Letzte Sitzung des Brandenburger Landtags
Der Brandenburger Landtag kommt diese Woche zu seiner letzten regulären Sitzung vor der Wahl im September zusammen. Landespolitik-Redakteur Hanno Christ blickt mit gemischten Gefühlen auf die vergangenen fünf Jahre und auf das, was kommen könnte.
Wenn am Freitagnachmittag die Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) die 108. Sitzung des Brandenburger Parlaments für beendet erklären wird, dann wird auch in der Brandenburger Parlamentsgeschichte ein Kapitel abgeschlossen. 88 Abgeordnete werden auseinandergehen und zu Wahlkämpfern werden, einige werden wiederkommen, etliche andere nie wieder als Abgeordnete im Plenum sitzen, teils nach vielen Jahren im Parlament. Entweder weil sie nicht mehr wollen oder auch nicht mehr gewollt sind. Vielleicht wird auch manche Partei nicht mehr in den Landtag einziehen.
Wir Journalisten haben viel darüber berichtet, was unter der Pressetribüne im Plenarsaal gesagt, debattiert und entschieden wurde. Wir waren kritisch, selten lobend, auch weil das nicht Teil unserer Jobbeschreibung ist. Dabei waren es fünf besonders ereignisreiche Jahre, eine Kraftprobe für das Gemeinwesen im Land, die die politisch Handelnden, aber auch die Opposition vor besondere Herausforderungen gestellt haben.
Ich berichte seit fast 20 Jahren aus dem Brandenburger Landtag, die vergangenen fünf Jahre aber waren herausragend in ihrer Ereignisdichte und in der Tragweite politischer Entscheidungen, die es zu treffen galt. In das Ende dieser Legislatur mischt sich nun bei mir auch eine gewisse Melancholie. Nicht, weil ich mich verabschiede, sondern weil etwas anderes zu verschwinden droht.
Seit die AfD 2014 in den Landtag gezogen ist, haben sich die Inhalte, über die das Parlament streitet, verändert. Das ist mit einer neuen Partei auch normal. Verändert aber hat sich auch der Ton, mit dem gestritten wird, der Umgang von Abgeordneten untereinander wie auch der Umgang mit den Pressevertretern.
Die Auseinandersetzungen sind schärfer und zu Angriffen geworden. Drohgebärden habe ich gesehen, es gab so viele Ordnungsrufe wie noch nie in der Geschichte des Landtages. Die Regierung wurde mit der Stasi und Honecker gleichgesetzt, die Demokratie zur Diktatur erklärt, die globale Erwärmung durch den Menschen als Ideologie und Religion etikettiert, Migration als "Umvolkung" gedeutet. Selbst die Wissenschaft wurde von der AfD zum Feind erklärt. Auch aus den Reihen der CDU gab es wissenschaftsfeindliche Töne. Ein Abgeordneter aus der gleichen Partei fand es lustig, dass auf Social Media über den Tod von Grünen-Politikern gewitzelt wurde.
Beklemmend ist es auch, einen Vize-Landtagspräsidenten der AfD zu erleben, der zu den höchsten Repräsentanten der Demokratie im Land gehört, auf Marktplätzen aber über die Justiz herzieht. In vielen Stunden haben sich Abgeordnete von SPD, CDU, Bündnisgrünen, Linken und BVB/Freie Wähler an den Äußerungen der AfD gerieben und sind dabei teilweise selbst in den Schlund des Populismus geraten. Schnell war gegenüber der AfD von den Nazis die Rede, sogar vom "Nazischwein", von der Selektion von Migranten an der Rampe, wie man es aus Auschwitz kannte.
Im jüngsten Wahlkampf setzten BVB/Freie Wähler die Regierenden mit faulem Obst gleich, also mit etwas, das unbrauchbar ist und weggeworfen werden kann. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde als Gebührenfresser auf den Europa- und Kommunalwahlplakaten herabgesetzt, obwohl die Frage der Rundfunkgebühren weder auf Europaebene noch in Kommunalvertretungen entschieden wird.
