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Quelle: picture alliance/Jörg Carstensen

Unruhe bei Berliner Grünen

Die Wunden sind noch nicht verheilt

Im Dezember hätten sich Berlins Grüne fast selbst zerlegt: Eine Vorsitzkandidatin wurde vom Hof gejagt, Teile des Kreisverbands Mitte des Mobbings bezichtigt. Inzwischen gibt es ein neues Vorsitz-Duo, echter Frieden ist aber nicht eingekehrt. Von Angela Ulrich

Das Colosseum-Kino in Berlin-Pankow - es ist Freitagabend vor einer Woche, als der Realo-Flügel der Berliner Grünen zu einem internen Treffen einlädt. Bettina Jarasch, die Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, und Parteivorsitzende Nina Stahr, beide Realas, wollen nach vorn gucken. Aber erstmal geht der Blick vor allem zurück, erzählen Teilnehmende. Dahin, wo die Wunde weiter schmerzt bei den Grünen - zum letzten Landesparteitag im Dezember.

Damals, als die Grünen auch im Vorfeld eine Bühne geboten hatten für alles, was eine Partei eigentlich nicht braucht: Intrigen, Verleumdungen, ein "Offener Brief", Vorwürfe, ein Wahldebakel. "Das war wirklich keine Glanzleistung. Dafür habe ich mich auch bereits entschuldigt, da hätten wir Grüne anders agieren müssen", sagt Nina Stahr, die kurz nach dem verhängnisvollen 9. Dezember 2023 zur Co-Vorsitzenden der Grünen gewählt worden war. Nachdem Tanja Prinz als Kandidatin aus dem Realo-Flügel durchgefallen war.

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Vorwürfe von Einschüchterung und psychischem Druck

Tanja Prinz, Bezirkspolitikerin aus Tempelhof-Schöneberg, hatte den Parteitag am Ende unter Tränen verlassen, nachdem sie in drei Wahlgängen krachend gescheitert war. Dabei hatte sich Prinz vorher in einer internen Realo-Abstimmung als Kandidatin für die Grünen-Doppelspitze durchgesetzt, gegen die bisherige Parteivorsitzende Susanne Mertens. Auch, weil Prinz die volle Unterstützung der gut organisierten Realo-Gruppierung "GR @M" hatte. Prinz-Kritiker warfen der Strömung allerdings vor, dabei unlautere Methoden angewandt zu haben: Neun von zwölf Berliner Grünen-Kreisvorstände prangerten das damals in einem "Offenen Brief" an - die "GR @M"-Strömung "schüchtere Mitglieder ein" und setze sie "psychisch unter Druck" war da im Brief zu lesen, von einer "Kultur des Misstrauens" schrieben die Verfasser.

"GR @M" steht für "Grüne Realos und Realas in Mitte" - eine Gruppierung innerhalb der Realos, die sich als deutlich bürgerlicher als die Realo-Funktionärsebene der Grünen verortet, und ein klareres Gegengewicht zu den Parteilinken bilden will. Sie hatten sich ursprünglich als kleine Gruppe im Bezirksverband Mitte zusammengetan. Inzwischen haben sich Grünen-Mitglieder aus vielen Teilen Berlins in die digitale Kontaktliste der Gruppe aufnehmen lassen. Weil sie in dieser Strömung eine "offene und konstruktive Diskussionskultur wahrnehmen", die ihnen sonst bei den Grünen fehle, sagen einige, die in der Mailingliste aktiv sind – kooperativ, demokratisch, "sie gönnen sich gegenseitig was".

Neben Neumitgliedern zählen sich auch altgediente Grüne zur "GR @M"-Strömung, wie Marianne Birthler, Ramona Pop, Ralf Fücks - und auch einer der Mitbegründer von Bündnis 90 in Berlin, Uwe Lehmann, findet Gefallen an der Gruppierung: "Da scheint sich eine sehr konstruktive Grundhaltung versammelt zu haben, hinter diesem komischen Namen", sagt Lehmann, der Anfang der 90er Jahre Fraktionschef der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus war.

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Aufarbeitung nach offenem Brief gefordert

Doch es gibt Gegenwind gegen die "Grünen Realas und Realos in Mitte" - erwartbar im linken Flügel der Grünen, aber auch innerhalb des Realo-Lagers. Sie seien "inhaltlich nicht relevant" und "inszenieren sich selbst als Opfer", sagt ein Mitglied eines Kreisvorstands, das seinen Namen nicht nennen will. Wozu brauche es überhaupt verschiedene Strömungen innerhalb des Realo-Flügels? Vor allem der damalige "Offene Brief" gegen die "GR @M" ist weiter eine Wunde in der Partei, die nicht verheilt ist. Es müsse dringend aufgearbeitet werden, was an den Vorwürfen von damals dran war und was nicht, sagt sagt Silke Gebel. Die Abgeordnete und frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen ist eine der führenden Köpfe des Realo-Flügels. "Dabei gilt die Unschuldsvermutung", so Gebel.

