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Audio: radio3 | 03.07.2024 | Susanne Papawassiliu im Gespräch mit Burak Yilmaz | Quelle: picture alliance/AP/E.Noroozi

"Graue Wölfe" und Nationalismus

Rechtsextreme und Rassisten nutzen Fußball-EM als Bühne

Rechtsextreme und Rassisten wittern in der "Sommermärchen-EM" immer mehr eine Chance, um ihre Ideologie und ihre Symbole zu normalisieren. Der Gruß der "Grauen Wölfe" ist nur die jüngste Inszenierung. Von Efthymis Angeloudis

Es ist die 59. Minute des Spiels der Türkei gegen Österreich in Leipzig. Nach einem Eckball dringt der türkische Abwehrspieler Merih Demiral in den Strafraum ein, springt hoch in die Luft und macht mit einem wuchtigen Kopfball das 2:0. Die Freude auf dem Spielfeld und auf den Rängen ist groß. Demiral läuft zu den Türkei-Fans, hebt die Arme und zeigt im Leipziger Stadion den sogenannten Wolfsgruß, das Symbol der rechtsextremen "Grauen Wölfe".

"Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun", erklärt Demiral nach dem Spiel. "Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste."

Das nehmen ihm aber längst nicht alle ab. Dass Demiral versucht, den Wolfsgruß mit seiner Identität zu begründen, bezeichnet der Pädagoge und Autor Burak Yilmaz als Verharmlosung. "Wenn er sagt, das ist Zeichen der Türken, da müsste man ihn korrigieren und sagen: Nein, es ist ein Zeichen von Faschisten", sagt er im Gespräch mit Radio 3 vom rbb.

Fußball-EM

"Wolfsgruß" wird zur Staatsaffäre - Erdogan kommt am Samstag nach Berlin

Der "Wolfsgruß" des türkischen Nationalspielers Demiral nach dem EM-Achtelfinale gegen Österreich hat hitzige Debatten ausgelöst. Nun will Präsident Erdogan am Samstag zum Viertelfinale gegen die Niederlande nach Berlin kommen.

"Faschistische Solidarisierung"

Ahnungslosigkeit seitens Demirals könne man auch nicht als Argument benutzen, sagt Yilmaz. Der Gruß sei ein politisches Statement. Demiral wolle damit klarstellen, wo er steht. "Wenn er sagt, dass ihm die Fans in der Kurve bereits den Gruß gezeigt hätten und er ihn zurückgezeigt habe, dann ist das eine faschistische Solidarisierung mit seinen Brüdern", entgegnet der Autor.

Yilmaz hat lange zu den "Grauen Wölfen", wie die Anhänger der rechtsextremistischen "Ülkücü-Bewegung" bezeichnet werden, recherchiert. Die Bewegung wird in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet. In der Türkei ist die ultranationalistische MHP ihre politische Vertretung und sogar Bündnispartnerin der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Fußball als Möglichkeit neue Anhänger zu rekrutieren

In der Ideologie der "Grauen Wölfe" gilt das Türkentum als überlegen, besonders im Vergleich zu Armeniern, Griechen, Kurden und Juden. Vor allem fallen sie durch Expansionsgedanken auf. Türken hätten ihrer Meinung nach einen Anspruch auf ein Gebiet vom Balkan bis nach China. "Und deswegen ist es auch richtig, dass man diese Bewegung als rechtsextrem einordnet, weil diese Ideologie auf Rassismus, Antisemitismus und Frauenhass basiert", sagt Yilmaz.

Dabei ist Fußball für die "Grauen Wölfe" eine Möglichkeit neue Anhänger zu rekrutieren. Besonders weil sich ganz viele junge Menschen für den Fußball interessieren. "Gerade Jugendliche im Alter von 12 bis 16, die ihre Rolle in der Gesellschaft noch suchen, auf die gehen sie zu, bauen Kontakte auf, und da geht es gerade darum ihre Begriffe zu normalisieren, ihre Symbole zu normalisieren und da ist gerade der Fußball ein gefundenes Fressen", erklärt Yilmaz die Bestrebungen der "Ülkücü-Bewegung".

