Neue Zentralstelle soll koordinieren
Zu wenige Sirenen, viele Trinkwasserbrunnen nicht einsatzbereit - in Sachen Zivilschutz sei zuletzt "einiges aus dem Blick geraten", räumt die Innenverwaltung ein. Am Montag besprachen Experten, was in Berlin nun unternommen werden muss.
Der Senat sieht deutlichen Nachholbedarf beim Bevölkerungsschutz und will vorhandene Lücken durch eine neue Zentralstelle schließen. Seit 1990 seien Zivil- und Katastrophenschutz "etwas aus dem Blick geraten", konstatierte Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) am Montag im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Berlin befinde sich zwar "nicht mehr ganz am Nullpunkt", müsse aber besser werden.
Unter anderem will der Senat eine Zentralstelle in der Innenverwaltung schaffen, um die Zuständigkeiten von insgesamt 37 unterschiedlichen Behörden enger zusammenzuführen. Mit dem Aufbau ist eine Projektgruppe unter der Leitung des langjährigen stellvertretenden Landesbranddirektors Karsten Göwecke beauftragt.
Neben dem Krisenmangement im Katastrophenfall soll das künftige Katastrophenschutz-Zentrum auch Logistik und Krisenkommunikation sicherstellen, sagte Göwecke den Abgeordneten. Die neue Stelle befinde sich im Aufbau, in diesem und im nächsten Jahr sind zunächst 24 Stellen vorgesehen.
Dass Berlin in vielen Bereiche nicht den selbstgesteckten Ansprüchen genügt, machte Lichtenbergs Katastrophenschutzbeauftragter Philipp Cachée deutlich. So gebe es in Lichtenberg derzeit gut 90 Trinkwasserbrunnen, um im Notfall die Bevölkerung zu versorgen, von denen rund die Hälfte im Bundes- bzw. im Landesbesitz seien. Davon seien aber 24 nicht einsatzbereit. Statt der gesetzlich vorgesehenen 15 Liter pro Person stellten diese Brunnen in Lichtenberg gerade einmal knapp 8 Liter pro Person zur Verfügung. Der Senat plant, die Zuständigkeit für die Brunnen künftig landesweit bei den Berliner Wasserbetrieben zusammenzuführen.
Dass sich der geplante Aufbau von insgesamt 411 Sirenen weiter verzögert, erklärte Staatssekretär Hochgrebe den Abgeordneten unter anderem mit Liefer-Engpässen und Fachkräftemangel der beauftragten Firmen. Zuletzt seien 218 Sirenen montiert worden und größtenteils funktionsfähig, 46 Sirenen seien noch im Abnahmeprozess. Für eine flächendeckende Beschallung des Stadtgebiets werde aber der selbst der geplante Vollausbau nicht ausreichen, sagte Hochgrebe. Dazu seien schätzungsweise 580 Sirenen erforderlich. Sirenen seien lediglich ein ergänzendes Warnmittel, sagte Hochgrebe, und wirkten zusammen mit den Warn-Apps "Nina" und "Katwarn" sowie der Cell-Broadcast-Mobilfunkwarnungen und dem Rundfunk.
Dass neben den Vorkehrungen gegen Katastrophen auch der Zivilschutz im Kriegsfall eine stärkere Rolle spielen müsse, machte der Bundeswehr-Landeskommandeur für Berlin, Jürgen Uchtmann, deutlich - am Beispiel der ukrainischen Hauptstadt. Kiew sei selbst keine Frontstadt, müsse aber aufgrund ihrer Verletzlichkeit und politischer Erpressbarkeit erhebliche Aufwendungen für die zivile Verteidigung erbringen.
Auch in Berlin müsse darum gehen, im Rahmen einer Gesamtverteidigung die Bevölkerung widerstandsfähig zu machen. So dürfe sich Berlin nicht nur mit Trinkwasserversorgung aufhalten, sondern auch die Abwasserversorgung im Blick behalten - die Seuchengefahr durch Cholera könne andernfalls die Folgen der Corona-Pandemie um ein Vielfaches übersteigen.
Professorin Brigitta Sticher von der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin) begrüßte zwar die Bemühungen des Senats, mit den sogenannten "Katastrophenschutz-Leuchttürmen" in den Bezirken eine dezentrale Struktur aufzubauen. "Aber wir sind erst auf der Hälfte des Wegs, das Wichtigste fehlt noch, nämlich die Einbindung der Bevölkerung." Bei der internationalen Erforschung von Katastrophen weltweit habe sich gezeigt, dass Behörden und Hilfsorganisationen schnell an ihre Grenzen stießen. Die Bewältigung sei ohne die Mitwirkung der Bevölkerung nicht zu denken.
Die Hilfsbereitschaft sei regelmäßig viel höher als erwartet, könne aber durch Maßnahmen gefördert oder auch gekippt werden. Entscheidend sei, die lokalen Netzwerke in den Kiezen einzubinden. Dabei sei Berlin noch nicht gut aufgestellt. Die Bezirke planen nach Angaben des Senats derzeit 37 Katastrophenschutz-Leuchttürme und insgesamt weitere 147 durch Ehrenamtliche besetzte Katastrophenschutz-Informationspunkte. Bisher in Betrieb seien derzeit allerdings erst 12 der 37 Kat-Leuchttürme, räumte Innenstaatssekretär Hochgrebe ein.
Sendung: rbb24 Abendschau, 18.03.2024, 19:30 Uhr
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