Schülervertretungen besorgt
Die Schülervertretungen der ostdeutschen Bundesländer beklagen zunehmenden Rechtsextremismus an Schulen. Sie fordern ein entschiedenes Gegensteuern der Politik. Doch die Bildungsministerien verweisen auf bestehende Strategien. Von Viktoria Kleber
Der 18-jährige Schüler Stefan Tarnow macht sich große Sorgen. "Hakenkreuze auf Tischen, Stühlen oder aber auch an Wänden finden sich in vielen Klassenzimmern." Doch nicht nur das: Rechtsextremes Gedankengut werde auch im Unterricht in Debatten - besonders, wenn es um das Thema Migration gehe - oft verbreitet.
"Statt Fakten geht es oft um gefühlte Wahrheiten", sagt Tarnow. Das berichteten ihm Schülerinnen und Schüler immer wieder, mit denen er in Kontakt sei. Stefan Tarnow ist Sprecher des Landesrats der Schülerinnen und Schüler in Brandenburg und vertritt ihre Interessen. "Manchmal feuern die Lehrer rechtsextremes Gedankengut sogar noch an", sagt er.
Auch andere Landesschülerräte haben festgestellt, dass die Hemmschwelle sinkt und dass Schulen oft nicht ausreichend auf rechtsextreme Vorfälle vorbereitet sind. Die Landesschülerräte aus Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben deshalb in einer gemeinsamen Erklärung Anfang April ein entschiedenes Gegensteuern gefordert.
Sie wollen unter anderem eine Stärkung der Fächer Politik oder Sozialkunde, um mehr Wissen über die Bedrohungen für die Demokratie durch Rechtsextremismus zu vermitteln. Außerdem seien Fortbildungen für Lehrkräfte notwendig um vorbereitet zu sein für den Umgang mit rechtsextremem Gedankengut und Schülerinnen und Schüler, die sich radikalisieren.
Nina Kolleck ist Bildungsforscherin an der Universität Potsdam und unterstützt die Forderungen der Landesschülerräte. Die Professorin für Erziehungs- und Sozialisationstheorie bildet selbst Lehrerinnen und Lehrer aus. Sie erlebt angehende Lehrkräfte meist verunsichert beim Thema Rechtsextremismus.
"Viele trauen sich nicht sich zu äußern, wenn beispielsweise der Hitlergruß gezeigt wird, weil sie Angst haben, dass sie dann angefeindet werden. Und zwar nicht nur in der Schule", sagt Kolleck. Dabei sei es die Pflicht von Lehrkräften, hier einzuschreiten.
Kolleck weiß, dass in Brandenburg viele, die Lehramt studieren, oft im ländlichen Raum und vor allem in ihren Heimatorten unterrichten wollen. Das Beispiel der zwei Lehrer aus Burg hätte viele eingeschüchtert. Im April 2023 haben sie in einem Schreiben unter anderem Hakenkreuz-Schmierereien und Hitler-Grüße öffentlich gemacht. Daraufhin wurden die zwei Lehrkräfte angefeindet und sahen sich gezwungen die Schule zu wechseln.
Die Geschichte der zwei Lehrkräfte wirke bis heute nach. "Gegen diese Angst müssen wir vorgehen", sagt Kolleck. Auch sie fordert eine systematische Aus- und Fortbildung von Lehrkräften und einen systematischen Umgang an Schulen mit rechtsextremen Vorfällen. Damit sich die Geschichte von Burg nicht wiederhole.
So wie andere Universitäten auch bietet die Universität Potsdam Seminare für Lehrkräfte an, in denen sie lernen, wie sie auf antidemokratische und diskriminierende Sprüche und menschenfeindliche Vorfälle reagieren können. "Es braucht ein ganzes Lehrerkollegium, das entschlossen handelt", sagt Kolleck. Doch die Seminare sind nicht verpflichtend.
Das ist in Sachsen anders. Hier ist ein Modul zur politischen Bildung und Demokratiebildung für alle angehenden Lehrkräfte aller Fächer Pflicht, auch der Umgang mit Rechtsextremismus wird hier thematisiert. Das sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft hat das beschlossen, zunächst hat die Universität Leipzig die Lehrveranstaltungen eingeführt, vor einem Jahr dann Dresden, nun soll Chemnitz folgen.
Kolleck wünscht sich, dass die Seminare in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung in allen Bundesländern verpflichtend werden.
Wie viele rechtsextreme Vorfälle es an Schulen gibt, dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen. In Sachsen gab es 2019 nach Angaben des Bildungsministeriums 73 gemeldete rechtsextremistische oder rassistische Vorfälle. Vier Jahre später waren es mehr als doppelt so viele, nämlich 149.
Auch andere Bundesländer wie Hessen, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg melden mehr Fälle. In Brandenburg kam es im Schuljahr 2022/2023 zu 123 dokumentierten rechtsextremistischen Äußerungen an Schulen.
Doch die Dunkelziffer sei hoch, sagt Tim Reukauf vom Thüringer Lehrerverband. "Es gibt immer wieder Schulleitungen, die rechtsextreme Vorfälle nicht melden wollen, weil sie befürchten, dass es ein schlechtes Licht auf ihre Schule wirft", sagt Reukauf.
Laut einer nicht veröffentlichten Umfrage des Thüringer Lehrerverbands geben 38 Prozent der befragten Mitglieder an, sie hätten seit Beginn des Schuljahres 2023/24 mitbekommen, dass Kolleginnen, Kollegen, Schülerinnen oder Schüler an ihrer Schule Gewalt erlebt haben, die rechtsextremistisch motiviert gewesen sei.
Die Gewalt sei in 68 Prozent der Fälle von Schülerinnen und Schülern ausgegangen, in 20 Prozent von Eltern und in 12 Prozent von Kollegen und Kolleginnen. Dabei gaben die befragten Mitglieder an, dass mit 52 Prozent vor allem Schülerinnen und Schüler von der Gewalt betroffen waren.
Tim Reukauf vom Thüringer Lehrerverband findet nicht nur die Umfrage, sondern auch die Fallschilderungen seiner Kolleginnen und Kollegen beunruhigend. Er fordert eine bessere Meldekette von den Schulen über Schulämter bis zu den Bildungsministerien der Länder. "Nur durch eine genauere Dokumentation können wir sehen, wie sich das Problem entwickelt und entsprechend handeln", sagt Reukauf.
Doch die Bildungsministerien sehen auf Nachfrage des RBB durch den Aufruf des Landesschülerrats keinen neuen Handlungsbedarf. Sachsen-Anhalt verweist beispielsweise unter anderem darauf, dass Demokratiebildung und Extremismusprävention bereits jetzt in der Fortbildung der Lehrkräfte eine zentrale Rolle spielten.
Auch das Bildungsministerium in Brandenburg führt bestehende und kürzlich aufgesetzte Programme an, die Lehrkräfte im Umgang mit Rechtsextremismus stärken sollen.
Beitrag von Viktoria Kleber
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