Pläne des Verteidigungsministeriums
Erfassung aller wehrfähigen Männer per Fragebogenpflicht, Freiwilligkeit und bis zu 23 Monate Dienst - das sieht Verteidigungsminister Pistorius' neues Wehrdienst-Modell vor. Dafür gibt es Lob und Kritik.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will alle Männer erfassen, die für einen Wehrdienst infrage kommen könnten. Seine Pläne dazu hat er am Mittwoch vorgestellt.
Die Rekrutierung läuft auf ein Fragebogen-Modell hinaus. Die Bundeswehr würde alle 18-Jährigen eines Jahrgangs anschreiben. Die rund 400.000 jungen Männer wären zu einer Antwort verpflichtet, bei Frauen wäre dies freiwillig. In dem Fragebogen soll es unter anderem darum gehen, ob man sich den Dienst an der Waffe grundsätzlich vorstellen kann. Pistorius rechnet nach eigenen Angaben damit, dass rund ein Viertel der angeschriebenen Männer ihre Bereitschaft erklären würden.
Die Bundeswehr würde dann etwas mehr als ein Zehntel eines Jahrgangs zur Musterung einladen. Nach der Idee können sie dann selbst entscheiden, ob sie zur Bundeswehr gehen.
Der Dienst könnte 6 Monate dauern und um bis zu 17 Monate verlängert werden. Ab 2025 will Pistorius zusätzlich zu den aktuell rund 10.000 freiwillig Wehrdienstleistenden bis zu 5.000 neue Wehrdienstleistende ausbilden. Diese Zahl soll dann nach und nach steigen. Als "limitierenden Faktor" sieht Pistorius derzeit noch die Infrastruktur: Schließlich müssen die Neuzugänge alle untergebracht, ausgestattet und ausgebildet werden. Die Kosten für die ersten 5.000 schätzt er auf rund 1,4 Milliarden Euro.
Während die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Eva Högl (SPD) Pistorius' Vorschlag begrüßte, kritisierte der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) das Modell. Es müsse verlässlich Personal für die Bundeswehr gewonnen werden, sagte er im WDR. Das werde nicht mit einem Fragenbogen funktionieren. Er fordert, alle jungen Männer zu mustern und sie dann freiwillig entscheiden zu lassen, ob sie einen Wehrdienst machen. Doch dafür fehle der Bundeswehr im Moment die Infrastruktur.
CDU/CSU-Fraktionsvize Johann Wadephul hingegen ist für einen Pflichtdienst von einem Jahr für alle jungen Männer und Frauen, wie er im Morgenmagazin von ARD und ZDF erklärte. Sei es bei der Bundeswehr oder bei anderen Hilfsorganisationen, so Wadephul.
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, hatte vor Pistorius' Präsentation gegenüber der Deutschen Presse-Agentur entschlossene Schritte gefordert. Die Personalzahlen in der Bundeswehr seien im Juni auf den tiefsten Stand seit 2018 gefallen. "Mit Freiwilligkeit allein wird es nach meiner Auffassung nicht funktionieren", sagte Wüstner.
Derzeit liegt die Zahl der aktiven Soldaten um mehr als 20.000 unter dem schon vor dem Ukraine-Krieg angestrebten Ziel von 203.000 - bei rund 181.0000 aktiven Soldatinnen und Soldaten. "In den kommenden Tagen wird sich zeigen, bei wem seit Ausrufung der Zeitendwende zumindest verteidigungspolitisch tatsächlich eine Erkenntniswende eingetreten ist", sagte Wüstner. Langfristiges Ziel sei eine Personalstärke der Bundeswehr von 460.000 Soldatinnen und Soldaten - 203.000 im stehenden Heer, der Rest in der Reserve.
Die Wehrpflicht war in Deutschland nach 55 Jahren 2011 ausgesetzt worden. Das kam in der Praxis einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden praktisch alle nötigen Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst. Neben dem Personalmangel sind auch die für die Rekrutierung und Ausbildung notwendigen Strukturen nicht mehr vorhanden - es fehlt zum Beispiel an Kasernen, Ausbildern und Waffen. Für 5.000 Wehrpflichtige würden laut dem Verteidigungsminister womöglich Kosten in Höhe von 1,4 Milliarden Euro anfallen.
Gesetzlich festgelegt ist aber weiter, dass die Wehrpflicht für Männer im Spannungs- und Verteidigungsfall wieder auflebt. Frauen können seit 2001 eine militärische Laufbahn in der Bundeswehr einschlagen. Um auch Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen, müsste das Grundgesetz geändert werden.
Als Vorbild könnte Deutschland das schwedische Modell dienen. Hierbei werden alle potenziellen Rekruten angeschrieben, nur ein Bruchteil wird gemustert, nur eine Bestenauswahl wird genommen. Pistorius fand dieses Modell bei einem Skandinavien-Besuch im März "besonders geeignet". Generalinspekteur Carsten Breuer sieht das genauso. Für ihn beinhaltet das Vorbild Schweden vor allem viel Flexibilität.
Die meisten europäischen Länder haben die Wehrpflicht abgeschafft oder ausgesetzt. Dazu zählen z. B. Deutschland (2011), Italien (2005), Spanien (2002) und Frankreich (1997).
In der EU haben noch 8 von 27 Ländern eine Wehrpflicht (Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Litauen, Österreich, Schweden, Zypern). Wobei Dänemark ein Sonderfall ist, weil Wehrpflichtige dort nur dann einberufen werden, wenn sich nicht genug Freiwillige melden. Lettland führt die Wehrpflicht ab 2024 wieder ein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.06.2024, 10:02 Uhr
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