Medienkompetenz
Fake News und Verschwörungstheorien sind durch das Internet noch leichter zu verbreiten. Muss die heranwachsende Generation früher darauf vorbereitet werden, vielleicht in Form eines eigenen Schulfachs? Das zumindest sagt ein Experte. Von Simon Wenzel
Franziska Giffey ist schon Opfer von einem gefälschten Klitschko geworden, in Amerika kann man durch Fake News sogar Präsident werden und die Diskussionen um die aktuellen Kriege in der Welt finden längst auch höchst subjektiv in sozialen Netzwerken statt. Digitale Medien machen den kritischen Umgang mit Informationen noch wichtiger als früher.
Der Medienwissenschaftler Danny Schmidt nennt die aktuelle Zeit eine "Medienrevolution". Die laufe schon seit Jahren, aber das macht sie ja nicht weniger relevant. Schon vor zehn Jahren fand er die Frage nach Medienkompetenz "extrem wichtig". Ein erstes Beispiel: "Mit der Wahl von Donald Trump beispielsweise haben wir 2016 gesehen, wie das klassische Mediensystem mithilfe von Social Media unterwandert werden kann, wenn journalistische Kompetenzen keine Rolle mehr spielen", sagt Schmidt.
Nicht nur, aber auch deshalb findet er: Schulen in Deutschland brauchen ein neues Schulfach - "Medien". Das sei "Lebenskompetenz", findet Schmidt (ob das Fach genau so heißt, ist ihm weniger wichtig).
Solange es das noch nicht gibt, bietet er selbst Alternativen: Der Medienwissenschaftler gibt regelmäßig Workshops zum Thema Verschwörungserzählungen und Medienkompetenz. Nicht nur, aber vor allem an Schulen. Im Rahmen der diesjährigen Republica in Berlin veranstaltete er auf der Jugendkonferenz "Tincon" auch ein Seminar für Schülerinnen und Schüler - "Verschwörungserzählungen selber bauen", hieß es. Darüber sollten die Teilnehmer:innen lernen, den Aufbau und die Funktionsweise von solchen Erzählungen zu durchschauen.
Seit 2016 geht er als Referent an Schulen und stellt dort fest: Beim Thema Medienkompetenz denken Schulen häufig vielmehr an Datenschutz. Auch sehr wichtig, findet Schmidt, aber nicht nur. "Der Punkt: was passiert in unseren Köpfen, wenn wir Medien nutzen, welche Muster werden aktiviert - Stichwort framing, Informationstrichter, Stereotype und Feindbilder, das findet dort meist nicht statt", sagt er.
Wobei, so ganz stimmt das nicht. Das zeigt sich im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern rund um den Workshop von Danny Schmidt: Es findet schon manchmal statt, aber nicht geordnet und sehr abhängig vom persönlichen Interesse und Engagement der Lehrkräfte. Eine einheitliche Strategie im Sinne der Bildungsgerechtigkeit - und das ist es letztlich auch, was Schmidt fordert - gibt es nicht.
Daniel, ein Elftklässler aus einer Schule in Berlin-Zehlendorf, sagt nach dem Verschwörungstheorien-Workshop: "Der Unterschied hier war, dass es in der Schule viel abstrakter ist, wenn das mal thematisiert wird." In seiner Schule gibt es immerhin einen Kurs namens "Digitale Ethik". In Ansätzen sei das das gleiche, sagt Daniel. Er redet sehr eloquent für einen Elftklässler, ist Schülersprecher. Daniel hat sich eine Meinung gebildet. Ein eigenes Schulfach zum Thema Umgang mit Medien und Informationen sei nicht unbedingt notwendig, findet er. "Ich glaube aber, dass Politik und Schule darauf achten sollten, dass es Teil des Unterrichts ist und intensiv in Fächer wie Politikwissenschaften integriert wird", sagt Daniel.
So sieht es auch Emilia, sie geht in die siebte Klasse einer Köpenicker Oberschule. "Man könnte das gut in den Informatik-Unterricht einbeziehen oder in andere Fächer, in denen wir Medien nutzen", sagt sie. Bei ihr gibt es noch kein gesondertes Fach, ihre Klassenlehrerin lege aber viel Wert auf das Thema Medienkompetenz, sagt sie.
