Landesparteitag
Bei ihrem Landestreffen debattieren die Berliner Grünen am Samstag über mögliche Veränderungen zur Stärkung der Demokratie. Im Rahmen dessen stimmten sie für die Neuordnung des Verfassungsschutzes. Auch die Arbeit des Senats wurde kritisiert.
Die Berliner Grünen wollen den Verfassungsschutz auf Landesebene neu aufstellen. Mit großer Mehrheit haben sie am Samstagmittag auf ihrem Landesparteitag einen entsprechenden Leitantrag verabschiedet.
Wenn es nach den Grünen geht, soll es künftig zwei Säulen im Verfassungsschutz geben: Zum einen soll es wie bisher eine nachrichtendienstliche Tätigkeit geben. Zusätzlich soll wissenschaftliche Analyse einfließen, und die Zivilgesellschaft mehr beteiligt werden - das soll in einem eigens dafür gegründeten Institut gebündelt werden.
Der Verfassungsschutz sei zu lange auf dem rechten Auge blind gewesen, erklärte die Grünen-Co-Vorsitzende Nina Stahr. Das müsse sich ändern.
Der Verfassungsschutz müsse sich klar fokussieren auf die Früherkennung von staatsgefährdenden Straftaten, Desinformation, Spionage und Terrorismus, hieß es im Vorfeld. Durch die Doppelstruktur werde die Analysefähigkeit gestärkt und der in Wissenschaft und Zivilgesellschaft vorhandene Sachverstand über verfassungsfeindliche Bestrebungen systematisch genutzt, so die Grünen.
Sie fordern - schon seit längerem - auch eine wissenschaftliche Untersuchung der bisherigen Arbeitsweise des Verfassungsschutzes, der eine Abteilung der Senatsinnenverwaltung ist. Dies sei Grundvoraussetzung, um Aufgaben, Prioritäten und Ressourcen bewerten und neu justieren zu können.
Trotz bundesweiter Erfolge bei der Verhinderung extremistischer Anschläge oder der Aufdeckung russischer und chinesischer Spionage werde die Tätigkeit des Verfassungsschutzes zurecht kritisch betrachtet, heißt es in dem Grünen-Papier weiter. "Die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder sind ihren Aufgaben durch ihre langjährige Blindheit auf dem rechten Auge und Stigmatisierung linken Protestes, dem Versagen im NSU-Komplex, V-Leute-Skandalen und Fehlern im Zusammenhang des Breitscheidplatz-Anschlages zu oft nicht gerecht geworden."
Vorgänge wie die rechtsextreme Anschlagsserie in Neukölln hätten auch in Berlin Vertrauen gekostet. "All das belegt, dass der Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form zu oft nicht funktioniert und die Kernaufgabe der Früherkennung in Teilen sogar behindert hat." Die Ausführungen zum Verfassungsschutz sind Teil eines Leitantrages der Grünen-Landesspitze zum Thema "Demokratie stärken", der von den Parteitagsdelegierten am Samstag mit hoher Wahrscheinlichkeit beschlossen wird. Über die genauen Formulierungen zu dem Punkt wurde nach dpa-Informationen bis zuletzt gerungen.
Der Berliner Grünen-Vorsitzende Philmon Ghirmai äußerte sich auf dem Landesparteitag auch zur bisherigen Politik des schwarz-roten Senats. Er kritisierte sie demnach als "Rückschritt pur". Im Sozialbereich werde gestrichen, Entscheidungen zum Haushalt würden in Hinterzimmern getroffen, sagte Ghirmai am Samstag. "Die Verkehrswende und der Klimaschutz werden ausgebremst, und die Mietpreise in unserer Stadt explodieren weiter." Hinzu komme die "Schnapsidee" der CDU, eine Magnetschwebebahn bauen zu wollen. Das sei alles "ziemlich dünn".
"Wir Bündnisgrüne haben richtig Bock, in dieser Stadt etwas zum Guten zu verändern", sagte Ghirmai weiter. So setzten etwa die Grünen-Verkehrsstadträte in acht Bezirken dem "verkehrspolitischen Chaos von Schwarz-Rot" mit Radwege-Stopp, Tram-Stopp oder Busspur-Stopp etwas entgegen: Sie hörten nicht auf, für die Verkehrswende zu kämpfen. "Jeder Radweg, jeder Kiezblock und jede Spielstraße sind ein Schritt zu einem Berlin, in dem sich alle nach ihrem eigenen Wunsch bewegen können."
Die Grünen auf Landes- und Bezirksebene stünden an der Seite der Menschen in Berlin. "Wir packen wirklich an. Wir legen den Finger in die Wunde und lassen Schwarz-Rot auch in Zukunft nichts durchgehen", so Ghirmai.
Am Ende ist es beim Thema Enteignungen knapper geworden, als die meisten vorausgesagt haben: Mit etwa 57 Prozent haben sich zwar diejenigen unter den Berliner Grünen durchgesetzt, die sich weiterhin für eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen aussprechen.
Dass aber rund 43 Prozent der Delegierten beim Landesparteitag für eine Abkehr der bisherigen Politik stimmten, werteten Gegner von Enteignungen als Paukenschlag. Mehrheitlich Delegierte aus Berlin-Mitte, Pankow, Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf und Spandau stimmten für einen enteignungskritischeren Kurs. Den Antrag hatte der Kreisverband Mitte eingebracht.
Sendung: Radioeins, 04.05.2024, 09:00 Uhr
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