Verfassungsschutzbericht
Der Verfassungsschutz registriert einen deutlichen Zuwachs bei der Zahl der sogenannten "Reichsbürger" in Brandenburg. Insgesamt ist die Zahl der Rechtsextremisten und die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten gestiegen. Von Stephanie Teistler
Die größte Gefahr in Brandenburg geht nach wie vor vom Rechtsextremismus aus - zu diesem Schluss kommt der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023. Mit einem Potential von 3.085 Personen hat die Zahl einen Höchststand erreicht (2022: 2.855). Der Verfassungsschutz warnt vor einer "Entgrenzungsstrategie" der Akteure, die mit ihrer Ideologie die Mitte der Gesellschaft durchdringen wollten.
Der Zuwachs bei den Rechtsextremen ist auf Parteieintritte bei AfD und Junger Alternative zurückzuführen. Die AfD wird seit 2020 als "rechtsextremistischer Verdachtsfall" beobachtet, ihre Jugendorganisation gilt dem Verfassungsschutz seit vergangenem Jahr als erwiesen rechtsextremistisch. Beide gewannen im vergangenen Jahr laut Verfassungsschutzbericht 230 Mitglieder hinzu.
Im Berichtsjahr habe die AfD weiterhin "Anhaltspunkte dafür geliefert, dass sie schon aufgrund ihrer völkisch-nationalistischen Ausrichtung eine Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung" ist, heißt es im Bericht. So setze der Landesverband darauf, Ausländer, insbesondere Muslime und politisch Andersdenkende auszugrenzen und verächtlich zu machen. Bei konsequenter Umsetzung der Positionen der Partei drohe rechtliche Ungleichbehandlung und Diskriminierung.
"Die Heimat" (ehemals NPD) spiele hingegen kaum noch eine Rolle. Sie schaffe es nicht, an Themen und Proteste Anschluss zu finden, und werde zwischen der AfD und der rechtsextremistischen Kleinstpartei "Der III. Weg" zerrieben.
Bei den Rechtsextremisten, die nicht in einer Partei organisiert sind (405), sei ein Großteil in sogenannten Bruderschaften organisiert, die eher im Hintergrund wirkten. "Kameradschaften" spielten inzwischen nur noch eine geringe Rolle. Der Bericht weist außerdem aus, dass 42 Prozent aller dem Verfassungsschutz bekannten Rechtsextremisten als "gewaltorientiert" gelten. Die Zahl der Gewaltstraftaten ist ebenfalls gestiegen. Sie lag 2023 bei 117 (2022: 90).
Wie erfolgreich das im vergangenen Jahr vom Innenministerium gestartete Aussteigerprogramm war, lässt der Bericht offen. Unter dem Titel "wageMut" wurde es zum Jahresstart 2023 eingeführt und soll Personen dabei helfen, sich aus ihren extremistischen Szenen zu lösen, neue schulische oder berufliche Perspektiven aufzeigen und beim Umgang mit Behörden unterstützen. Auch Angehörige und Freunde erhalten bei "wageMut" Beratung. Wie viele Menschen das Programm oder eine Beratung in Anspruch genommen haben, wird im Bericht allerdings nicht erwähnt.
Einen deutlichen Sprung hat die Zahl der sogenannten Reichsbürger gemacht – 350 Personen mehr zählt der Verfassungsschutz im Vergleich zu 2022. Damit hat die Zahl einen Höchststand von etwa 1.000 "Reichsbürgern" und Selbstverwaltern erreicht. Der Anstieg sei auf eine "ressourcenintensive Aufhellung des Dunkelfeldes" zurückzuführen.
Die aktuellen Krisen sieht der Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes, Jörg Müller, als Ursache für die gestiegene Zahl von "Reichsbürgern" im Land. "Krisenzeiten sind immer Zeiten in den Extremisten auch empfangsbereite Menschen finden können", sagte Müller am Montag rbb24 Brandenburg aktuell. Bei den "Reichsbürgern" habe man eine Szenedynamik erkannt; sie würden in den Kommunen bewusster auftreten und mehr werben, um dort Fuß zu fassen.