Mancher mag bei all diesen Beobachtungen schmunzeln und die Vorgänge als Ausrutscher in politischem Alltagsgeschäft abtun. Oder er sieht den Landtag als Spiegel der Gesellschaft und auch die reibt sich ja gerade mächtig an den Krisen dieser Zeit. Alles gut also? Keinesfalls. Ich sehe in diesem immer schrilleren Buhlen um Wählerstimmen einen rapiden Verlust an politischem Anstand.
Dabei ist Anstand Schmierstoff einer Gesellschaft und erst recht eines demokratischen Systems. Es droht unterzugehen, was eigentlich zu den Juwelen der parlamentarischen Auseinandersetzung gehört: das stete Ringen um Kompromisse und seine Würdigung. Populismus und Extremismus versprechen einfache Antworten auf komplexe Prozesse, doch wer genau hinschaut, der wird sehen, dass es diese einfachen Antworten nicht gibt.
Die vergangenen fünf Jahre gehörten zu den kräftezehrendsten, die das Land, seine Regierung und der Landtag erlebt haben. Der Umgang mit der Corona-Pandemie war eine gesundheits- und gesellschaftspolitische Herausforderung. Sie spaltet bis heute die Bevölkerung, die Folgen dieser Pandemie sind noch immer nicht abzusehen. Danach kam der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, mit vielen Geflüchteten, die nach Brandenburg kamen, und vielen offenen Fragen um die Energieversorgung der Zukunft.
Daneben schwelen der Kampf gegen die globale Erwärmung, die Brandenburg besonders zu treffen droht, die Zuwanderung vieler Menschen nach Deutschland, die Sicherung von Pflege und Gesundheitsversorgung, der Lehrkräftemangel und viele andere Baustellen mehr. Die Regierung und die Kenia-Fraktionen hatten in kurzer Zeit viele Entscheidungen zu treffen, manche waren zu spät, zu früh, richtig oder schlicht falsch.
Wir haben in den Medien darüber berichtet, oft über Zoff, Streit und Unstimmigkeiten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es drei sehr ungleichen Partnern gelungen ist, in dieser turbulenten Zeit zu Entscheidungen zu gelangen, zu Kompromissen, die am Ende keine Maximallösungen waren, aber doch Ergebnisse, mit denen es sich arbeiten ließ. Sie haben sich zusammengerauft, teils auch kritisch-konstruktiv unterstützt von der Opposition von Linken und BVB/Freie Wähler, nicht aber von der AfD. Die AfD hat ihren eigenen Kurs eingeschlagen, investiert viel in eigene Medien und in die Außendarstellung. Sie stellt die größte Oppositionsfraktion, hatte aber bis April dieses Jahres insgesamt nur elf Gesetzentwürfe eingebracht.
Zum Vergleich: Die zahlenmäßig deutlich kleineren Fraktionen von BVB/Freie Wähler und Linken versuchten sich zusammen an fast dreimal so vielen eigenen Gesetzentwürfen. Treibstoffe der AfD sind das Dagegensein und Ausgrenzen, die fundamentale Änderung der politischen Verhältnisse, wie wir sie kennen, nicht das konstruktive Miteinander. Doch wieviel Strecke kann ein demokratisches Parlament auf Dauer mit solchen Treibstoffen machen?
Alle fünf Jahre wird der Landtag neu gewählt und findet sich in einer anderen Zusammensetzung wieder. Demokratie lebt von Wechseln, von Wahlen, in denen die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, wer hier einzieht und wer eben nicht. Sieben Mal ist das in Brandenburg seit der Geburt dieses Bundeslandes so gegangen.
Es ist demokratische Routine, doch noch nie war die Unsicherheit über eine künftige Zusammensetzung so groß wie heute – und wer dieses Land nach den nächsten Wahlen regieren wird. Oder wer es regieren kann. Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), von dem niemand genau weiß, was es vorhat, und einer in Umfragen starken, teils rechtsextremen AfD deutet sich am Horizont eine Konstellation an, die die Verhältnisse auf den Kopf stellen kann. Am Ende dieser Legislatur steht daher kein Wechsel bevor wie immer. Ich weiß schon jetzt: Ich werde den alten Landtag vermissen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 21.06.2024, 9:25 Uhr
Beitrag von Hanno Christ
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