Bundesweiter Schulvergleich "Vera"
Das Leistungsniveau von Berliner Drittklässlern hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Das geht aus dem aktuellen Vera-Vergleichstest hervor. Noch schlechter beurteilt wurden die Achtklässler an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen.
Große Teile der Berliner Drittklässler können schlecht lesen und rechnen. Das haben Vergleichsarbeiten gezeigt, die im vergangenen Schuljahr durchgeführt wurden - der sogenannte Schulvergleichstest Vera. Die Ergebnisse dieser bundesweit durchgeführten Tests fallen auch für die Berliner Achtklässler ernüchternd aus.
Demnach erreichten 43 Prozent der Drittklässler beim Lesen und beim Hörverständnis nicht einmal den Mindeststandard. In Mathematik blieben sogar 46 Prozent unter den Mindestanforderungen. In beiden Fächern hat sich das Niveau im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert.
Noch schlechter schneiden die Achtklässler an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen ab: Im Mathetest scheiterten 74 Prozent an den Mindestanforderungen, im Lesen 62 Prozent. In Rechtschreibung fielen die Ergebnisse besser aus. Hier kam knapp ein Drittel (30 Prozent) nicht auf das Mindestniveau. Leistungen im oberen Kompetenzbereich erreichten nach Angaben der Bildungsverwaltung nur wenige.
Zuerst hatten "Morgenpost" und "Tagesspiegel" [Bezahlinhalte] über die Zahlen berichtet.
Von der Senatsverwaltung für Bildung hieß es, die Ergebnisse "zeigen erneut einen Rückgang der Leistung unserer Schülerinnen und Schüler. Sowohl in den Grundschulen als auch in den weiterführenden Schulen fallen die Ergebnisse schlechter aus als zuvor, und Berlin schneidet im Bundesvergleich weiterhin schwach ab."
Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) nennt die Ergebnisse "nicht akzeptabel" und setzt darauf, dass angestoßene Reformen greifen, zum Beispiel mehr Lesetraining. Die AfD spricht von einem "katastrophalen Versagen des Berliner Schulsystems". Besorgte Stimmen kommen auch aus der Wirtschaft, die auf ordentlich ausgebildete Schulabgänger angewiesen ist. Die Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg nennen die Vera-Ergebnisse ein "unüberhörbares Alarmzeichen".
An den Gymnasien sind die Werte deutlich besser, aber auch hier scheiterte bis zu jeder fünfte an einfachsten Aufgaben. In Mathematik erreichten im Bereich "Zahl" 13 Prozent der Achtklässler die Mindeststandards nicht, im Bereich "Daten" und "Zufall" waren es 21 Prozent. Beim Lesen erlangten 12 Prozent der Schüler das Mindestniveau nicht, in Rechtschreibung nur ein Prozent.
Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch reagiert auf die neuerlich schlechten Ergebnisse mit Kritik am Handeln ihrer Vorgängerinnen aus der SPD, die ein Vierteljahrhundert lang die Bildungspolitik in Berlin bestimmt hatten. "Es reicht nicht, wie in den vergangenen Jahren, immer mehr Ressourcen ins System zu geben", teilte Günther-Wünsch dem rbb mit. Sie setze darauf, die von ihr angestoßene Qualitätsstrategie umzusetzen.
So soll in allen Fächern regelmäßig gelesen werden, nicht nur im Deutschunterricht. An den Grundschulen sollen Fachleitungsstellen für Deutsch und Mathematik eingerichtet werden, um mehr Fokus auf diese Fächer zu richten. Die ersten 72 Stellen für die 360 öffentlichen Grundschulen sind ausgeschrieben, weitere sollen folgen.
Die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Franziska Brychcy, sagte dem rbb, diese Fachleitungen würden schnell "an allen Grundschulen" gebraucht. Außerdem fordert sie, der Senat müsse wieder verstärkt steuern, um die besten Lehrkräfte an die bedürftigsten Schulen zu bringen.
Letzteres unterstreicht auch Marianne Burkert-Eulitz, Sprecherin der Grünen-Fraktion für Bildung. Sie wirft Senatorin Günther-Wünsch vor, mit "ihrer Verweigerung, Lehrkräfte zu steuern", habe sie die Grundschulen "entscheidend geschwächt".
Die AfD gesteht der Bildungssenatorin zu, sie mache vieles richtig. Der bildungspolitische Sprecher Thorsten Weiß erneuert aber die Forderung, an allen Schulen müssten "Deutsch-Garantie-Klassen" eingerichtet werden, in die nur Kinder aufgenommen werden, die über gute Deutschkenntnisse verfügen.
Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg, Andreas Schulz, sieht das schlechte Abschneiden als "riesige Hypothek für den Wohlstand der Zukunft". Dem rbb sagte Schulz, die Schulen müssten sich darauf konzentrieren, dass die "Kernkompetenzen Lesen und Rechnen" gelehrt würden. Um das sicherzustellen, müssten "die Lehrer von Veraltungsaufgaben befreit werden.
Gründe für das schlechte Abschneiden nennt die Vergleichsstudie Vera nicht. Die Bildungsverwaltung teilte dem rbb mit, man könne dazu aktuell nicht nichts sagen, die aktuelle Erhebung werde nun ausgewertet. Linken-Politikerin Brychcy sieht die Corona-Pandemie als einen Grund für die Leistungsprobleme der Schülerinnen und Schüler. Außerdem hätten in den letzten Jahren mehr als zehntausend Geflüchtete aus der Ukraine in Berlins Schulen integriert werden müssen. Dazu komme ein "nie dagewesener Lehrkräfte- und Schulplatzmangel".
Die Vergleichsarbeiten (Vera 3 und Vera 8) sind Tests, an denen sich grundsätzlich alle Bundesländer beteiligen. Alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland bearbeiten die gleichen Testaufgaben.
Nach Angaben des Instituts für Schulqualität der Länder Berlin und Brandenburg fehlen Grundschülern, die den Mindeststandard nicht erreichen, basale Kenntnisse, um einen erfolgreichen Übergang von der Grundschule in die weiterführende allgemeinbildende Schule zu gewährleisten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.7.2024, 7:20 Uhr
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