Die "Reichsbürger"-Szene werde besonders früh gefährlich, so Müller weiter, wenn sie versuchen, ihr eigenes Hoheitsgebiet zu verteidigen. Die "Reichsbürger" hätten eine hohe Affinität zu Waffen. Es sei außerdem eine Riesengefahr für die Kinder, die in so einem Umfeld aufwüchsen und nicht in die Schule geschickt würden. Damit werde ihnen früh Bildung und Pluralismus genommen, sagte Müller.
Bei dem Milieu handele es sich größtenteils um Einzelpersonen und lose Szenen. Erwähnt wird im Bericht etwa das "Königreich Deutschland", ein medienwirksamer Pseudostaat, der die Rechtsordnung der Bundesrepublik ablehnt und vermeintlich rechtsfreie Rückzugsräume sucht. Das "Königreich" hatte im vergangenen Jahr versucht, auch in Brandenburg Grundstücke zu kaufen. Die Gruppe dockte dabei bei rechten Siedlern aus der Anastasia-Bewegung an.
Diese wird im aktuellen Verfassungsschutzbericht erstmals als "Verdachtsfall" erwähnt. Die Anastasia-Bewegung wird seit Juni 2023 als "Verdachtsfall für eine extremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung beobachtet". Dass die Bewegung rechtsextrem ist, darüber hegen Beobachter der Gruppierung wenig Zweifel. Das ARD-Politikmagazin Kontraste hatte bereits mehrfach über die Versuche der Bewegung berichtet, in Brandenburg Land zu kaufen und damit Fuß zu fassen. In Brandenburg, so der Verfassungsschutz, seien derzeit drei sogenannte "Familienlandsitze" aktiv.
Der Name der Gruppe geht auf eine gleichnamige antisemitische Romanreihe aus Russland zurück und versucht, Selbstversorgersiedlungen inklusive eigener Schulen aufzubauen. Die Ideologie sei teilweise nicht mit dem Demokratie- oder Menschenwürdeprinzip des Grundgesetzes zu vereinbaren, so der Verfassungsschutz. Laut dem Bericht sei außerdem auffällig, dass viele Akteure der Anastasia-Bewegung mit Rechtsextremisten und der "Reichsbürger"-Szene vernetzt seien.
Die Zahl der Islamisten ist im Vergleich zum Vorjahr nur leicht gestiegen (+10) und liegt damit jetzt bei etwa 220. Allerdings – im Vergleich zu 2013 hat sie sich damit mehr als versiebenfacht. Die meisten Islamisten in Brandenburg hingen dem Salafismus an, einer ultrakonservativen Strömung innerhalb des Islam.
Brandenburg stehe vor der Herausforderung, so der Bericht, die Versuche von Islamisten, Einfluss auf "muslimische Infrastruktur" im Land zu nehmen, abzuwehren. Als gesichert extremistisch wird seit vergangenem Sommer das "Islamische Zentrum Fürstenwalde" eingestuft. Der Verein weise Bezüge zur "Muslimbruderschaft" auf (deren Ableger in Gaza die Hamas ist) und verneine das Existenzrecht Israels. Im Zuge des islamistischen Angriffs der "Hamas" auf Israel am 7. Oktober seien in Brandenburg zudem mehr antisemitische Straftaten festgestellt worden.
Islamistische Extremisten setzten dabei verstärkt auf die Onlineverbreitung ihrer Ideologie, die etwa über die Kurzvideoplattform TikTok ungefiltert bei Kindern und Jugendlichen ankomme. Dieser Dynamik widmet der Verfassungsschutzbericht ein Sonderkapitel und spricht von der "TikTokisierung des Islamismus" aber auch anderer Extremismen. Ereignisse, wie der Krieg in Gaza, wirkten dabei als emotionalisierende Trigger, über die etwa Salafisten neue Nutzerkreise erreichten.
Die Zahl der Personen, die dem Linksextremismus zugeordnet werden (550), ist im Vergleich zu 2022 leicht gestiegen (+20). Die Zahl der Gewaltstraftaten ist auf elf gesunken und somit auf einen Tiefstand der vergangenen 30 Jahre. Mitglieder gewonnen habe die "Rote Hilfe", die politisch motivierte Straftäter juristisch unterstützt. Die Parteien KPD und MLPD bestünden hingegen nur noch aus "letzten Einzelmitgliedern" am Rand der Bedeutungslosigkeit.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 29.04.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Stephanie Teistler
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