René Wilkes Parteiaustritt
Wenige Wochen vor der Brandenburger Landtagswahl scheint Die Linke nicht einmal mehr ihr eigenes Personal überzeugen zu können. Der Austritt von René Wilke war abzusehen, beschwichtigt der Landeschef. Doch der Zeitpunkt ist schmerzhaft gewählt. Von Oliver Noffke
Der Bruch mit Sahra Wagenknecht ist mehr als ein halbes Jahr her, doch Die Linke kommt nicht zur Ruhe. Die Kritik an der Bundesspitze flammt erneut auf. Die Parteilinie ist für einige nicht mehr tragbar. Wegen des Umgangs mit Wagenknecht, aber auch wegen der inhaltlichen Ausrichtung.
Am Samstag gab der Frankfurter Oberbürgermeister René Wilke bekannt, die Partei zu verlassen. Wegen "inhaltlicher Differenzen". Allerdings nicht in Land oder Kommune. Im Stadtrat wollen Wilke und Die Linke weiterhin eng zusammenarbeiten, versichern beide Seiten. Es liege am grundsätzlichen Kurs der Partei, sagte er.
"Positionen - gerade bei bundespolitischen Fragen - haben sich in einem Maße unterschieden, dass man das auch nicht mehr mit Pluralismus schönreden kann", sagte Wilke am Montag dem rbb. Er kritisierte die Haltung seiner Partei gegenüber Russland. "Für mich hat der Krieg gegen die Ukraine viel verändert."
Er sprach auch von fehlender Balance zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. "Ich glaube schon fest an ein Sicherheitsnetz, das notwendig ist, aber das auch eine Balance braucht und nicht zur Hängematte werden darf." Seit einiger Zeit bereits habe er für seine Ansichten aus der Partei Gegenwind erfahren, sagte er.
Mit Wilke verliert die Partei eines ihrer bekanntesten Gesichter in Brandenburg. Einen der wenigen verbliebenen Entscheider in gewichtiger Position. Zudem quasi ein Eigengewächs. Mit 16 war Wilke in die Vorgängerpartei PDS eingetreten, seit fast zweieinhalb Jahrzehnten vertritt Wilke Politik links der Sozialdemokratie. Und das ziemlich erfolgreich.
Er wurde 2018 nicht nur der erste Oberbürgermeister der Linken in Brandenburg, mit gerade mal 34 war er auch der mit Abstand jüngste in der Geschichte des Landes. Mit der Entwicklung aber, die die Linke in den vergangenen Jahren genommen hat, hadert Wilke seit einiger Zeit.
Mit dem bundespolitischen Kurs der Linken eckte Wilke immer wieder an. Entgegen der Parteilinie sprach er sich schon vor Jahren für die Abschiebung von straffälligen Asylbewerbern aus. Er tritt – anders als die Linke - für die militärische Unterstützung der Ukraine ein. Wilke fordert zudem eine Sozialpolitik, die es den Menschen nicht zu bequem macht, sondern auch fordert. Wilke fremdelte und tat dies vor einem bundesweiten Publikum, etwa bei Markus Lanz. Sein Austritt war absehbar. Die Frage war nur, wann würde er es tun?
Nach der verkorksten Bundestagswahl im September 2021 beklagte Wilke, dass die Partei nicht mehr als Interessenvertreterin der Menschen wahrgenommen werde. "Sie kann im Moment nicht überzeugen mit Konzepten, mit tatsächlichem Gestaltungsanspruch, der abgenommen wird", sagte Wilke damals dem rbb. "Das ist wohl Teil des Problems." Er wolle sich nun weder der SPD noch dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) anschließen. Lieber allein als weiter mit den Linken.
Auch Marlen Block will lieber als Einzelkämpferin weiter Politik machen. Die innenpolitische Sprecherin der Linken im Brandenburger Landtag war vor zwei Wochen aus der Partei ausgetreten. Sie wolle sich weiterhin für Themen wie soziale Gerechtigkeit, einen menschlichen Umgang mit Geflüchteten oder Klimaschutz einsetzen, "aber unabhängig von der Partei Die Linke." Sie habe sich mittlerweile entfremdet und kritisierte, dass die Partei Sahra Wagenknecht zu lange gewähren lassen hatte.
Andere prominente Kommunalvertreter der Linken wechselten hingegen schnurstracks ins BSW. Templins Bürgermeister Detlef Tabbert trat ein, kaum dass die Partei gegründet war.
Von einer Austrittswelle will Landeschef Sebastian Walter jedoch nichts wissen. Er spricht von einer Reihe persönlicher Entscheidungen. Allein in den vergangenen zwei Wochen habe es laut Walter Hunderte Eintritte gegeben. "Überraschend kam der Schritt nicht. Herr Wilke hat ja schon seit mindestens drei Jahren gesagt, dass er ein Problem hat mit der Positionierung der Bundespartei", so Walter am Montag gegenüber rbb24 Brandenburg aktuell.
"An einer Stelle muss ich Herrn Wilke doch aber recht geben", sagte er. Es bestehe Klärungsbedarf zur inhaltlichen Ausrichtung der Partei auf Bundesebene. "Das ist auch unser Problem, das wir hier in Brandenburg haben." Die Linke sei zu einer Ja-aber-Partei geworden und biete keine klare Opposition mehr, so Walter.
Im Wahlkampf ist Wilkes Austritt ein herber Schlag für Walter. Nach einem jahrelangen, lautstarken, internen Streit macht die Partei nun wieder mit einer Resignation Schlagzeilen. Wie sollen Walter und sein Team die Wählerinnen und Wähler überzeugen, wenn die eigenen Leute nicht zu halten sind?
André Stahl, Bürgermeister von Bernau, kritisiert deshalb weniger den Austritt an sich, sondern vielmehr den Zeitpunkt. Schließlich muss Die Linke momentan um den Wiedereinzug in den Brandenburger Landtag bangen. "Wenn eine Partei ohnehin in schwierigem Fahrwasser ist, wie Die Linke es gerade ist, ist es natürlich nicht hilfreich, wenn dann auch noch Protagonisten aus der Partei austreten." Es hätte Zeitpunkte gegeben, die der Partei weniger Ärger bereitet hätten, so Stahl.
2026 stehen die nächsten Oberbürgermeisterwahlen an. Gut möglich, dass sich Wilke in Vorbereitung darauf von der Partei frei machen wollte. Bislang lässt er offen, ob er in eine andere Partei eintreten möchte. Vorerst will er als Parteiloser weitermachen. Als er seine Entscheidung am Samstag bekannt gab, bedankte sich René Wilke beim Landeschef. Walter sei ein glaubwürdiger Vertreter und Anker innerhalb der Linken. Einer Partei allerdings, der Wilke selbst nicht länger angehören will.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 03.07.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Oliver Noffke
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