Fremdenfeindlicher Schiffs-Kalender
Die Senftenberger AfD-Stadtratsfraktion benutzt Bilder international bekannter Kreuzfahrtschiffe für ausländerfeindliche Remigrationsparolen. Jetzt drohen hohe Anwalts- und Schadenersatzkosten. Von Jo Goll und Tina Friedrich
Der Traum vom nächsten Urlaub hängt mitunter großformatig an der Wand. Strahlend blaues Meer, glitzernde Reeling, Sonnenterrassen am Oberdeck: Kalender mit diesen Motiven trösten über kalte Winter und lange Arbeitstage hinweg. Sie versprechen Erholung, Entspannung und Abenteuer.
Die AfD-Stadtratsfraktion im brandenburgischen Senftenberg hat diese Idee für ihre politischen Zwecke benutzt und einen Kalender produziert. International bekannte Kreuzfahrtschiffe zieren einzelne Monate und dazu gibt es fremdenfeindlichen Parolen zu "Remigration" und Abschiebung. Der Kalender liegt rbb24 Recherche vor.
Mit Slogans wie "Recht auf Heimat. Wir bringen euch zurück" oder "Sichere Fluchtrouten Richtung Heimat. Wir machen es möglich" suggeriert der Kalender, die Kreuzfahrtschiffe wären auch für Abschiebungen zu nutzen oder würden gar dabei behilflich sein. In einem Facebook-Video der AfD-Oberspreewald-Lausitz wird er beworben und für einen "Unkostenbeitrag" von 10 Euro plus Versand angeboten.
Die Idee ist nicht neu. In Baden-Württemberg und in Cottbus gab es in den vergangenen Monaten bereits Berichte über ähnliche AfD-Kalender mit Flugzeugmotiven. Der Unterschied: Der Name und das Logo der jeweiligen Reederei prangen deutlich sichtbar auf mehreren Seiten des Senftenberger Kalenders. Was fehlt sind Bildquellennachweise und ein klassisches Impressum.
rbb24 Recherche ist der Frage nachgegangen, ob die sechs betroffenen Reedereien von der Kalenderproduktion wussten, und ob sie der Verwendung der Bilder und ihrer Logos zugestimmt haben. Die Reaktionen sind einstimmig: Nach Angaben der Reedereien ist keine von ihnen um Erlaubnis gefragt worden. Aus den Antworten geht auch deutlich hervor, dass keines der Unternehmen diesen Kalender unterstützt hätte, wäre es angefragt worden.
Auf der Kalenderseite für August behaupten die nicht näher genannten Autoren des Kalenders, "Remigration" schaffe bezahlbaren Wohnraum. Die Aussage prangt über dem Bild eines bekannten Kreuzfahrtschiffs der Reederei Carnival Cruise Line. Der rbb hat dem Unternehmen das Kalenderblatt vorgelegt. Die Reaktion: "Wir sind schockiert, dass Fotos unserer Schiffe, auf denen Menschen verschiedenster Herkunft und Kultur friedlich zusammen Urlaub machen und arbeiten, für die fremdenfeindlichen Botschaften der AfD missbraucht wurden. Wir möchten uns in aller Deutlichkeit von den Aussagen distanzieren und werden rechtliche Schritte einleiten."
Ähnlich die Antwort von MSC Cruises, bekannt für Reisen in die Karibik und durchs Mittelmeer: "Wir haben und hatten nichts mit diesem abscheulichen Kalender der AfD zu tun und lehnen die darin enthaltenen Botschaften ab. Unser Schiffsbild wurde ohne unsere Zustimmung verwendet." Das global tätige Unternehmen unterstütze in keiner Weise die diskriminierenden und fremdenfeindlichen Botschaften des Kalenders.
Was die Reaktionen der Reedereien noch eint: Sie erinnern daran, dass in der Kreuzfahrtbranche Menschen unterschiedlichster Nationalitäten auf engstem Raum zusammenarbeiten. Deshalb werde die Branche mit aller Härte dagegen vorgehen, sagt Georg Ehrmann, Deutschland-Chef des internationalen Kreuzfahrtverbands CLIA. "Die Kreuzschifffahrt steht für Werte wie Weltoffenheit und Toleranz. Wir haben sehr viele Nationen auf unseren Schiffen", sagt Ehrmann im Interview. Die Machart des Kalenders hält er für "widerlich".
Der Verband prüfe nun alle rechtlichen Möglichkeiten. Im ersten Schritt wolle man das "Machwerk" verschwinden lassen. Im Briefkasten der AfD-Stadtratsfraktion werden wohl demnächst mehrere Unterlassungserklärungen ankommen, mit denen die Weiterverbreitung des Kalenders verhindert werden kann. Danach könnten die Reedereien nach Ansicht von Ehrmann noch Schadenersatz "im sechsstelligen Bereich" fordern. Außerdem fordert Ehrmann, dass sich die zuständige Staatsanwaltschaft den Vorgang anschaut. "Hier riecht es sehr stark nach Volksverhetzung", meint der ausgebildete Anwalt.
Hohe Hürden für Schadenersatzforderungen
Wird die Aktion die AfD-Stadtratsfraktion Senftenberg also teuer zu stehen kommen? Caroline Glasmacher, eine unabhängige, auf IT-, Urheber- und Markenrecht spezialisierte Rechtsanwältin, geht davon aus, dass im Fall einer oder mehrerer Abmahnungen die Verfahrenskosten von der AfD-Fraktion zu tragen wären. Schadenersatzforderungen durchzusetzen sei aber nicht so einfach, sagt sie.
"Wenn ein Unternehmen einen Schadenersatzanspruch geltend machen will, dann muss es zunächst den konkret dem Unternehmen entstandenen Schaden nachweisen", erklärt die Anwältin im Interview. Die Unternehmen müssen in diesem Fall belegen, dass Stornierungen von Buchungen oder Umsatzrückgänge konkret auf den Kalender und dessen Verbreitung zurückzuführen sind. Die Kernfrage der juristischen Auseinandersetzung ist aus ihrer Sicht, ob der Kalender die Reedereien in eine Nähe zur AfD rückt.
Die AfD-Stadtratsfraktion antwortet auf die Bitte von rbb24 Recherche um Stellungnahme, dass sie sich angesichts des Wahlkampfes außerstande sehe, "zeitnah" Fragen zu beantworten. Ein "lokales Printerzeugnis" würde das rbb-Publikum ohnehin nicht interessieren, zumal es die Bürger "auf satirische Art und Weise" anspreche.
Sendung: Inforadio, 04.06.2024, 05:11 Uhr
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Beitrag von Jo Goll und Tina Friedrich
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