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Interview | Kriminologe zu Angriffen auf Politiker

"Die politische Kultur verroht und man denkt schnell in Feindbildern"

Einen Schlag in den Nacken, gesprengte Briefkästen, verletzte Wahlhelfer: In den vergangenen Wochen mehren sich Angriffe auf Politiker und politische Ehrenämtler in der Region. Woher das kommt, erklärt der Kriminologe Dirk Baier im Interview.

Sechs Attacken auf Wahlhelferinnen und Wahlhelfer in Berlin und Brandenburg hat es bislang im Europa-Wahlkampf gegeben, darunter auch Körperverletzungen. Das deckt sich auch mit Zahlen, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zuletzt vorgestellt hat. Demnach gab es im vergangenen Jahr bundesweit 3.691 Straftaten gegen politisch aktive Menschen, im Jahr zuvor waren es 1.994.

Das Brandenburger Justizministerium hat nun ein Onlineportal für Amts- und Mandatsträger eingerichtet, damit Hasskriminalität schneller angezeigt werden kann.

Europa- und Kommunalwahlen

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Der Angriff auf den Dresdner SPD-Politiker Matthias Ecke hat bundesweit für Empörung gesorgt. Wahlkämpfer und -helfer sehen sich mitunter Hass und Aggressionen ausgesetzt - auch in Berlin und Brandenburg.

rbb24: Herr Baier, was sind die Gründe für die vermehrten Angriffe und Pöbeleien gegenüber Politikern?

Dirk Baier: In dem Feld gibt es noch wenig systematische, wissenschaftliche Forschung. Die Zahlen des Deutschen Bundestags haben beispielsweise gezeigt, dass es im verbalen Bereich eine Verdopplung von Angriffen gegeben hat. Aber auch im physischen Bereich gibt es Anstiege. Wenn ich versuchen soll, das zu deuten, fallen mir drei Gründe ein: Der erste ist, dass die Gesellschaft in den letzten Jahren eine dichte Anzahl an Krisen erlebt hat – Ukrainekrieg, Energiekrise, Inflation. Krisen gehen immer damit einher, dass Menschen verunsichert sind. Und Unsicherheit ist auch ein Faktor dafür, dass man Dinge tut, die man sonst normalerweise nicht tun würde.

Der zweite Grund ist – und der hat auch etwas mit dem großen Flüchtlingsstrom 2014/2015 und dem Aufkommen der AfD zu tun –, dass die politische Kultur ein Stück weit verroht, dass Politiker und Politikerinnen immer mal wieder verbal danebengreifen und dass man schnell in Feindbildern denkt. Die AfD vorneweg, aber auch Markus Söder ist da ein gutes Beispiel. "Feind ist der Grüne. Feind ist die AfD…". Diese Bilder werden in der Gesellschaft spürbar und wenn man zum Beispiel das Feindbild "Grüne" internalisiert hat, dann kann man auch mal jemanden bepöbeln.

Zur Person

Und der dritte ist, dass die sozialen Medien wie eine Art Durchlauferhitzer für Hass und Aggressionen geworden sind und das färbt auch auf Menschen ab.

Aus welchem Spektrum kommen die Täter?

Wenn man sich die Angriffe auf AfD-Politiker anschaut, dann ist die Täterschaft eher aus dem linken-politischen Spektrum. Die AfD hat immer noch die höchsten Zahlen, wenn es um physische Gewalt geht.

Am zweithäufigsten betroffen sind Grünen-Politiker. Da ist es nicht so eindeutig. Das sind nicht nur Rechte oder Rechtsextreme, die die Grünen angreifen, sondern das kommt ein Stück weit auch aus der Mitte der Gesellschaft. Da sieht man, dass solche Feindbildkonstruktionen auch Personen betreffen, die in der Mitte der Gesellschaft stehen.

Was wissen Sie über die Opfer?

Was wir wissen, ist, dass Politiker auf Kommunalebene mehr aushalten müssen als Landes- oder Bundespolitiker - insbesondere was physische Gewalt und Sachbeschädigung angeht. Auch Frauen, Politikerinnen haben ein höheres Risiko angegriffen zu werden. Da kommen mindestens zwei Sachen zusammen: einerseits der Politikfrust und andererseits sind es bestimmte Geschlechtervorurteile, die die Angreifenden haben und Politikerinnen deswegen herabsetzen.

Wenn Politiker angegriffen werden, sinkt dann auch der Respekt gegenüber anderen Personengruppen – vor allem denen in Uniform wie Rettungskräften, Feuerwehrleuten oder Polizisten?

Es gibt wenig Forschung rund um Nachahmungseffekte. Gewalt gegen Polizei, gegen Politiker, auch gegen Wissenschaftler, Journalisten sind Symptome dieser krisenhaften Entwicklungen, die wir in der Gesellschaft haben. Es ist nicht so, dass, weil jetzt Herr Ecke angegriffen worden ist [SPD-Europapolitiker Matthias Ecke wurde in Dresden schwer verletzt, Anm. d. Red.], jemand anderes in einer anderen Stadt glaubt, jetzt kann er Polizisten angreifen.

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Apropos Wissenschaftler, erleben Sie auch Anfeindungen?

Bei mir betrifft das immer das Thema "Kriminalität von Ausländern". In der Regel sage ich nicht "Ausländer sind schuld an Kriminalität", sondern ordne sachlich ein. Danach gibt es immer wieder Zuschriften, dass ich ein feiger Wissenschaftler wäre, dass – da ich ja jetzt in der Schweiz bin, aber erkennbar Deutscher - ich mich doch nach Deutschland zurückbegeben sollte.

Und was tun Sie dagegen?

Man sollte so etwas immer zur Anzeige bringen, das rate ich immer allen. Ich selber habe das noch nicht gemacht, weil ich den Vorteil habe, dass ich eine Psychologin in meinem Team habe, die Bedrohungseinschätzungen vornehmen kann. Es war bislang noch nie so, dass eine erhöhte Gefährlichkeit attestiert werden konnte. Deswegen habe ich bisher verzichtet, Anzeige zu erstatten.

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Was kann auf institutioneller Seite dagegen getan werden?

Einerseits eine bessere Strafverfolgung, also dass man diese Dinge wirklich ernst nimmt - auch von polizeilicher Seite-, dass die Strafverfolgung stattfindet und dass es auch schnell geht. Häufig und auch im rbb Community-Talk „Politik & wir“ angesprochen wurde das Thema „Politische Bildung“, das man vielleicht noch erweitert um “Historische und politische Bildung“. Ich bin froh, dass verschiedene Medien dieses Thema aufgreifen, dass es Diskussionsrunden dazu gibt. Es muss in die Köpfe der Menschen, dass Politiker kein Freiwild sind und vielleicht kommt es noch bei einzelnen Politikern an, dass man sich bei Reden ein bisschen zurückhält. Außerdem muss der Gesetzgeber die Motivation schaffen, dass Plattformbetreiber wie Telegram oder TikTok die Verantwortung übernehmen, bestimmte Inhalte zu löschen. De facto sind die in der Verantwortung und wenn sie diese nicht übernehmen, dann müssen sie dazu verpflichtet werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Melanie Manthey für die zweistündige rbb-Debattensendung "Politik & wir" mit dem Thema "Angriffe gegen Politik & Einsatzkräfte: Was tun?", in der Herr Baier auch Gesprächsgast war. Die komplette Diskussion gibt’s hier:

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