Marzahn-Hellersdorf
Im Osten Berlins müssen Angehörige ein Vierteljahr darauf warten, dass ihnen das Standesamt den Tod eines Verwandten beurkundet. Das kostet die Hinterbliebenen Geduld, Geld und Nerven in einer ohnehin schwierigen Zeit. Von Julian von Bülow
"Mein Lebensgefährte hat als Ehrenmann gelebt. So ist er auch gestorben. Und nun soll er nicht nach seinem Tode als lausiger Schuldner dastehen." Das sagt Marianne Eckert, 73, die nun versuchen muss, Gläubiger zu besänftigen. "Ich tue das voller Scham", sagt die ehemalige Lehrerin. Ihr Problem: Das Paar war privat krankenversichert, die Rechnungen und Mahnungen aus der letzten Phase der Krebserkrankung ihres Partners flattern in Eckerts Briefkasten.
Doch an Geld mangelt es ihr gar nicht. Das Problem: Das Standesamt in Marzahn-Hellersdorf gibt ihr seit drei Monaten nicht schriftlich, dass ihr Mann verstorben ist. Dabei ist der bereits bestattet. Doch ohne Sterbeurkunde lässt die Bank Eckert nicht an das Konto ihres Mannes, trotz Vollmacht.
Das Warten auf Sterbeurkunden ist ein Schicksal, das Menschen in Marzahn-Hellersdorf häufiger erleben. 550 Sterbeurkunden-Fälle seien derzeit offen beim örtlichen Standesamt, teilt die zuständige Bezirksstadträtin Juliane Witt (Linke) auf rbb-Anfrage mit.
Zum Vergleich: In Treptow-Köpenick und Reinickendorf sind es laut aktueller Zahlen 0, in Spandau 57, in Mitte 68 und Steglitz-Zehlendorf 94. Pankow hat 110 offene Fälle, allerdings versichert das Bezirksamt, dass die Urkunde in der Regel nach ein bis zwei Wochen fertig sei.
In Marzahn-Hellersdorf warten sie länger. "Momentan dauert es zwischen drei und vier Monaten, bis wir die Sterbeurkunden erhalten", sagt Jacqueline Ruprecht von Grieneisen Bestattungen in Marzahn. Dass die amtliche Bestätitgung des Todes zuletzt zeitnah bei ihr ankam, war vor der Covid-Pandemie, da habe es sieben bis zehn Tage gedauert.
Danach sei es immer schwieriger geworden. Personalmangel, Home-Office und Krankheitsfälle in den Standesämter reduzierten die Leistungsfähigkeit. "Aber Personalmangel herrscht nun mal überall und wir müssen auch alle unsere Arbeit schaffen", sagt Ruprecht.
Anders als bei einem Personalausweises muss die Sterbeurkunde dort beantragt werden, wo eine Person starb. Wäre Marianne Eckerts Lebenspartner in Lichtenberg gestorben, wäre die Sterbeurkunde laut Angaben von Ruprecht wohl innerhalb von fünf Tagen da.
Doch Eckerts Mann starb in einem Hospiz in Marzahn-Hellersdorf. "Wir haben hier in Biesdorf-Süd Ende der 1990er Jahre unser Haus gebaut. Hätten wir es doch nie getan, dann wären wir nicht in diesem Stadtbezirk", sagt die 73-Jährige. Die Verwaltung lasse sie an ihren Entscheidungen vor 25 Jahren zweifeln.
Jene Verwaltung hat im Vergleich der Bezirke die größte Personallücke im Standesamt: Ein Drittel der Stellen war im März unbesetzt. Gründe hierfür seien die "hohe Fluktuation aufgrund der hohen Arbeitsbelastung - zusätzlich zur regulären Altersfluktuation", so Bezirksstadträtin Juliane Witt. Hinzu kämen hohe Zugangsvoraussetzungen und der genereller Arbeitskräftemangel. Zudem habe man die Einwohnerentwicklung unterschätzt.
Das Warten auf Sterbeurkunden hat dazu geführt, dass es in Berlin Bestattungsgenehmigungen gibt, damit die Bestatter die Toten auch ohne Sterbeurkunde beerdigen oder kremieren dürfen. Dafür müssen Bestattungsunternehmen allerdings mitunter in Vorleistung gehen. Denn viele Menschen schließen Sterbegeldversicherungen ab, die nach dem Tod Geld für eine Bestattung an die Hinterbliebene auszahlen.
Marion Joswig erhielt von ihrer Versicherung zunächst kein Geld. Die 60-Järige hatte für ihren Mann eine Police abgeschlossen. Mit ihm war sie fast 40 Jahre verheiratet, er starb im Juli letzten Jahres im Krankenhaus. Doch ohne eine Sterbeurkunde konnte sie das Geld nicht auslösen.
"Das war ganz schön mies", sagt sie. "Ich hatte zwar noch etwas Erspartes zu Hause, aber das hat bei Weitem nicht gereicht." Sie habe zwischendurch versucht, das Standesamt zu erreichen. "Aber ans Telefon ging da gar keiner", sagt Joswig. Auf die fünf E-Mails, die sie geschrieben habe, habe sie nur einmal eine Antwort bekommen. Die sei automatisch generiert gewesen: Das Arbeitsaufkommen der Mitarbeiter sei so hoch ist, dass sie keine Zeit hätten, auf E-Mails zu antworten und ans Telefon zu gehen.
Joswig sagt, sie habe sich dann Geld aus der Familie geliehen, denn die Bestattung war im August. Erst als die Sterbeurkunde im Oktober vom Standesamt kam, zahlte auch die Versicherung.
Auch Wohnungen oder Internetverträge lassen sich häufig erst mit der Sterbeurkunde kündigen, ebenso wird sie häufig für die Auszahlung einer Witwenrente verlangt.
Doch langsam bessert sich die Lage beim Standesamt. Wegen der hohen Fallzahlen habe sich der Bezirk Marzahn-Hellersdorf an die anderen Bezirke gewandt und werden derzeit besonders von Pankow unterstützt, sagt Bezirksstadträtin Juliane Witte.
Dank der Amtshilfe habe die Zahl der offenen Fälle bereits von 798 im März auf unter 550 reduzieren werden können. Die Wartezeit werde kontinuierlich sinken, so Witt. Derzeit liege die durchschnittliche Bearbeitungszeit bei vier bis sechs Wochen. Bei einer Umfrage unter den Bestatter:innen in Marzahn-Hellersdorf gab zumindest eine an, dass sich die Wartezeit verkürzt habe.
Marianne Eckert allerdings wartet noch immer.
Beitrag von Julian von Bülow
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