Interview | Oppositionelle Russin in Berlin
Die Gruppe "Demokrati-JA" besteht aus Russen, die sich als Opposition zu Wladimir Putin verstehen und sich mit der Ukraine solidarisieren. Natascha Ivanova lebt in Berlin und zur Russland-Wahl will sie - auch wenn sie das in Gefahr bringt - hier aktiv werden.
rbb24: Hallo Frau Ivanova. Sie sind sehr aktiv. Man kennt ihren Namen, an ihrer Jacke ist ein Button mit der Aufschrift "Russians against war" – Russen gegen den Krieg – zu sehen. Was ist ihre Motivation, weiter auf die Straße zu gehen - und haben Sie eigentlich Angst?
Natascha Ivanova: Die Option es nicht zu machen, ist gar keine. Wir sind überzeugt, dass wir jetzt handeln müssen. Das hat uns der umgekommene Alexej Nawalny auch als Vermächtnis hinterlassen. Es war uns allerdings auch vorher klar, dass wir irgendetwas tun müssen. Das jetzt auszusitzen, hilft gar nichts. Angst spielt eine Rolle, aber sie hindert uns nicht daran, jetzt wirklich weiterzumachen. Meine größte Angst ist, dass Putin - das Böse in Reinform - gewinnen könnte.
Was erleben Sie? Gibt es überhaupt einen Dialog zwischen Menschen, die wahrscheinlich pro Putin sind und denen, die ganz klar gegen ihn sind? Und gibt es einen Dialog in Berlin in der russischen Community?
Wir machen sehr viele Straßenaktionen und das ist tatsächlich der Raum, wo man überhaupt eine Chance hat, auf die andere Seite zu treffen. Das Netz ist mehr oder weniger in Blasen aufgeteilt - da ist man nur unter sich. Da gibt es natürlich auch Hasskommentare und alles Mögliche.
Auf der Straße kommen wir dann manchmal in Berührung. Heftig war das zum Beispiel im Mai zum Tag des Sieges. Da sind bei den Berliner Kriegsgedenkstätten traditionell sehr viele Russland-Patrioten unterwegs. Ob wir die Menschen, die konfrontativ auftreten, erreichen können, kommt drauf an. Es gibt Leute von der Gegenseite, die richtig fest überzeugt sind. Sie anzusprechen bringt wahrscheinlich nicht mehr viel. Es gibt aber ganz viele, die unentschieden sind, für die alles irgendwie nicht eindeutig ist. Die müssen wir abholen. Bei denen haben wir noch eine Chance.
Wie machen Sie das dann?
Es ist uns wichtig, dass wir sichtbar sind, dass wir hohe Präsenz zeigen. Wir sind nicht nur da, sondern wir zeigen auch unsere Symbole. Also die ukrainische und die weiß-blau-weiße Flagge.
Die politischen Gefangenen sind für uns ein wichtiges Thema, die müssen wir unterstützen. Das ist jetzt noch aktueller geworden, also jetzt nach dem 16. Februar. Was passiert mit denen, die immer noch in Putins Geiselhaft sind? Wir versuchen so oft wie möglich, sie zu zeigen, das Thema anzusprechen – also zu erzählen, dass es sie gibt und unter welchen Bedienungen sie dort gehalten werden. Und wie das überhaupt kommt, dass sie so zahlreich dort sind.
Wie sind die Reaktionen darauf? Wie reagieren Pro-Putin-Russen auf das, was Sie dann sagen?
Ich würde jetzt gerne ein Beispiel bringen, wo wir tatsächlich jemanden auf unserer Seite gezogen haben. Aber so eine Story kann ich jetzt leider nicht bieten. Wir machen es natürlich trotzdem. Aber wir wissen nicht, welche Langzeitfolgen das hat. Aber die Leute sehen das. Dadurch wissen sie, dass es nicht nur die gibt, die Putin befürworten. Wir machen es aber nicht nur für sie. Wir machen das auch für die deutschen Mitbürger und Mitbürgerinnen, auch die müssen es wissen. Auch denen ist es wichtig zu sehen, dass es Russen gibt, die gegen den Krieg sind.
Gehen Sie zur Wahl?
Ich werde hingehen. Weil wir eine Aktion machen werden unmittelbar vor der Botschaft. Wir werden also den ganzen Tag da sein. Ich werde wahrscheinlich sogar reingehen und den Wahlzettel irgendwie ungültig machen. Es war schon immer ein Zettel, auf dem man sich kreativ austoben konnte. Man hat verschiedene Sachen draufgeschrieben und ist es jetzt das naheliegendste, dass man hingeht und "Nawalny" draufschreibt. Meine einzige Sorge ist, dass die Wahlzettel automatisch ausgewertet werden. Denn wenn nicht - wenn das die Wahlkommissionsleute sehen - dann ist schon ein bisschen erreicht.
