Ein Jahr Verkehrspolitik von Schwarz-Rot
Mehr Miteinander auf Berlins Straßen hat Verkehrssenatorin Manja Schreiner versprochen. Polarisiert hat sie aber mit ihrem Radwege-Stopp. Kritiker sehen in ihr eine reine Auto-Senatorin. Zum Amtsjubiläum will Schreiner mit Zahlen gegenhalten. Von Jan Menzel
Die Mitarbeiter in der Mobilitätsverwaltung haben noch einmal nachgemessen und nachgerechnet. Und siehe da: Sie sind fündig geworden. Drei Kilometer Radweg mehr als bislang offiziell ausgewiesen kommen noch dazu. Die Bilanz für das Jahr 2023 kann damit nachträglich auf 26 Kilometer aufgebessert werden.
Diese Kilometer-Zahl ist deshalb politisch so bedeutend, weil die Christdemokratin Manja Schreiner damit fast gleichauf mit ihrer Amtsvorgängerin Bettina Jarasch liegt. Die Grüne hatte 2022 mit 26,5 Kilometern ähnlich viele Radwege an den Start gebracht. Entsprechend offensiv geht Schreiner nun mit der Kritik um, die sie im ersten Amtsjahr auf Schritt und Tritt begleitet hat.
"Ich mache eine Verkehrspolitik, die alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen in den Blick nimmt. Von einer einseitigen Politik zugunsten des Autos zu sprechen, ist allerdings reiner Populismus", erklärt sie. Rad-Aktivistinnen wie Ragnhild Sørensen vom Verein Changing Cities beeindrucken aber weder die neuesten Zahlen noch die demonstrativ kämpferische Senatorin. "Die Verkehrswende soll nicht kommen. Das ist ein Ausbremsen!", lautet Sørensens Urteil nach einem Jahr Schwarz-Rot.
Dass sich mit dem Regierungswechsel auch die Verkehrspolitik ändern würde, hatte die CDU schon im Wahlkampf angekündigt. "Dass man jetzt auch wieder Autofahrinnen und Autofahrer in den Blick nimmt - dafür wurde die CDU gewählt", bekräftigt Verkehrssenatorin Schreiner. Sichtbar wurde der neue Kurs als sie im vergangenen Sommer 19 schon fertig geplante Radweg-Projekte kurzerhand stoppte und eine Überprüfung anordnete.
Zwar wurden alle Projekte bis auf eines nach mehreren Wochen wieder freigegeben. Schreiners Prüf-Stopp wirkt aber nach. So hatte Treptow-Köpenicks grüne Verkehrsstadträtin Claudia Leistner den Bau von 2,4 Kilometer Radweg entlang der Köpenicker Landstraße fest eingeplant. "Wir hätten beginnen können, wenn die Senatsverwaltung nicht plötzlich Umplanungsbedarf gesehen hätte und die Anordnung daher nicht erfolgt ist", sagt Leistner.
Deutlich mehr wäre auch in Tempelhof-Schöneberg möglich gewesen. Radwege entlang der Haupt-, der Grunewald- und der Handjerystraße sollten schon 2023 fertig sei. Doch daraus wurde nichts. Alle drei Vorhaben sollen aber in diesem Jahr angefangen oder beendet werden. In Neukölln wartet der grüne Stadtrat Jochen Biedermann dagegen bislang vergeblich darauf, dass insgesamt 2,5 Kilometer Radweg auf beiden Seiten der Stubenrauchstraße doch noch gebaut werden.
Für dieses Jahr kündigt die Verkehrsverwaltung nun allerdings rekordverdächtige 38,7 Kilometer Radweg an. Für diese Projekte in 11 Bezirken liege eine Finanzierung vor und es sei ein "Bauende im Jahr 2024 avisiert", teilt die Verwaltung mit. Bezirke, Opposition und Vereine wie Changing Cities beruhigt das aber keineswegs. Sie blicken mit Sorge auf das, was danach kommt.
"Was jetzt realisiert wird, sind alles noch Alt-Projekte des Vorgängersenats", warnt Ragnhild Sørensen. Die Situation im Jahr 2025 sei "schwierig", sagt Treptow-Köpenicks Verkehrsstadträtin Claudia Leistner. Ihr fehlten nicht nur die notwenigen Genehmigungen der Senatsverwaltung. Die Auflösung der Radverkehrseinheit in der Senatsverwaltung durch Senatorin Schreiner wirke sich auch negativ auf ihren Bezirk aus, der selbst nicht ausreichend Mitarbeiter für den Radwegebau habe, erklärt sie.
In Neukölln kann sich Stadtrat Jochen Biedermann zwar über eine Zusage für den 3. Bauabschnitt des Radwegs an der Weserstraße freuen. Weitere "dringend benötigte Radprojekte" drohten aber unter die Räder zu kommen, so seine Einschätzung. Saskia Ellenbeck, grüne Verkehrsstadträtin in Tempelhof-Schöneberg, befürchtet zudem, dass aufgrund neuer Verwaltungsvorgaben aus dem Hause Schreiner keine geschützten Radfahrstreifen an Hauptstraßen angeordnet werden. In den Nebenstraßen könne ihr Bezirk dank eigener Zuständigkeit zwar weiter planen. "Auch hier sind wir aber auf die Finanzierung durch die Senatsverwaltung für Mobilität angewiesen."
