Nach Angriff auf SPD-Politiker
Nach dem schweren Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden berichten auch die Parteien in Berlin und Brandenburg von aggressivem Verhalten. Droht eine "Verrohung des politischen Diskurses"?
Nach dem schweren Angriff auf den sächsischen SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Matthias Ecke, am Freitagabend in Dresden [tagesschau.de] berichten auch Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer aus Berlin und Brandenburg von Bedrohungen, Pöbeleien oder sogar von körperlichen Angriffen.
Auf rbb-Anfrage teilten die politischen Parteien unterschiedliche Erfahrungen aus dem aktuell laufenden Wahlkampf mit. Der Großteil gab an, dass es in Wahlkämpfen immer wieder zu kritischen Situationen und Beleidigungen käme.
So gehöre etwa das Beschädigen, Zerstören oder Entfernen von Wahlplakaten zur Tagesordnung - nicht nur im aktuellen Wahlkampf - ebenso wie verbale Attacken. Davon können fast alle Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer berichten.
Vor allem in Brandenburg berichten SPD, Grüne und Linke von einer hohen Aggressivität gegenüber ihren Wahlkampf-Teams.
Faina Dombrowski etwa kandidiert in Neuenhagen für die Grünen bei den Kommunalwahlen und berichtet von Pöbeleien und vielen zerstörten Plakaten. 30 bis 40 Prozent der Plakate seien zerstört, abgerissen oder beschmiert. Inzwischen gingen die grünen Wahlkampfteams teils nur noch mit Pfefferspray auf die Straße.
Die SPD berichtet von "unterschiedlichen Bedrohungen - auch gegen Leib und Leben" neben einer "großen Zahl" von Zerstörungen von Plakaten. "Das Problem, über das gesprochen werden muss, sind die Hetzer und geistigen Brandstifter", sagt der Brandenburgische SPD-Generalsekretär David Kolesnyk auf rbb-Anfrage. "Die AfD Brandenburg muss ihre Anhängerschaft auffordern, die Beschädigungen und Bedrohungen unverzüglich einzustellen".
Ähnliche Stimmen sind auch von anderen Parteien zu vernehmen - viele sehen bei der AfD eine Mitschuld für eine verrohende Debattenkultur. Der Berliner AfD-Politiker Ronald Gläser bezeichnete diese Kritik auf rbb-Anfrage hin als "Fakenews der Mitbewerber". Demnach verfolge die AfD ihre Ziele "friedlich und gesetzestreu", würde aber trotzdem übermäßig oft selbst Opfer von Gewaltdelikten werden.
In Schöneiche im Oder-Spree-Kreis sind zwei Kandidaten der Linkspartei in der vergangenen Woche beim Aufhängen von Wahlplakaten von einer Gruppe Jugendlichen angegriffen worden. Laut Polizei sei dabei auch "ein Slogan aus der rechten Szene" gefallen. Ein 14-Jähriger wurde als Hauptverdächtiger festgenommen.
Einer der beiden Wahlkämpfer sagte auf rbb-Anfrage: "Das ist wirklich beispiellos, was wir in diesem Wahlkampf erleben - sowohl was Sachbeschädigung angeht als auch bei Angriffen auf Personen." Der Linken-Politiker möchte trotz des Angriffes weiter aktiv am Wahlkampf teilnehmen, trotzdem sei sein Sicherheitsgefühl nachhaltig geschädigt: "Ich habe mich in Schöneiche immer sicher gefühlt - egal ob privat oder politisch - dieses Sicherheitsempfinden ist erstmals gestört. Man geht anders durch den Ort."
Nach der Tat habe der Wahlkämpfer, der anonym bleiben möchte, viel Solidarität erfahren - sowohl aus der eigenen Partei, als auch durch die "demokratischen" politischen Mitbewerber und aus der Ortsgemeinschaft heraus, wie er sagt. "Das tut sehr gut, so eine Rückendeckung zu bekommen", so der Wahlkämpfer. Trotzdem frage er sich, wie man die jüngere Generation wieder zurückgewinnen könne, die immer weiter nach rechts zu driften scheint.
"Am Ende sind die jungen Leute auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft", so der Kommunalpolitiker. Viele fühlten sich wenig ernst genommen und in politischen Fragen kaum wirkmächtig. "Wir als Ehrenamtliche kriegen das als erste ab."
In Berlin scheint es im Wahlkampf bislang verhältnismäßig ruhig zuzugehen - zumindest, was tätliche Angriffe auf Politikerinnen und Politiker angeht. CDU, Grüne, FPD, Linke und Volt haben in der Hauptstadt bisher keine Angriffe auf Wahlkämpfende registriert. Auch die AfD sagt: Im Verhältnis zum Bundestagswahlkampf sei es ruhiger, auch wenn es immer wieder zu Pöbeleien und Anfeindungen käme.
"Was wir erkennen, ist eine Verrohung der politischen Diskurse und Kommunikationsformen", sagt Wolfgang Merkel, Demokratieforscher und emeritierter Professor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). "Das sehen wir in Deutschland, aber auch in anderen westlichen Gesellschaften - eine Zunahme der Polarisierung." Diese würde gerade durch die sozialen Medien weiter beschleunigt.
In Deutschland sei die AfD eine der Treiberinnen dieser Polarisierung, ähnlich wie die rechtspopulistischen Parteien in anderen westlichen Staaten. "Nun darf man das nicht so primitiv sehen, dass die AfD direkt irgendwie zu Gewalttaten aufruft. Aber es entstehen Ränder, die Ränder radikalisieren sich und in diesen Rändern genügt es dann manchmal nicht, zu schimpfen und zu beleidigen. Sondern dann kommt die nächste Stufe. Die nächste Stufe heißt Gewalt und die kann sich sehr spontan entladen."
Merkel identifiziert darüber hinaus eine Entfremdung vieler Menschen gegenüber der Politik - viele fühlten sich nicht mehr repräsentiert. "Ob das objektiv der Fall ist, das ist völlig irrelevant", so Merkel. "Dieses subjektive Ohnmachts-Empfinden, das hat sich ausgedehnt. Wenn es zur Gewalt kommt, dann bricht sich eben nicht nur der Frust gegenüber der Politik Bahn, sondern das ist dann auch ein Moment der Selbstermächtigung. Hier bin ich jemand, der Wirkung erzielt."
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 06.05.2024, 19:30 Uhr
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