Putin wird denken, dass er diese Wahl gewonnen hat. Das Endergebnis steht jetzt schon fest. Irgendwo zwischen 76 und 80 Prozent nehme ich an. Er wird dieses Ergebnis auf dem Silbertablett präsentiert bekommen. Aber es gibt ganz viele Leute, die bei dieser Show und bei den Wahlfälschungen beteiligt sind und die kriegen das unmittelbar mit. Das ist nicht viel, aber das ist ein bisschen was. Denn wir haben nicht sehr viele Handlungsmöglichkeiten. Das ist eine davon.
Wie haben sich jetzt kurz vor der Wahl mit dem Tod Nawalnys die Konflikte verschärft? Spüren Sie Angst bei anderen Menschen?
Es hat mit uns allen etwas gemacht. Es ist jetzt nicht das Ende, aber wir sind kopflos geworden. Auch wenn die Oppositionsführung aus dem Gefängnis natürlich sehr eingeschränkt war. Aber Nawalny war eine wichtige Symbolfigur für uns. Nun müssen wir trotzdem weitermachen. Es herrscht natürlich immer noch Trauerstimmung. Gleichzeitig habe ich den Wunsch wahrgenommen bei verschiedenen Leuten, dass wir jetzt erst recht zusammenhalten müssen. Trotz der verschiedenen Einstellungen und Ansichten. Klar sind wir alle gegen das Regime, aber es gibt natürlich solche und solche. Jetzt ist es wichtig, dass wir an diesem Tag - wenn diese Show, diese Farce oder wie auch immer man sie nennen mag, stattfindet - wir irgendwie zusammenkommen, dass wir zusammenstehen.
Es gibt Leute, die den Boykott [Anm. d. Red.: der Wahl) befürworten, die sagen, man dürfe nicht an diesem Spiel teilnehmen, weil man sich mitschuldig mache und es damit legitimiere. Aber das ist nicht meine Argumentation, das überzeugt mich nicht. Ich gehöre nicht zu der Boykottgruppe. Doch vielleicht kommen diese Leute trotzdem zu uns, wenn wir da vor der Botschaft sind. Denn es geht nicht nur um die Wahl, sondern da geht es grundsätzlich darum, dass wir einen illegitimen Präsidenten haben - schon seit mehreren Wahlen sozusagen. Die letzten halbwegs demokratischen Wahlen sind ja schon sehr lange her. Wir haben eine illegitime Regierung und das muss man so offen sagen. Das sind Verbrecher. Das sind Banditen.
Wie viele Menschen haben vielleicht auch Angst vor Repressalien?
Es gibt sehr viele Menschen in Russland, die sich nicht trauen, die einfach Angst haben. Der Preis ist hoch. Ich weiß nicht, ob das den Deutschen überhaupt klar ist: für die Teilnahme an Nawalnys Beerdigung haben sich viele Menschen einen großen Rucksack gepackt, weil sie nicht davon ausgehen konnten, dass sie am selben Tag nach Hause zurückkommen. Sie haben sich wirklich auf mehrere Tage Arrest eingestellt und haben es trotzdem gemacht. Und es waren nicht wenige. Es waren mehrere Tausend – und es wären unter normalen Umständen noch sehr viel mehr gewesen. Aber unter normalen Umständen wäre Nawalny auch nicht umgekommen.
Ist es gefährlich, sich in Berlin zu positionieren? Gibt es Menschen in Berlin, die sich nicht gegen Putin äußern, weil sie auch Angst haben?
Ja, diese Menschen gibt es sehr wohl. Es gibt auch Gerüchte oder teilweise auch den begründeten Verdacht, dass die FSB-Agenten auch hier aktiv sind und dass sie Pläne haben. Den Tiergarten-Mord kennen wir ja auch alle. Wir sind hier nicht hundert Prozent sicher, das ist klar. Aber wir lassen uns davon nicht einschüchtern.
Es gibt aber ganz viele Menschen, die sagen, sie müssen auch noch ab und zu nach Russland fahren, wenn sie dort Eltern haben, die alt und krank sind, beispielsweise. Ich habe jetzt entschieden, dass ich nicht mehr hinfahre, obwohl ich dort auch Eltern habe.
Wie geht es Ihnen damit?
Ich spüre ein großes Leid. Ich wache jeden Tag mit dem Gedanken 'wann hört das endlich auf und wann können wir wieder ein normales Leben führen?' auf. Mein größtes Leid richtet sich aber in die Ukraine. Das, was dort passiert, ist unerträglich. Gerade jetzt, wo es nicht mehr so gut läuft. Ich bin im Kontakt mit Ukrainern und sie verstehen nicht, warum die europäischen Politiker so leichtfertig damit umgehen, warum sie nicht endlich Waffen liefern, den Taurus liefern. Ich verstehe das nicht und sie verstehen es nicht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christina Rubarth
Sendung: rbb24 Abendschau, 17.03.2024, 19:30 Uhr
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