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Quelle: dpa/Bernd Weißbrod

Interview | Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus

"Es gibt rechte Vorfälle verschiedenster Art an nahezu jeder Schule in Berlin"

Bei antidemokratischen Vorfällen in der Schule können Lehrkräfte Hilfe hinzuziehen. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus bietet auch Fortbildungen in Berlin an. Beraterin Anna Schmidt erklärt, welche Kompetenzen Lehrkräften vermittelt werden.

rbb|24: Frau Schmidt, gibt es einen "Rechtsruck" an Schulen?

Anna Schmidt: Im Moment bekommen wir viele Anfragen wegen rechtsextremer Flyer, die vor Schulen verteilt werden, oder etwa wegen rassistischer Aussagen im Unterricht oder auf dem Pausenhof. Es gibt eine größere Verunsicherung vor allem bei angehenden Lehrkräften, darüber, wie sie mit Vorfällen umgehen können, etwa mit provokanten Nachfragen im Geschichtsunterricht.

Unserer Einschätzung nach steigt die Sensibilität der Lehrkräfte dafür, was sie als problematisch wahrnehmen und wo sie einen Handlungsbedarf sehen. Wir hatten schon immer eine hohe Nachfrage aus dem Schulbereich. Das ist ein relevantes Feld, weil man als Lehrkraft den Auftrag hat, demokratische Werte zu vermitteln.

In den wenigsten Fällen werden die Lehrkräfte es mit gefestigten Weltbildern oder Kindern und Jugendlichen zu tun haben, die aus rechtsextremen Elternhäusern kommen. Nichtsdestotrotz gibt es kein unschuldiges Nachplappern, denn es deutet immer auch auf eine fehlende Distanz zum rechtsextremen Gedankengut hin. Das muss man klar sagen.

Wenn man als Lehrkraft ein Problem an der Schule erkannt hat und sich bei Ihnen meldet - wie arbeitet dann die Mobile Beratung?

Wir sind in erster Linie eine Beratungseinrichtung, geben aber auch Fortbildungen und Weiterbildungen. Menschen treten an uns heran, weil sie ein Problem wahrnehmen und etwas verändern möchten. Im Kontext Schule sind das zumeist rassistische oder rechte Aussagen und Verhalten von Schülern oder Schülerinnen, weswegen wir dann von Lehrkräften oder auch manchmal Eltern angefragt werden. Wir wissen aber auch, dass solche Aussagen auch von Lehrkräften getätigt werden.

Wir versuchen nach dem Dreiklang "Wahrnehmen, Deuten, Handeln" zu arbeiten. Wir finden heraus, was passiert ist und ob es davor schon Vorfälle gab. Dann analysieren wir das gemeinsam: Gibt es etwa Radikalisierungstendenzen bei den Schülerinnen und Schülern? Woher kommen die Dinge, die gesagt wurden? Zum Schluss entwickeln wir Handlungsmöglichkeiten. Da stellen sich die Fragen: Wie ist die Schule generell aufgestellt, wie unterstützend sind das Kollegium und die Schulleitung?

Zur Person

Anna Schmidt

Wie sieht so eine Fortbildung in der Praxis aus?

Wir fangen in den Fortbildungen immer mit einem theoretischen Input an, etwa mit einer Definition von Rechtsextremismus. Aber auch, wie verbreitet bestimmte Einstellungen in der Bevölkerung sind. Einige Einstellungsmerkmale wie Rassismus oder Antisemitismus werden von einem relevanten Teil der Bevölkerung geteilt.

Wir gucken dann, welche Themen die Lehrkräfte besonders interessieren. Im Bereich Rechtsextremismus ist das vor allem die Jugendkultur. Wir schauen uns zum Beispiel rechtsextreme Rapmusik an, YouTuberinnen, Influencer aus dem rechtsextremen Bereich und wie dort die Ideologie an die Jugendlichen herangetragen wird.

