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Audio: rbb24 Inforadio | 11.06.2024 | Jenny Barke/Benjamin Jendro | Quelle: dpa/Olaf Schülke

Berliner Polizei am Limit

Gewerkschaft kritisiert massive Doppelbelastung durch Selenskyj-Besuch und EM

Public Viewing und internationale Spiele: Die Fußball-EM wird ein Großereignis, das auch die Polizei fordert. Dass zwei Tage vorher noch eine hochrangige Ukraine-Konferenz stattfindet, sorgt bei Gewerkschaftssprecher Benjamin Jendro für Unverständnis.

Zur Person

rbb: Was halten Sie aus der Perspektive der Gewerkschaft der Polizei (GDP) von der Entscheidung, die Ukraine-Wiederaufbaukonferenz nach Berlin zu verlegen?

Benjamin Jendro: Grundsätzlich ist eine Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine natürlich ein wichtiges internationales Thema, insbesondere angesichts des noch andauernden Krieges. Berlin strebt eine Position als globaler Player an, was wir verstehen. Aber am Freitag, den 14.6. beginnt hier die Fußball-Europameisterschaft, was ohnehin schon massive Auswirkungen auf die Sicherheitsvorkehrungen in Hauptstadt hat. Um mal einige Stichworte zu nennen: Fanmeile, Fan-Treffs und Internationale Spiele in Berlin.

Eine solche internationale Konferenz dann zwei Tage vorher stattfinden zu lassen, zeigt für mein Empfinden wenig Verständnis auf politischer Ebene für die Sicherheitsvorkehrungen, die getroffen und von der Berliner Polizei umgesetzt werden muss.

Es erfordert viele Einsatzkräfte, wenn mehrere Dutzend Staatsgäste nach Berlin kommen, darunter möglicherweise auch gefährdete Personen. Das tägliche Versammlungsgeschehen mit Nahostbezug hält die Berliner Polizei ohnehin schon seit Monaten auf Trab.

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Mit Blick auf die Europameisterschaft freuen sich viele auf ein friedliches Fußballfest. Um das sicherzustellen, bringt die Polizei ihre Einsatzkräfte in Stellung. Fanvertreter warnen vor einer "Eskalationsspirale".

Was muss die Berliner Polizei alles leisten? Ausländische Politiker reisen ja mit ihrer eigenen Entourage an.

Natürlich haben Staatsgäste Personenschützer und Eskorten dabei. Aber klar ist, dass die örtliche Sicherheitsbehörde, also die Polizei Berlin in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei, gewährleisten muss, dass der Staatsgast auch gesund wieder nach Hause kommt. Das bedeutet, dass man sich um Versammlungslagen kümmern, die Orte und Wege absichern muss.

Unsere Kolleginnen und Kollegen eskortieren Personen durch die Stadt, schützen Hotels und die Konferenzorte und bereiten sich auf alle Eventualitäten vor. Man kann nicht einfach nur einen Funkwagen hinstellen, weil auch Terroristen diese Bühne nutzen könnten. Es kommen mehrere Staatsgäste aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Gefährdungsstufen.

Welche Auswirkungen hat dies auf die Arbeit der Kräfte, die auch während der Europameisterschaft noch gefordert sind?

Die Polizei Berlin arbeitet bereits seit der Vergabe intensiv an den Vorbereitungen für die Europameisterschaft. Die hohe Belastung, insbesondere durch die zusätzliche Sicherheitskonferenz, führt aber zu einem Mangel an Ruhephasen für die Beamten.

Die Polizeiführung hat eine weitreichende Urlaubs- und Dienstausgleichssperre verhängt. Unsere Bereitschaftspolizei bleibt im Dauereinsatz und arbeitet teilweise 60 Stunden pro Woche. Das ist extrem belastend.

Werden nur Beamte aus Berlin bei der Sicherheitskonferenz zur Ukraine tätig sein?

In Berlin haben wir 17 Einsatzhundertschaften, dazu können die örtlichen Polizeidirektionen noch Alarmhundertschaften aufstellen. Das macht 22 Hundertschaften, was aber nicht ausreichen wird. Wenn Dutzende Staatsgäste kommen, benötigen wir zusätzliche Kräfte aus dem Bundesgebiet.

Auch die Bundespolizei und andere Länder müssen also unterstützen. Man muss ehrlich sagen, in anderen Bundesländern haben sie vielleicht drei große Versammlungen im Jahr. Wir haben hier in Berlin an einem Wochenende schon fünf. Und das wiederholt sich jedes Wochenende. Wir haben mittlerweile bis zu 7.000 größere Veranstaltungen und Versammlungen in Berlin. Vielleicht müssen wir auch mal darüber reden, dass wir bestimmte Sachen auch nicht gewährleisten können - und eine Versammlung dann auch mal nicht stattfinden kann.

Also ist die Freude vor der Europameisterschaft getrübt?

Wir haben hier wahrscheinlich zwei Millionen Menschen, die in diese Stadt kommen. Die kommen ja nicht nur her, um sich ein Fußballspiel anzugucken. Die bleiben dann auch hier. Das heißt, auch im gesellschaftlichen Leben wird etwas passieren und sich verändern.

Eigentlich wäre es schön gewesen, unsere Kolleginnen und Kollegen hätten sich in den Wochen vor der Europameisterschaft schon mal ein Stück weit ausruhen und mental vorbereiten können. Das klappt aber nicht. Die EM ist also ein schönes Großereignis, auf das sich jeder freut. Berlins Polizisten freuen sich darauf nicht, weil sie daran nicht wirklich teilhaben können.

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Hat der Messerangriff in Mannheim die Sorgen aufseiten der Polizei noch weiter wachsen lassen?

Ja, der Messerangriff in Mannheim hat für große Sorge gesorgt. Jeder weiß, dass ein scheinbar banaler Einsatz wie eine Ruhestörung oder häusliche Gewalt tödlich enden kann. Polizisten müssen immer vorbereitet sein, weil Einsätze im Grunde immer unkalkulierbar sind.

Von daher ändert das jetzt erstmal nichts daran, aber natürlich schwingt es bei jedem Kollegen mit. Abgesehen davon, dass wir zur Europameisterschaft auch von der Gefahr durch Hooligans sprechen, geht die größte Gefahr immer von völlig unberechenbaren Einzeltätern aus. Irgendwo kann jemand loslaufen und alles verändern. Ja, das schwingt jetzt mit und deswegen haben wir jetzt schon viel Schweiß auf der Stirn, wenn wir an die Europameisterschaft denken.

Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass nach dem Finale mit Deutschland als Europameister dann alle auch ordentlich durchatmen werden und sagen können: "Puh, wir haben es geschafft."

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jenny Barke. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.06.2024, 6:45 Uhr

 

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