Beim Geld jedoch werden die Spielräume absehbar immer enger. Da ist zum einen der Landeshaushalt mit seinen Milliardendefiziten, den die Koalition für dieses Jahr nur mühsam zusammengekürzt bekommen hat. Allein Schreiner muss aus dem Verkehrsetat noch einen dreistelligen Millionenbetrag herausschneiden. Mehrere Bezirke haben bereits Alarm geschlagen, dass Planungsmittel für Verkehrsberuhigung und Kiezblocks reduziert worden sind. Schon 2023 war mehr als die Hälfte der Mittel für die Verbesserung das Radverkehrs nicht ausgegeben worden.
Der zunehmende Spardruck wird aber nicht nur den Radverkehr treffen, sondern sich auch auf den Öffentlichen Personennahverkehr auswirken, warnt der verkehrspolitische Sprecher der Linksfraktion Kristian Ronneburg. Er kritisiert, dass die Verkehrssenatorin vor dieser Finanzkulisse ausgerechnet den extrem kostspieligen Ausbau der U-Bahn vorantreibt. Erst in der vergangenen Woche hatte sie der BVG einen Finanzierungsbescheid überreicht. Die Verkehrsbetriebe sollen mit der Planung für eine Verlängerung der U8 ins Märkische Viertel beginnen.
"Da macht die Senatorin Schreiner natürlich ein riesiges Fass auf. Das ist alles unrealistisch, was da geplant und angefasst wird. Und unsere Kritik ist: Sie soll sich nicht verzetteln, sie soll sich auf die Dinge konzentrieren, die machbar sind mit den Ressourcen, mit den Finanzen", moniert Ronneburg. Aus Sicht der Linken ist das Mach- und Leistbare die Tram. Sie wäre deutlich kostengünstiger zu haben. Bau und Planung gehen zudem schneller als bei der unterirdischen U-Bahn.
Allerdings bescheinigt Ronneburg der Senatorin im Bereich der Straßenbahn durchaus "eine gemischte Bilanz". So habe sie einige Planungen des Vorgängersenats "verteidigt". Dazu zähle eine Tram-Verbindung durch das neue Stadtquartier, das auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel entstehen soll. Auf der anderen Seite bremse Schreiner aber, wenn es darum gehe, die Straßenbahn endlich zum Potsdamer Platz und nach Neukölln zum Hermannplatz fahren zu lassen. "Das zeigt, es gibt ausgewählte Projekte, die der Senatorin und ihrer Partei nicht passen. Die werden auf die lange Bank geschoben."
Auch Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB lobt, dass Schreiner in ihrem ersten Jahr Straßenbahnplanungen fortgesetzt habe. Insgesamt sei "einiges Positives" zu erkennen, sagt er. Und es sei ja nun einmal klar, dass die CDU-Politikerin Schreiner "keine grüne Verkehrspolitik mache". Sein Verband stehe beispielsweise bei der geplanten Anbindung der U3 an die S-Bahn am Mexikoplatz hinter den Senatsplänen.
Ob mit diesen Schwerpunkten und mit dem Regierungswechsel wie angekündigt auch die Verkehrsteilnehmer auf Berlins Straßen wieder versöhnt sind, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Diese "Erzählung" der CDU sei doch "völlig substanzlos", so der Linken-Abgeordnete Kristian Ronneburg. Die rot-grüne-rote Koalition habe bewusst mit Fußgängern und Radfahrern die schwächsten Verkehrsteilnehmer besonders in den Blick genommen. "Das ist eine echte Miteinanderpolitik und das, was Senatorin Schreiner versucht, ist eine Rückabwicklung", sagt der Verkehrsexperte.
Ein regelrecht verheerendes Fazit zieht Antje Kapek. Die ehemalige Fraktionschefin der Grünen und verkehrspolitische Sprecherin sieht die Weichen nach einem Jahr Schwarz-Rot komplett falsch gestellt: "Wir haben einen Radwegestopp, einen Tramstopp, ein Buslinienstopp, ein Spielstraßen-Stopp und vor allem einen großen Investitions-Stopp in den Öffentlichen Personennahverkehr und damit die größte BVG-Krise, die wir seit 20 Jahren haben." Auch für Radaktivistin Ragnhild Sørensen ist die Verkehrswende erst einmal abgewürgt: "Diese Legislaturperiode ist verloren."
Manja Schreiner lächelt diese kritischen Stimmen inzwischen einfach weg. "Na ja, das ist natürlich Opposition", sagt die Verkehrssenatorin und schiebt hinterher: "Ich glaube, ich zeige mit meiner Bilanz 2023, dass ich wirklich alle Verkehrsträger im Blick habe."
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Beitrag von Jan Menzel
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