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Quelle: picture alliance/dpa/P.Zinken

Interview | FU-Professor zu Pro-Palästina-Protesten

"Das sind Einschränkungen, die man sehr ernst nehmen muss"

Über 1.000 Lehrende verteidigen in einem offenen Brief das Recht auf friedlichen Protest - nach der Räumung einer Pro-Palästina-Demo auf dem FU-Campus. Mitunterzeichner Robin Celikates plädiert für eine differenziertere Debatte - und warnt vor repressiven Tendenzen.

rbb|24: Herr Celikates, was hat Sie dazu veranlasst, den offenen Brief der Dozierenden mitzuunterzeichnen?

Robin Celikates: Wie viele andere, die unterzeichnet haben, war ich schockiert darüber, wie schnell und wie massiv es zu dem Polizeieinsatz auf dem Campus der FU gekommen ist. Das war mit meinem Verständnis der Universität als Bildungsinstitution in einer demokratischen Gesellschaft und meinem Selbstverständnis als Lehrender nicht vereinbar. Schließlich geht es hier um grundlegende Rechte: Versammlungs- und Meinungsfreiheit, die man verteidigen sollte, und unseren Umgang mit Studierenden, ganz unabhängig davon, wie man zu den konkreten inhaltlichen Forderungen des Protests steht.

In dem Brief verweisen wir auf eine klare Verpflichtung, seitens der Universität so weit wie möglich das Gespräch zu suchen und nicht zu eskalieren. Dem war die Uni-Leitung in unserer Wahrnehmung nicht nachgekommen.

Zur Person

Prof. Robin Celikates

In einer ersten Stellungnahme zum Polizeieinsatz nannte die FU-Leitung als einen Grund für die schnelle Räumung des Protestcamps auf dem FU-Gelände, dass jegliches Gesprächsangebot ausgeschlagen worden sei.

Zunächst wäre es wichtig, die Faktenlage zu klären. Es gab einen Flyer von den protestierenden Studierenden, in dem sinngemäß gesagt wurde, dass sie nicht interessiert seien an rein symbolischen Verhandlungen, sondern dass sie zu ihren Forderungen stehen. Das wurde wohl seitens der FU so verstanden, als hätten die Studierenden kein Interesse an Dialog.

Wäre das Präsidium vor Ort gewesen und hätte versucht, nicht nur bereits getroffene Entscheidungen zu kommunizieren, sondern den Dialog aufzunehmen, wäre dieses scheinbare Missverständnis vermutlich schnell behebbar gewesen. Das unterstreicht für mich die Notwendigkeit, so lange wie möglich zu versuchen, im Gespräch zu bleiben. Polizei sollte immer das letzte Mittel sein.

Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit schwerpunktmäßig mit sozialen Bewegungen und Protest - insbesondere mit der Frage nach seiner Legitimation. Muss legitimer Protest auf Dialog aus sein?

Da muss man differenzieren. Aber vorab: Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit gilt – im Rahmen rechtlicher Grenzen – auch für nicht-konstruktiven, provokativen und nicht auf Dialog ausgerichteten Protest.

Dann muss man sich fragen: Sind die Bedingungen für einen Dialog überhaupt gegeben? Das ist sicherlich nicht der Fall, wenn schon ein massives Polizeiaufgebot auf dem Campus steht. Man muss auch fragen: Von wem wird eigentlich in welchen Situationen Dialogbereitschaft eingefordert? Und ist die "andere Seite" auch bereit zum Dialog? Da ist jetzt vor allem die Universitätsleitung gefragt. Die hat in einer neuen Stellungnahme richtigerweise angekündigt, verstärkt zu versuchen, wieder zurück zum Dialog zu finden. Das halte ich für einen sehr wichtigen Schritt.

Es ist aber auch eine Erwartung, die wir an die politischen Akteure und Entscheidungsträger in Ministerien, im Berliner Senat oder an den Regierenden Bürgermeister haben sollten. Es ist meines Erachtens politisch unverantwortlich, auf der Basis einer mangelnden Situationskenntnis davon auszugehen, dass es gar keine Dialogmöglichkeit gab, sondern dass es nur um Hass, Terrorverherrlichung und um Antisemitismus ging, der auf keinen Fall toleriert werden darf.

Meines Erachtens liegt eine sehr große Gefahr für das demokratische Miteinander darin, dass aufgrund pauschalisierender Vorverurteilungen grundlegende Rechte eingeschränkt werden, gerade mit Bezug auf so drängende Fragen wie den Krieg in Gaza und mögliche Kriegsverbrechen dort.

Unterstützung für Pro-Palästina-Camp

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Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger und ihre Berliner Amtskollegin Czyborra haben mit scharfer Kritik auf einen Brief Berliner Uni-Dozenten reagiert. Die Lehrenden hatten ihre Unterstützung für ein pro-palästinensisches Protestcamp an der FU ausgedrückt.

Eine Voraussetzung für legitimen Protest ist nach verbreiteter Auffassung auch seine Gewaltfreiheit. Unter anderem die Berliner Bildungssenatorin Ina Czyborra (SPD) sprach dem Protest an der FU die Gewaltfreiheit ab – es habe von Anfang an verbotene Parolen, Hetze und erhebliche Sachbeschädigung gegeben.

