Berlin
Dass in Berlin 16 neue Unterkünfte für geflüchtete Menschen gebaut werden sollen, steht fest. Darüber hinaus gibt es weiteren Bedarf. In einer zweiten Runde sollen Unterkünfte für eine längerfristige Nutzung geplant werden.
Die Berliner Bezirke müssen vermutlich schon bald weitere Flächen für neue Geflüchteten-Unterkünfte bereitstellen. Zusätzlich zu den 16 geplanten Container-Standorten sollen noch viele weitere längerfristige Unterkünfte für Geflüchtete gebaut werden. Das gab Berlins Flüchtlingskoordinator Albrecht Broemme am Dienstag im rbb bekannt. "In dieser zweiten Runde werden Unterkünfte geplant, die für eine längerfristige Nutzung geeignet sind", sagte Broemme. So sollen die Unterkünfte später als Wohnungen weiter genutzt werden.
Wenige Wochen nach der umstrittenen Senatsentscheidung über 16 neue Container-Standorte hatte zuvor der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Interview mit dem rbb bereits zusätzlichen Bedarf angemeldet.
"Diese 16 Standorte waren erst der Anfang", sagte Wegner am Dienstag im rbb24 Inforadio. Er erwartet, dass in diesem Jahr weitere 15.000 bis 20.000 Geflüchtete nach Berlin kommen. Bis Jahresende würden allerdings nicht ausreichend modulare Unterkünfte gebaut. In diesen qualitativ hochwertigeren Gebäuden können Flüchtlinge untergebracht werden. "Das heißt, ich brauche wahrscheinlich Großunterkünfte, ich brauche wahrscheinlich weitere Container-Lösungen und dafür brauche ich auch weitere Grundstücke."
Deshalb werde der Senat das Thema weiterverfolgen. Der Regierende Bürgermeister rechnet damit, dass der Migrationsdruck groß bleibt, "solange die Bundesregierung kein wirksames Mittel findet, um diese Zahlen signifikant zu verringern", so Wegner.
Die Kritik aus einigen Bezirken, sie seien nicht ausreichend in die Entscheidung über die 16 neuen Container-Standorte eingebunden worden, wies der Regierende Bürgermeister derweil zurück. "Es kann kein Bezirk sagen, dass er nicht wusste, dass Standorte auf ihn zukommen", betont Wegner. Falls ein Standort als nicht geeignet angesehen werde, müssten Alternativen benannt werden, fordert Wegner.
Broemme erklärte, dass er bei den bereits geplanten Container-Unterkünften keine Rücksicht auf die Auslastung der Bezirke nehmen konnte. Grund sei, dass dafür nur befestigte Grundstücke in öffentlicher Hand geeignet seien. Als nächsten Schritt wolle er aber vor allem modulare Unterkünfte bauen und Bestandsbauten, beispielsweise Hotels, in Geflüchtetenunterkünfte umwandeln.
Bei diesen längerfristig geplanten Unterkünften, so Broemme weiter, werde künftig die Auslastung der Bezirke mit berücksichtigt. In der rbb24 Abendschau sagte Brömme am Dienstagabend, dass er keine Unterkünfte bauen lassen möchte, wo bereits viele Flüchtlinge untergebracht worden sind. Konkret sprach er dabei von den Bezirken Pankow und Lichtenberg, die in der Vergangenenheit bereits überproportional viele Geflüchtete aufgenommen hätten.
Außerdem soll es künftig ein neues Vermittlungsverfahren zwischen Land und Bezirken geben. Zunächst würden die Bezirke von Broemme über die geplanten Unterkünfte informiert werden. Sollte es dann zu keiner Einigung kommen, werden die Bezirke in einer Task Force auf Staatssekretärsebene angehört. Hier könnten Argumente ausgetauscht werden. Die Entscheidung, ob die Geflüchtetenunterkunft dann trotz der Einwände gebaut wird, fällt im Anschluss aber Broemme.
