Im August 1994 wurden die letzten russischen Soldaten in Deutschland verabschiedet. Die Garnisonsstädte erwartete ein gewaltiger Umbruch. In Fürstenberg/Havel sind immer noch Spuren der Vergangenheit zu finden. Von Karsten Zummack
Wer auf der Suche nach alten kommunistischen Ikonen ist, braucht idealerweise festes Schuhwerk und viel Ahnung von der Umgebung. Sabine Hahn hat dies. Als Stadtführerin kennt die 73-Jährige fast jeden Baum, jeden Stein rund um Fürstenberg/Havel (Oberhavel). Gezielt steuert sie in ein unscheinbares, kleines Wäldchen am Stadtrand — kämpft sich über zugewucherte Treppen, durch Gestrüpp.
Vergessenes Monument
Nach etwa einhundert Metern bleibt die rüstige Rentnerin stehen, deutet auf ein Lenin-Monument und eine große Häuserruine, beides eingezäunt. "Das ist ein altes Erholungsheim von vor dem Zweiten Weltkrieg", erklärt sie. Nach 1945 war hier der russische Stab. Die Natur habe sich alles wiedergeholt. "Und den Lenin hat man irgendwie vergessen", scherzt Sabine Hahn. Jeder Waldspaziergang kann hier zur Zeitreise in die Vergangenheit werden.
Es war eine der größten Truppenbewegungen zu Friedenszeiten: Zum Sommer 1994 zieht die russische Armee ihre Soldaten aus Deutschland ab. Zurück bleiben leere Kasernen und munitionsverseuchte Übungsgebiete. Das Museum Lichtenberg zeigt dazu auch die Ausstellung "Die letzte Parade. 30 Jahre Abzug der russischen Truppen aus Berlin."
Wer die Orte kennt, findet in Fürstenberg/Havel vielerorts noch Spuren der Militärzeit: hier ein Sperrschild, dort ein heruntergekommenes Gebäude mit Mosaik, das einen Soldaten mit Gewehr in der Hand zeigt. Auf dem Weg Richtung KZ-Gedenkstätte Ravensbrück steht sogar noch ein grüner Panzer mit Sowjetstern.
Quelle: rbb/Karsten Zummack
Fürstenberger als Minderheit in der eigenen Stadt
Besonders prägnant und sichtbar ist ein Denkmal in Bahnhofsnähe. Ringsherum ruhen sowjetische Soldaten und Offiziere, die im Jahr 1945 gefallen sind. "Das war ein großer Paradeplatz", erinnert sich Stadtführerin Sabine Hahn. Delegationen der DDR-Betriebe legten regelmäßig Kränze nieder. "Und auf der Straße machten die Soldaten große Märsche mit Musik und Stechschritt".
Jahrzehntelang war Fürstenberg/Havel deutlich geprägt von den sowjetischen Streitkräften. Auf 5.000 Einwohner kamen zeitweise 30.000 Militärs. Im Alltag waren sie unübersehbar. Ein Drittel der Stadtfläche wurde militärisch genutzt. Für die Familien aus "Freundesland" gab es eine eigene Schule, eigene Wohngebiete. Ganze Straßen waren für die Einheimischen Tabuzone.
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Begegnungen im Schuhladen
Wenn es im örtlichen Handel neue Schuhe gab, standen oft auch die russischen Offiziersfrauen mit an. Das sorgte schon mal für Unmut. Umgekehrt bekamen die Fürstenberger in den Kasernen-Magazinen aber auch mal Obst, das ansonsten im Konsum nicht verfügbar war. Viele Einwohner arbeiteten auch in den Garnisonen. "Man hat sich arrangiert", erinnert sich Sabine Hahn an die damalige Zeit. Private Kontakte seien aber selten und eigentlich auch von keiner Seite wirklich gewollt gewesen.
Um die Absurditäten des Kalten Krieges anschaulich zu machen, zeigt die Stadtführerin Besuchern gern die Gartenstraße. "Die war damals komplett gesperrt", sagt die 73-Jährige. Jetzt stehen hier recht frisch sanierte Ein- und Mehrfamilienhäuser. Für Sabine Hahn ist dieser Stadtteil ein Musterbeispiel gelungener Konversion.
Gut 15 Millionen Euro für die Konversion
Aus der einstigen Garnisonsstadt ist eine Wasserstadt geworden. Spalier steht hier heute niemand mehr. Stattdessen schlendern vor allem im Sommer Touristen durch Fürstenberg/Havel. Nach dem Abzug der russischen Streitkräfte war die Arbeitslosigkeit schnell in die Höhe geschossen. Doch die Stadt mit ihren Seen hat den Strukturwandel geschafft.
"Die Konversion ist perfekt gelungen", bilanziert der parteilose Bürgermeister Robert Philipp. Mehr als 15 Millionen Euro seien in die Umwandlung ehemals militärischer Liegenschaften in zivile oder naturnahe Nutzung geflossen.
Ganz abgeschlossen ist der Prozess noch nicht, aber wer die Vergangenheit Fürstenbergs nicht kennt, wird sie auf den ersten Blick hier auch nicht sehen. Ganz missen möchte Stadtführerin Sabine Hahn die Relikte aus fast vergessenen Zeiten nicht. "Erinnerung oder auch Warnung ist immer wichtig", sagt sie - mit Blick nicht nur auf Lenins Konterfei im Wald.