Auch hier wäre es sehr wichtig, zunächst die Fakten und dann auch die Begriffe sauberer in den Fokus zu kriegen. In der ersten Stellungnahme der FU ging es um das Hausrecht. Hausfriedensbruch ist von den von Frau Czyborra angeführten Punkten zu unterscheiden. Verbotene Parolen, Hetze und erhebliche Sachbeschädigung: Da sollte man bitte genau angeben, um was es geht, zu welchem Zeitpunkt und von wem das ausging, und warum das den Protestierenden als Kollektiv angelastet wird, was nicht dem rechtlichen Procedere entspricht.

Ein weiterer Punkt, bei dem man genau hinschauen sollte, sind die "verbotenen Parolen". Ich nehme an, da geht es um Parolen wie "from the river to the sea", die zumindest nach jetziger deutscher Rechtsprechung nicht als per se verboten anzusehen sind. Gerichte gehen davon aus, dass es auf den Kontext und durchaus auch auf die intendierte Bedeutung ankommt. Pauschal zu sagen, "diese Parole ist verboten" und ihre Bedeutung gewissermaßen "von oben" ministerial bestimmen zu wollen, halte ich für sehr problematisch in einem Rechtsstaat.

Gleichzeitig wollen die Universitäten natürlich ihre jüdischen Studierenden schützen – es kommt immer häufiger zu verbalen und körperlichen Angriffen. Wie kann eine Universität Protest ermöglichen und gleichzeitig dem Sicherheitsbedürfnis der jüdischen Menschen auf dem Campus Rechnung tragen?

Es gibt einen unverhandelbaren Anspruch an die Universität, dass sie einen sicheren und geschützten Raum für alle ihre Angehörigen, Studierenden, Mitarbeiterinnen und Lehrenden darstellt. Das gilt selbstverständlich auch für jüdische Studierende, vor allem in einer Zeit, in der es vermehrt zu antisemitischer Gewalt und zu antisemitischer Hetze kommt. Man darf aber nicht in die Falle tappen, die Sicherheit der einen gegen die Sicherheit der anderen auszuspielen.

Auf der einen Seite ist es vollkommen verständlich, dass manche jüdischen Studierenden bestimmte Slogans wie "from the river to the sea" oder "Intifada" als Bedrohung wahrnehmen. Aber es gibt auch andere jüdische Studierende, für die diese Slogans eine andere Bedeutung haben und keine Bedrohung darstellen, und von denen sich manche auch an den Protesten beteiligen. Der massive Polizeieinsatz hat zudem die Sicherheit aller beteiligten Studierenden sehr klar gefährdet.

Es gibt auch jüdische Lehrende, die sich für die Rechte der protestierenden Studierenden einsetzen. In den zum Teil einseitigen Darstellungen geht die Existenz und Relevanz dieser Stimmen zwischen den vermeintlich klaren Gegenpositionen verloren. Das erscheint mir als äußerst problematisch.

Schließlich gibt es auch viele arabisch- oder palästinensischstämmige Studierende und auch Lehrende, die sich sehr unsicher und allein fühlen auf dem Campus - die sich Verdächtigungen ausgesetzt sehen aufgrund ihrer oder der ihnen zugeschriebenen Identität oder ihres Nachnamens.

Dieser Komplexität muss man versuchen, intellektuell und institutionell Rechnung zu tragen. Und dabei ist die institutionelle Verantwortung der Universität besonders hervorzuheben, denn man darf die Studierenden auf gar keinen Fall mit dieser Herausforderung allein lassen.

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Einige Mitarbeitende an den Universitäten befürchten eine Verengung des Sagbaren, eine Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit und die demokratische Verfasstheit der Wissenschaftsinstitutionen. Inwieweit teilen Sie diese Sorge?

Differenzierung und ein selbstreflexiver kritischer Diskurs, in dem es auf Basis von Sachkenntnis und Argumenten darum geht, auch heikle und schwierige Fragen zu verhandeln - das ist der Kern der Universität. Das darf man nicht zur Disposition stellen, sonst können wir den Laden gleich ganz dichtmachen. Unter den gegebenen Umständen - aufgrund der aufgeheizten Stimmung und aufgrund der Komplexität der Herausforderungen – ist das aber extrem schwierig.

Dazu kommt eine Politik, die zu einer zunehmenden Verknappung von Ressourcen im Wissenschaftssystem führt. Wenn man sich in Abhängigkeitsverhältnissen befindet, überlegt man sich dreimal, wozu man sich äußert, ohne die eigene Karriere in Gefahr zu bringen.

Deswegen ist es besonders enttäuschend und empörend, wenn sich die Bildungsministerin nicht nur dieser Sorgen nicht annimmt, sondern gleichzeitig politische Durchsagen macht darüber, was legitim und illegitim ist, wer auf dem Boden der Verfassung steht oder nicht, wer Wissenschaft betreibt und wer Aktivismus. Solche Aussagen klingen nach einer autoritären Gesinnung, in der ich tatsächlich eine Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit und die Rolle der Universität in einer demokratischen Gesellschaft sehe.

Insofern teile ich auf jeden Fall diese Sorge – das beginnt bei ganz konkreten Fällen, in denen man von Kolleginnen, die nicht auf Lebenszeit verbeamtet sind, hört, dass sie sich nicht mehr trauen, offen über bestimmte Themen zu sprechen, selbst wenn diese in ihrer Expertise liegen.

Nach den Attacken der "Bild"-Zeitung und anderer Medien werden sich viele sehr gut überlegen, ob sie sich noch einmal öffentlich positionieren. Das sind Einschränkungen, die man sehr ernst nehmen muss.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jonas Wintermantel, rbb|24

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