Untersuchungsausschuss
Hätte die Anschlagsserie in Berlin-Neukölln schon vor Jahren aufgeklärt werden können? Wie ein Ermittler vor dem Untersuchungsausschuss aussagte, gab es schon 2012 Anhaltspunkte und konkrete Verdächtige. Von Christoph Reinhardt
Im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Serie von rechtsextremen Straftaten in Neukölln haben am Freitag zwei weitere Ermittler ausgesagt. Nach einem Höhepunkt der Serie im Jahr 2012 habe es bereits gute Anhaltspunkte gegeben, um die Täter zu ermitteln, berichtete der zuständige Sachbearbeiter des polizeilichen Staatsschutzes. Die Staatsanwaltschaft habe die Beweise aber nicht akzeptiert.
Sachbearbeiter Lars M. hatte die Anschlagsserie im Juni 2012 übernommen. Der Zusammenhang mit der Neuköllner rechten Szene habe auf der Hand gelegen - auch konkrete Tatverdächtige habe man schnell im Blick gehabt, sagte er. Nur ein rechtlich tragfähiger Beweis sei das Problem gewesen. In einer Oktobernacht hatten die Täter gleich an mehreren Stellen handschriftlich die Internet-Adresse der Szene-Seite "nw-berlin" geschmiert - mit einer ungewöhnlichen Schreibweise des Buchstabens "n", berichtete der Ermittler. Man habe sich erst Schriftproben des Verdächtigen besorgt und habe bei einer Durchsuchung in dessen Mietshaus Bitumen und leere Gläser gefunden, wie sie bei anderen Schmierereien verwendet worden waren. "Ich war auf einem guten Weg, aber die Staatsanwaltschaft hat die Verfahren eingestellt."
Dass der Polizei von den Betroffenen der Serie später fehlendes Engagement gegen rechts vorgeworfen wurde oder sogar absichtlich schlampige Ermittlungsarbeit aus Sympathie für die rechtsextreme Szene, wurmt Lars M. auch zwölf Jahre später sichtlich. Einige Ungereimtheiten früherer Zeugenaussagen kann er aufklären. So hatte eine Zeugin im Ausschuss den Eindruck erweckt, die Polizei habe den Einsatz von Sprengstoff vertuschen wollen. Ihr gegenüber sei nur von einem Böller die Rede gewesen - erst aus den Akten habe sie erkennen können, dass im Labor Sprengstoff nachgewiesen wurde.
Für Lars M. war dies aber gerade kein Vertuschungsversuch, sondern ein polizeilicher Kunstgriff, um eine Observierungsmaßnahme beantragen zu können. Weil der Briefkasten der Zeugin mit einem in Deutschland nicht zugelassenen sogenannten Polenböller zerstört worden sei, habe er statt einer einfachen Sachbeschädigung auch das "Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion" geltend machen können.
Durch gute Kontakte zu seiner alten Dienststelle sei es ihm sogar gelungen, schnell eine Kamera im leerstehenden Haus gegenüber installieren zu lassen, so Lars M. weiter. Dass sie keine beweiskräftigen Bilder lieferte, habe er sehr bedauert. Dies habe wohl auch daran gelegen, dass ausgerechnet während des kurzen genehmigten Observationszeitraums der rbb und andere Sender mit ihren Kamerateams in der Hufeisensiedlung ständig über die Serie berichtet und sich die Täter darum zurückgehalten hätten.
Dass aus heutiger Sicht der Kontakt zu den Opfern damals "in großem Maß verbesserungswürdig" gewesen sei, räumte als weiterer Zeuge der vorgesetzte Kommissariatsleiter Ralph Peter W. ein. Systematische Opferbetreuung im heutigen Sinne habe es damals nicht gegeben. Persönliche Gespräche mit den Betroffenen über die reinen Ermittlungsfragen hinaus seien damals nicht als Teil der Aufgabe betrachtet worden und an den ermittelnden Sachbearbeitern hängen geblieben. Je nach Arbeitsbelastung hätten diese dafür oft aber nur wenig Zeit gehabt.
Auch bei der Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft bestätigte W. "große Konflikte hinsichtlich der Bewertung". Man habe viele Sachbeschädigungen und Brandstiftungen zusammengeführt und ausdrücklich als Serientat übergeben. Die Staatsanwaltschaft habe die Serie wieder auseinandergerissen, auf mehrere Sachbearbeiter verteilt und einzeln eingestellt. Man habe zwar protestiert, aber letztlich nichts ändern können. "Das wurde durchaus hinterfragt, aber da lässt sich die Staatsanwaltschaft nicht in die Karten gucken", so der Kommissariatsleiter.
Welche Rolle die Staatsanwaltschaft genau spielte, will der Ausschuss in einem nächsten Abschnitt seiner Untersuchung herausfinden. Für die nächste Sitzung im März werden zunächst noch der damalige Polizeipräsident Klaus Kandt und seine Nachfolgerin Barbara Slowik als Zeugen vorgeladen. Mit diesen beiden Vernehmungen will der Ausschuss die Untersuchungsarbeit der Polizeibehörden vorläufig abschließen.
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Beitrag von Christoph Reinhardt
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