in der Verwaltung "mal nicht so schnell geht, kann man mit persönlichen Anliegen auch zu ihr kommen und sie kümmert sich."
Das Parlament öffnen, das heißt für Seibeld auch, Menschen mit Beeinträchtigungen in den Politikbetrieb miteinzubeziehen.
Deshalb ist sie zu Besuch bei der Factura-Werkstatt in Mitte. Hier werden Unterlagen aus dem Archiv des Abgeordnetenhauses digitalisiert, von Menschen mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen. Seibeld schaut sich an, wie vergilbte Ausschussunterlagen von 1975 per Scanner digitalisiert werden. Mit spürbarem Stolz legen die Mitarbeiter die alten Dokumente auf die Scanner-Scheibe.
"Bei der Sichtbarkeit von Menschen mit Beeinträchtigungen haben wir alle Nachholbedarf. Mir ist es wichtig, dass das Abgeordnetenhaus für alle da ist, und dass diese Menschen sichtbar sind." Zwischen den Scannern verspricht Seibeld den Werkstatt-Verantwortlichen einen regelmäßigen Praktikumsplatz im Abgeordnetenhaus. Ins direkte Gespräch mit den Menschen mit Beeinträchtigung kommt sie an diesem Vormittag aber nicht. Sie wolle bei der Arbeit "lieber nicht stören".
Bis zum Ende der Legislatur liegen noch zweieinhalb Jahre Präsidentschaft vor der CDU-Politikerin. Durch den Ausbruch des Krieges in Gaza ist für diese Zeit noch ein Anliegen dazu gekommen. Der Kampf gegen den Antisemitismus sei ihr nun noch mehr zur politischen Aufgabe geworden. Als ein Ausdruck dessen hat sie Aufnahmen des israelischen Fotojournalisten Ziv Koren vor dem Plenarsaal aufhängen lassen.
"Antisemitismus ist ein Angriff auf die Demokratie und damit auch auf den Parlamentarismus, den gilt es zu schützen." In dieser Frage gibt es für Seibeld keine politische Neutralität.
Sendung: rbb24 Abendschau, 16.03.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Agnes Sundermeyer
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