Aus dem grünen Kreisverband Berlin-Mitte kommen schärfere Reaktionen, auch heute noch: "Die im ‚Offenen Brief‘ enthaltenen Vorwürfe sind haltlos und waren machtpolitisch motiviert. Sie sollten dazu dienen, engagierte Mitglieder und Tanja Prinz zu diskreditieren, um inhaltliche Debatten um die Ausrichtung des Landesverbands zu verhindern", heißt es aus dem Kreisverband. Bis heute hätten die Autorinnen und Autoren die Vorwürfe nicht unterlegt, geschweige denn bewiesen oder sich dafür entschuldigt.

Inzwischen haben die neun Kreisverbände den kritisierten Brief von ihren Internet-Seiten gelöscht. "Aber es sind Verletzungen geblieben", sagt nicht nur Gebel. Co-Parteichefin Nina Stahr führt viele Gespräche: mit denen, die den "Offenen Brief" verfasst hatten, mit Vertretern des Kreisverbands Mitte, mit anderen Kreisverbänden. "Da sind schon einige Schritte gemacht", sagt Stahr. "Gleichzeitig ist klar, dass wir über Strukturen sprechen müssen, dass sich sowas nicht wiederholt." Sie nehme einen großen Willen der Partei wahr, "dies aufzuarbeiten und gemeinsam nach vorn zusammenzuarbeiten".

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Neben den vorhandenen Beschwerdestellen wie einem Schiedsgericht und einer Ombudsstelle wollen die Grünen als Konsequenz aus dem Vorfall noch einen zusätzlichen Anlaufpunkt für Mobbingopfer schaffen. "Da gucken wir genau, wo müssen wir gegebenenfalls ergänzen, um eine Lücke zu schließen", sagt Nina Stahr, "um alle Probleme im zwischenmenschlichen Bereich gelöst zu bekommen."

Aber geht es wirklich nur um den "zwischenmenschlichen Bereich"? Durch die Querelen um den Dezember-Parteitag sind tiefe Risse bei den Berliner Grünen sichtbar geworden. Vor allem im Realo-Lager. Da sind die, die den Konsens suchen mit dem linken Flügel, der die Partei dominiert. "Der Kompromiss ist für mich das Fundament unserer Demokratie", sagt die Reala Silke Gebel. Allerdings müsse man als realpolitische Strömung schon wissen, wofür man den Kompromiss macht – da sieht Gebel noch "Hausaufgaben" für die Realos. Sie wünscht sich einen "realpolitischen Inhaltskongress", um festzuzurren, wofür die Realos stehen.

Andere, wie Uwe Lehmann, haben einen kritischeren Blick: "Die Realos stellen kein Gegengewicht zum linken Flügel mehr dar, wie früher", sagt der ehemalige Fraktionschef. Im Einzelfall sei parteiinterne Kooperation gut und richtig, aber "wenn sie zum Prinzip erklärt wird, dann ist die Partei tot, weil dann der Mächtigere keine Rücksicht mehr nimmt". Sprich: sich der linke Parteiflügel regelmäßig durchsetzt. Den "Offenen Brief" gegen die "GR @M"-Strömung vor dem krachenden Scheitern von Tanja Prinz auf dem letzten Parteitag nennt Lehmann eine "brutale und schamlose Machtdemonstration" von deren Gegnern.

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Erste positive Schritte sind aber getan. Da sind sich Lehmann und Parteichefin Stahr einig. Der Austausch beim Realo-Treffen im Colosseum-Kino in Pankow sei offen und konstruktiv gewesen: Teilnehmende berichten von einer "würdigen Veranstaltung", einem "guten Aufschlag". Eine Kreisvorsitzende, die den "Offenen Brief" gegen die "GR @M" im Dezember mitunterzeichnet hatte, habe sich dafür explizit entschuldigt, viele andere die Aktion als "Fehler" bezeichnet. Die Realos wollen Ende kommender Woche eine Gruppe von Koordinatorinnen und Koordinatoren wählen, die dann im eigenen Flügel vermittelnd eingreifen sollen, wenn nötig. Silke Gebel möchte eine von ihnen werden, genau wie der frühere Datenschutzbeauftragte Peter Schaar. Auch aus dem Parteinachwuchs soll es Kandidat:innen geben.

Gerade angesichts des aktuellen Mitgliederzuwachses sei es wichtig, verlässliche Politik zu machen, sagt Gebel. Mehr als 13.000 Mitglieder haben die Grünen aktuell – mehr denn je. Parteichefin Stahr nimmt das als "Rückenwind" wahr, als Interesse an der Partei. Ja, sagt auch Gebel, spricht aber auch von "gewissen Wachstumsschmerzen" der Grünen. Eine Menge neuer Leute seien in den letzten Jahren eingetreten, während Robert Habeck und Annalena Baerbock die Partei im Bund geprägt hätten: "Mit so deutlich mehr Mitgliedern müssen wir unsere Diskussionsformate stärker unterbauen, da sind aber Flügel nur ein Ort, die Partei macht das Angebot als ganzes für die Stadt."

Beim nächsten Parteitag am 4. Mai wollen die Grünen nach vorn gucken. "Wir wollen vor allem darüber reden, was es braucht, um die Demokratie zu stärken", sagt die Co-Vorsitzende Stahr. Und sich für die Europawahl im Juni fit machen - als geeinte Partei. Ob das funktionieren wird, hängt auch davon ab, wie glaubwürdig die Grünen jetzt ihre Wunden heilen.

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