Abschlussbericht
Wer zu Hause pflegt, soll Unterstützung bekommen. Dieser "Pakt für Pflege" - ein Schwerpunkt im Brandenburger Koalitionsvertrag - wurde wissenschaftlich untersucht. Die Auswertung sieht viel Gutes -und Verbesserungspotenzial. Von B. Raddatz und A. Hewel
Maria Leitner weiß gut, was es heißt, eine Angehörige zu Hause zu pflegen. Bei ihrer Oma wurde Demenz diagnostiziert. Anfangs pflegte die Enkelin sie zu Hause – und sei genervt gewesen, wenn sie Dinge zum fünften Mal erklären musste, erzählt die Ludwigsfelderin.
Dann machte sie ein achtwöchiges Seminar, bezahlt von der Krankenkasse. Sie lernte ihre Oma und deren Krankheit besser zu verstehen – und traf gleichzeitig auf andere Angehörige. "Ich bin wirklich dankbar für diese Möglichkeit und habe gesehen, dass ich nicht allein bin, sondern dass andere Teilnehmer ähnliche Probleme haben", so Maria Leitner. Heute wird ihre Oma aufgrund ihres hohen Alters im Pflegeheim betreut.
Trotzdem trifft sich ihre Enkelin weiterhin mit anderen pflegenden Angehörigen, denn aus dem Seminar entstand eine Selbsthilfegruppe in Ludwigsfelde. Die Beratung wird finanziert durch das Programm "Pflege vor Ort". Es ist eines von über 600 Projekten landesweit und "Herzstück" im sogenannten Pakt für Pflege, der auf Initiative von Brandenburgs Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) 2020 beschlossen wurde.
Laut der derzeit aktuellsten Pflegestatistik von 2021 waren in Brandenburg fast 185.000 Menschen pflegebedürftig, fast 87 Prozent werden zu Hause betreut – deutschlandweit der höchste Wert. Viele könnten sich einen Pflegeheimplatz schlicht nicht leisten, ist sich Sozialministern Nonnemacher sicher. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Im Krankenhaus oder im Pflegeheim braucht es Fachkräfte, zu Hause erst einmal nur die Angehörigen.
"Die ambulante Pflege, die unterstützt wird durch die Tagespflege, durch Kurzzeitpflege, durch ehrenamtliche Angebote, ist allemal günstiger und damit wird der Fachkräftemangel auch einigermaßen im Zaum gehalten", so Nonnemacher.
Der Grünen-Politikerin ist wichtig zu betonen, dass sie die Angehörigen jedoch nicht allein lassen möchte mit dieser Aufgabe. Sie machte sich selbst ein Bild vor Ort und ließ die Maßnahmen des Pakts wissenschaftlich evaluieren. Den fast 180 Seiten langen Bericht legt Nonnemacher am Mittwoch dem Gesundheitsausschuss im Brandenburger Landtag vor.
Neben den Projekten in den Kommunen besteht der Pakt aus drei weiteren Säulen. Darunter fallen auch Investitionsprogramme für die Kurzzeit- und Tagespflege, Maßnahmen zur Ausbildung und Fachkräftesicherung, sowie der Ausbau von sogenannten Pflegestützpunkten. Die gibt es mittlerweile an 45 Standorten.
Mit vielen Maßnahmen soll die Pflege durch Angehörige erleichtert werden, beispielsweise über die Anschaffung technischer Hilfsmittel in den Pflegestützpunkten, erzählt die Potsdamer Sozialberaterin Manuela Brockmeier. Denn demnächst wollen sie hier auch eine Videoberatung anbieten. In Frankfurt (Oder) entstand eine Musterwohnung, die man Angehörigen und ihren pflegebedürftigen Familienmitgliedern zeigen könne. Andere Stützpunkte bieten eine mobile Beratung an.
Solche Angebote, wie sie Angehörige bei den Pflegestützpunkten erhalten, entlasten diese zunächst einmal bei den drängendsten Fragen, weiß der Vorsitzende des Paritätischen in Brandenburg, Andreas Kaczynski. Er ist gleichzeitig Vorsitzender des Landespflegeausschusses. Hier habe das von der Landesregierung bereitgestellte Geld geholfen. Damit Angehörige auch einmal anderen Tätigkeiten nachgehen können, sei aber auch die Kurzzeit- und Tagespflege wichtig. "Man bekommt man ja sonst gar keine Luft", so Kaczynski.
Die wissenschaftliche Auswertung zeigt: Hier bräuchte es eine Verbesserung des Konzepts. Mit den Geldern wurden bisher unter anderem etwas mehr als 50 neue Kurzzeitpflegeplätze in fünf Einrichtungen geschaffen, sowie mehr als 300 neue Tagespflegeplätze in 18 Einrichtungen. Bis Ende des Jahres sind weitere geplant.
Statt Investitionen in die Kurzzeitpflege sollte das Geld besser vorgehalten werden, ähnlich wie bei der Notfallversorgung in Krankenhäusern, heißt es im Abschlussbericht. Und dann abgerufen werden können, wenn es gebraucht werde, etwa, wenn mehr Menschen einen Platz in der Kurzzeitpflege bräuchten. Außerdem fordern die befragten Kommunen und Landkreise einen Abbau von Bürokratie sowie finanzielle Sicherheiten für neu geschaffene Stellen in den Projekten.
Sie habe die Kritik gehört, sagt Sozialministerin Nonnemacher. Trotzdem sei der "Pakt für Pflege" schon deshalb ein Erfolg, weil alle Landkreise und kreisfreien Städte sowie 85 Prozent der Gemeinden, Kommunen und Ämter mitmachten. Alles in allem können jährlich Haushaltsmittel in Höhe von bis zu 20 Millionen Euro abgerufen werden.
Ob das Projekt in dieser Form weiterbesteht, ist angesichts der Brandenburger Landtagswahl im September völlig offen. Nonnemacher hofft es jedenfalls.
Sendung: rbb24, 05.06.2024, 16 Uhr
Beitrag von Birgit Raddatz und Andreas Hewel
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