Der Lichtenberger Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU) fordert eine gerechtere Verteilung von Geflüchteten und finanziellen Mitteln zwischen den Berliner Bezirken. Zugleich stellte er im Interview mit dem rbb die bundesweite Verteilung von Geflüchteten nach dem Königsteiner Schlüssel infrage. "Die Stadtstaaten sind mit dem Königsteiner Schlüssel überfordert. Wir müssen daraus aussteigen", sagte Schaefer.
"Ich glaube auch, wir brauchen eine wesentlich bessere Zusammenarbeit mit Brandenburg, weil wir eben nicht wie andere Flächenländer auf andere Städte ausweichen können. Wir sind nur eine Stadt. Wir brauchen eine gerechte Verteilung über alle zwölf Bezirke", so Schaefer, "und wir müssen das Tempelhofer Feld nutzen."
Drei der nun zusätzlich geplanten 16 Unterkünfte würden nach jetzigem Stand in Hohenschönhausen im Bezirk Lichtenberg entstehen. Schaefer wehrt sich gegen dieses Vorhaben, da es im Stadtteil bereits acht Unterkünfte gebe. "Mit einer Unterbringung ist noch nicht die Integration abgeschlossen. Es reicht nicht, wenn wir nur Plätze schaffen", so Schaefer. Man benötige auch die gesamte soziale Infrastruktur. In Lichtenberg würden bereits 4.000 geflüchtete und asylsuchende Menschen wohnen. "Das hat natürlich Konsequenzen auf die Schulplätze, auf die Kita-Plätze und die ärztliche Versorgung. Das leisten wir, aber wir können nicht ohne Ende leisten."
Ein Sprecher des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) teilte dem rbb am Dienstag auf Anfrage mit, dass die Aufnahmekapazitäten in Berlin derzeit an ihre Grenzen kämen. Er unterstütze die Aussage Wegners, dass es einen Mehrbedarf an Unterbringungsmöglichkeiten gebe. Sollten die Zahlen auch nur ansatzweise das Niveau von 2023 erreichen, kämen in diesem Jahr noch einmal 30.000 Menschen "on top", so der Sprecher.
Demnach seien in der vergangenen Woche 281 neu angekommene Asylsuchende in Berlin registriert worden. Gleichzeitig gebe es berlinweit aktuell nur noch 95 freie Plätze in Aufnahmeeinrichtungen und 448 freie Plätze in Gemeinschaftunterkünften bei einer Gesamtkapazität von 36.000 Plätzen. "Das kriegen wir alles hin", so der Sprecher, "allerdings fällt es uns zunehmend schwer, Folgeplätze zu organisieren."
Bis März seien in diesem Jahr bereits 2.386 asylsuchende Personen in Berlin aufgenommen worden. Die Hauptherkunftsländer sind die Türkei, Syrien, Vietnam, Afghanistan und Moldau.
Zudem seien bis Februar 2.611 Geflüchtete aus der Ukraine im Ankunftszentrum Tegel registriert worden. Auch der ehemalige Flughafen Tegel wird länger als Unterkunft für Geflüchtete genutzt. Der Berliner Senat hat die Nutzung als Ankunftszentrum von Ende 2024 bis Ende 2025 verlängert. Mit Blick auf den Kriegsverlauf in der Ukraine sei nicht auszuschließen, dass auch von dort in diesem Jahr mehr Menschen nach Berlin kommen könnten.
Kritik an Wegners Vorstoß kommt unter anderem vom Flüchtingsrat Berlin. Dessen Sprecherin Emily Barnickel sagte dem rbb: "Bezahlbarer Wohnraum und nicht die ständige Segregation von Menschen - teilweise bis zu einem Jahrzehnt - in immer neu geschaffenen 'temporären' Unterkünften, die dann doch zehn Jahre stehen, das sollte ganz oben auf der Agenda sein."
Barnickel verweist auf die andauernden Kriege - etwa in der Ukraine, im Nahen Osten oder dem Sudan. "Flucht und Migration wird es immer geben. Sich da auf Legislaturperioden auszuruhen, ist fatal." Der Flüchtlingsrat fordert deshalb eine Wohnbauoffensive sowie einen Zugang zum Wohnberechtigungsschein und sozialem Wohnen für alle Menschen in Berlin.
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.04.2024, 06:00 Uhr
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