So handhabt das auch Lehrer Christoph Otto Groß. Junger Typ, Basecap auf dem Kopf. Er unterrichtet Geschichte und Ethik an einer Brandenburger Gesamtschule. Für ihn ist der Unterschied zwischen Medienkompetenz und Geschichte gar nicht so groß. Klingt komisch, ist aber auch ein bisschen logisch, wenn man ihm zuhört: "Wir gucken uns Quellen an, gucken wie authentisch die sind und welche Informationen wir daraus nehmen können, das ist eigentlich der Kern der Geschichtsarbeit", sagt Groß. Über Fakenews habe er "ad hoc" im Unterricht gesprochen, zum Beispiel nach dem Ausbruch der Kriege in der Ukraine und in Gaza.
Groß steht einem eigenen Medien-Schulfach sogar sehr kritisch gegenüber: "Medien durchdringen alles in unserem Alltag, also sollten sie auch die Schulfächer durchdringen. Ein extra Fach könnte meiner Meinung nach dazu führen, dass man die Verantwortung weg schiebt und sagt: Bin ich nicht zuständig, sondern der neue Medienlehrer", sagt er. Mehr Platz im Lehrplan würde er sich allerdings wünschen. Denn im Moment muss immer etwas anderes kürzer kommen, wenn mal ein spontaner Exkurs zu Fakenews gemacht würde.
Die Charlottenburger Friedensburg Oberschule beispielsweise hat ein Schulfach, was so ähnlich ist wie das von Danny Schmidt skizzierte, schon seit fast 15 Jahren. "Medien und Kommunikation" heißt es. Ein Wahlfach, welches rund ein Viertel der Schülerinnen und Schüler belegen, wie Luisa Fotopoulos erzählt. Sie ist Deutschlehrerin und sagt zum Hintergrund: "Wir hatten damals einfach einen fortschrittlichen Schulleiter, der erkannt hat, dass der Unterricht wie er jetzt ist, nur noch für einige Schüler gut ist und die anderen langweilt." Zu den Fachinhalten von Medien und Kommunikation zählen zum Beispiel Urheberrechte, aber auch der Umgang mit Daten und Hate Speech.
Die Berliner Bildungsverwaltung teilte rbb|24 auf Anfrage mit, die Senatsverwaltung beschäftige sich "permanent" mit dem Thema. In Berlin setzt man aber nicht auf ein einzelnes Fach. Medienbildung sei gemäß den Rahmenlehrplänen für die Jahrgänge eins bis zehn vielmehr ein "fächerübergreifendes Querschnittsthema, dass immer wieder zu verschiedenen Gelegenheiten im Unterricht behandelt wird". Auch der Umgang und das Erkennen von Fake News gehöre dazu. Es gebe immer wieder Fachbriefe an die Schulen und Handreichungen, beispielsweise zu gefährlichen TikTok-Trends, KI oder ChatGPT.
Danny Schmidt ist eher pessimistisch, dass die Politik in Deutschland schnell nachbessert. "Mein Ziel ist es, meine Arbeit überflüssig zu machen. Ich möchte nicht mehr an Schulen gehen und Workshops geben müssen. Tatsächlich ist es aber noch ein langer Weg - wahrscheinlich werde ich bis 70 arbeiten können", sagt Schmidt. Er ist noch nichtmal 50.
Ein Sprecher des Brandenburger Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport teilte rbb|24 auf Anfrage mit, dass es derzeit in Brandenburg kein Schulfach zur Medienbildung gebe. Ebenso sei aktuell kein Schulfach geplant. Vielmehr sei die Medienbildung im Rahmenlehrplan verankert - als "Basiscurriculum Medienbildung" [bildungsserver.berlin-brandenburg.de] mit sechs Kompetenzbereichen für die Jahrgangsstufen 1 bis 10. Innerhalb des Curriculums werden laut Ministerium spezielle Themen wie das Erkennen und der Umgang mit sogenannten Fake News im Unterricht behandelt.
Im Weiteren beschäftige sich das Ministerium mit Unterrichtsentwicklung, Fortbildung und Unterstützung von Lehrkräften. Ebenso sei ein Landeskonzept zu Mobbing und Cybermobbing vorgelegt worden, für die Schul-Cloud Brandenburg sei eine Lerneinheit zu KI-Anwendungen in Schulen und das Erkennen sogenannter "Deep Fakes" entstanden.
An Brandenburger Schulen werde zudem auf sogenannte "Medienscouts" gesetzt. Dahinter stehe die Idee, dass Jugendliche ihre Mitschülerinnen und Mitschüler in Fragen der Medienkompetenz beraten und unterstützen.
Für Danny Schmidt sind das, was Schüler:innen und Lehrer:innen auf der "Tincon" erzählen positive Beispiele. Er findet aber: "Chancengleichheit ist das nicht". So wie es gerade ist, hätten die einen Glück und die anderen Pech. Deshalb fordert er von der Politik Lösungen.
Beitrag von Simon Wenzel
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