Der albanische Fußballnationalspieler Mirlind Daku | Quelle: imago images/S.Mikhailichenko

"Wolfsgruß" nur einer von vielen Vorfällen

Doch der "Wolfsgruß" ist bei Weitem nicht der einzige rechtsextreme Eklat bei dieser EM: Mehrmals erregten Spieler und Fans mit nationalistischen Transparenten und rechtsextremen Parolen Aufsehen [Deutschlandfunk].

Der serbische Fußball-Verband beklagte, dass es bei der Vorrundenpartie der Fußball-Europameisterschaft in Gruppe B zwischen Kroatien und Albanien in Hamburg Gesänge und Sprechchöre beider Fanlager gegeben habe, mit dem Text: "Tötet, tötet, tötet die Serben!" Gegen den serbischen Verband wurde widerrum eine Geldstrafe ausgesprochen, nachdem Fans eine Flagge mit einer Landkarte Serbiens gezeigt hatten - inklusive Kosovo, das seit 2008 unabhängig ist.

Der albanische Fußballnationalspieler Mirlind Daku wurde für zwei Spiele bei der Europameisterschaft gesperrt, nachdem er im Hamburger Volksparkstadion vor der albanischen Fankurve nationalistische Gesänge mit einem Megafon angeführt hatte.

Ungarische Fans zeigten vor und während des Spiels gegen Deutschland in Stuttgart ein Banner mit der Aufschrift "Free Gigi" und sangen das Lied "L' amour toujours", das mittlerweile als rechtsextremer Code gilt. In Deutschland wurde es zuletzt bei zahlreichen Vorfällen durch verfassungsfeindliche Parolen begleitet, viel beachtet auf Sylt. Aber auch durch deutsche Fans kam es zu rechtsextremen Vorfällen, allerdings außerhalb der Stadien.

Politische Deutungskämpfe im Stadium

Dass die EM als Bühne für solche Zwecke missbraucht werden könnte, davor wurde im Vorfeld bereits gewarnt. Fußball ist in Europa in fast allen Ländern die bedeutendste Sportart. "Deswegen bietet sich die EM an, um politische Deutungskämpfe vorzunehmen oder die Spiele als Bühne zu verwenden", erklärt Fanforscher Jonas Gabler im Interview mit dem rbb.

"Generell kann man sagen, dass natürlich sich im Fußball auch gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln", erklärt Gabler auf Radio 3 vom rbb. "Wenn in der Europawahl in vielen europäischen Ländern extrem rechte und rechtspopulistische Parteien an Zustimmung gewinnen, dann können wir auch davon ausgehen, dass sich das im Fußball gewissermaßen widerspiegelt."

Länderspiele und besonders eine EM können also als Schaubühne für rechtsextreme Zwecke benutzt werden. Die hoch emotionalisierte Atmosphäre bietet sich zudem an, um neue Anhänger zu rekrutieren.

Harte Konsequenzen für Demiral oder sogar Verbot der "Grauen Wölfe"

"Das funktioniert bei einer EM gut", sagt Gabler. Weil es normal sei, mit Transparenten und Symbolen zu arbeiten. "Dann geht es vielleicht auch manchmal einfach unter, und es wird unter Patriotismus abgespeichert. Tatsächlich geht es aber darum, auch wirklich nationalistische, extrem-rechte Symbole in der Öffentlichkeit und damit vor einer großen Bühne zeigen zu können."

Um so wichtiger sei es, nicht nur den Gruß der "Grauen Wölfe" unter Strafe zu stellen, sondern auch die Vereine der "Grauen Wölfe" zu verbieten, sagt Yilmaz. "Und vor allem würde ich mir von der Uefa im Fall Demiral harte Konsequenzen wünschen."

Denn letztendlich sei es paradox, wenn die Uefa Werbebanner mit der Aufschrift "No to racism" aufhänge, während jemand einen faschistischen Gruß auf dem Spielfeld zeige, so der Autor und Pädagoge. "Wenn das konsequenzlos bleibt und der noch mitspielen darf, dann macht sich die Uefa einfach unglaubwürdig."

Zur Zeit untersucht die Uefa den Fall Demiral noch. Ob der "Wolfsgruß" oder sogar die "Grauen Wölfe" in Deutschland verboten werden sollten, ist unklar. Einem Verbotsantrag hat Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) bislang nicht zugestimmt [fr.de].

Sendung: Radio 3, 03.07.2024, 16:30 Uhr

Beitrag von Efthymis Angeloudis

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