Im zweiten Teil legen wir den Fokus auf die Praxis. Wir suchen ganz konkrete Beispielsituation heraus - etwa Situationen, die die Lehrkräfte selbst erlebt haben. Diese Beispielsituationen besprechen wir anschließend und versuchen eine Art Werkzeugkoffer zu schaffen, aus denen sich die Lehrkräfte bedienen und über Konsequenzen entscheiden können. Die Bandbreite reicht von einem einfachen Nachfragen bis hin zu einem Verweis. Sie muss den einzelnen Lehrkräften dann für die Situation passend erscheinen.

Wie gut sind Lehrkräfte vorbereitet?

Der Umgang mit antidemokratischen Tendenzen muss verpflichtender Teil in der Ausbildung der Lehrkräfte werden. Wir haben Menschen, die Lehramt studieren und das Referendariat durchlaufen und sich nicht ein einziges Mal mit diesen Themen auseinandersetzen mussten. Ob sich Lehrkräfte weiter- und fortbilden, hängt also viel vom persönlichen Engagement ab - das kann nicht sein.

Oft werden wir zu schulpraktischen Seminaren eingeladen, die Lehramtsanwärter:innen während ihres Referendariats begleiten. Aber das hängt immer von den Seminarleitungen und ihrem Engagement ab. Die müssen sich dann dahinter hängen, damit die Lehramtsanwärter:innen für einen Tag von den Unterrichtsverpflichtung befreit werden.

Im Prinzip stecken wir da in einer Spirale: wir haben Lehrkräftemangel, deswegen wird sehr stark darauf geachtet, dass auch Lehramtsanwärter:innen in der Ausbildung möglichst viel unterrichten. Das geht aber an einigen Stellen auch zulasten der Ausbildungszeit.

Und wie können die Schüler:innen gestärkt werden?

Man muss Schülern und Schülerinnen die Möglichkeit geben, das Schulleben demokratisch mitzugestalten. Sie sollten sich schon frühzeitig selbst als handlungswirksam erleben, denn das ist die beste Vermittlung von Demokratie, nicht der Gang zur Wahlurne alle paar Jahre.

Die Aufgabe von Lehrkräften ist natürlich auch, mit einem demokratischen Klima in der Schule die Schülerinnen und Schüler zum Widerspruch zu animieren. Das ist es, was am meisten hilft - wenn es gar nicht unbedingt immer die Lehrkraft ist, die einen Widerspruch einlegen muss, sondern wenn die Irritation auch von den Mitschülern und Mitschülerinnen kommt. Wenn die sagen: 'Hey, ich finde es nicht lustig, dass du rassistische Memes im Klassenchat verschickst.'

Was braucht es, damit Ihre Arbeit nachhaltig erfolgreich ist?

Zum einen braucht es Sensibilität, um früh gewisse Narrative wahrzunehmen. Dann kann am Anfang eine interessierte Nachfrage eine gute Reaktion sein. Vielleicht gibt es gerade ein Thema, was die Schüler und Schülerinnen interessiert und sie haben dazu bisher nur Quellen aus dem rechtsextremen Spektrum gelesen. Da kann man ansetzen.

Es braucht aber auch gute Rahmenbedingungen innerhalb der Schule. Es muss Ansprechpersonen für Lehrkräfte geben. Mit unserem Workshop können wir Lehrkräfte nicht zu Experten und Expertinnen im Bereich Rechtsextremismus machen. Sie müssen wissen, an wen sie sich mit ihren Fragen wenden können. Es braucht eine Schulleitung, die sensibel ist für dieses Thema und den Lehrkräften alle Unterstützung bietet.

Und: wir müssen anfangen, darüber zu reden, auch gesamtgesellschaftlich. Aus unserer Erfahrung würden wir sagen: Es gibt rechte Vorfälle verschiedenster Art an nahezu jeder Schule in Berlin. Aber: es wird nicht drüber gesprochen, weil das schnell als ein Manko für die Schule gilt. Das Schweigen über Vorfälle ist das Manko - nicht das Darübersprechen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jonas Wintermantel, rbb|24

Sendung: rbb24 Abendschau, 05.07.2024, 19:30 Uhr

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