Ilja Jaschin in Berlin
Vergangene Woche kam Ilja Jaschin bei dem spektakulären Gefangenenaustausch frei, am Mittwochabend trat er vor zahlreichen Anhängern im Berliner Mauerpark auf. Der Kreml-Kritiker machte der russischen Opposition Mut.
Mehrere hundert Menschen sind in den Berliner Mauerpark gekommen, um ihn persönlich zu treffen: Ilja Jaschin, der Moskauer Kommunalpolitiker und Kreml-Kritiker ist erst vor einer Woche bei dem historischen Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen freigekommen. Als er auf die mitten im Park aufgebaute Bühne tritt, stehen viele von der Wiese auf und begrüßen ihn mit Jubel. "Jaschin! Jaschin!" rufen sie, und er zeigt sich sichtlich berührt von dem warmen Empfang. "Ich wollte dieses Treffen veranstalten, um vor allem Ihnen allen zu danken", sagt er.
In den zwei Jahren hinter Gittern habe er eine starke Unterstützung gespürt. Etwa 30.000 Briefe und Postkarten habe er in der Zeit bekommen und sich als freier Mensch dadurch gefühlt. Ein Drittel davon habe er beantwortet, wie er sagt, "bis zu Blasen an den Fingern vom Schreiben". Auch allen Mitwirkenden am Gefangenenaustausch dankt er erneut.
Gleich zu Beginn seiner Rede verurteilt Jaschin den russischen Angriffskrieg: "Dieser Krieg ist eine Tragödie für die Ukraine." Die Front des Konflikts verlaufe auch durch Russland und durch Belarus, wo Regimekritiker und Freiheitskämpfer verhaftet werden. Er fordert ihre Freilassung und ebenso die Freilassung von gefangenen Ukrainern in Russland. Sein Ziel sei, dass Russland zu einem Land werde, in dem es sich frei und sicher leben lasse und das seine Nachbarn nicht bedrohe.
"Nächstenliebe macht uns stärker. Liebe gibt uns Kraft", sagt Jaschin. Dabei ruft jemand aus der Menge: "Liebe ist stärker als Angst", – ein Zitat des in russischer Haft verstorbenen Oppositionellen Alexey Nawalny, und viele schließen sich an.
Einer der Teilnehmenden aus der russischen Exil-Community ist Evgeny Meshaninov. Er trägt eine grüne Basecap und hat zwei Bücher unter dem Arm. Das eine ist von Nawalny und das andere von Jaschin geschrieben. Diese hat er hier für eine Spende erworben. Meshaninov ist extra für die Veranstaltung aus Mannheim über 12 Stunden mit dem Deutschlandticket angereist. "Ich habe lange gezögert, ob ich hierherkommen soll." Er habe schon in Russland an solchen Veranstaltungen teilgenommen. Er selbst habe Russland mit seiner Familie kurz nach der russischen Invasion der Ukraine verlassen, unter anderem, weil er gegen den Krieg protestiert habe.
"Ich glaube, diese Veranstaltung hier ist auch ein kleiner Versuch, etwas an der politischen Situation zu ändern, sich zusammen zu schließen", sagte Meshaninov. Auch für Ilja Jaschin ist es ein Anliegen, mit anderen oppositionellen Politikerinnen und Politikern gemeinsam zu agieren, die Opposition gilt als zerstritten. Als positives Beispiel nennt er die Spendenaktion für politische Gefangene, die seit zwei Jahren am 12. Juni stattfindet. Jaschin will gemeinsam nach weiteren Themen und Projekten suchen, um die Zusammenarbeit voranzubringen.
Direkt hinter der Bühne stellen sich zwei Frauen und ein Mann mit Plakaten auf. Sie und andere Protestierende widersprechen Jaschins Äußerungen, dass viele Russen gegen den Krieg seien. Eine von ihnen ist Anhelina Klymenuk, sie kommt aus der Ukraine. Auf ihrem Plakat steht "Ist es Putin, der Bomben und Raketen auf Kinder abschießt? Oder sind es viele Russen?" Sie sagt, schuld sind Menschen, die auf Putin hören und ihn unterstützen: "Deswegen beschießen sie meine Familie und viele Leute in der Ukraine mit Raketen." Aus dieser Kritik, die in letzten Tagen auch seitens russischer Regimegegner kam, Jaschin hätte wenig Mitgefühl mit der Ukraine, hat er offenbar Lehren gezogen und spricht während des Treffens mehrfach über die Ukraine.
Auch die ukrainische Journalistin Anna Filimonova ist als Teilnehmerin da: "Ich freue mich für Ilja, dass er frei ist". Sie sei nicht mit allem einverstanden, was er öffentlich sagt. Dennoch sagt sie, empfindet sie für ihn eine gewisse Empathie.
Am Ende seiner Rede will Jaschin Hoffnung und Mut zusprechen, auch wenn man Opfer bringen müsse. "Bitte verzweifeln sie nicht, unterstützen Sie einander", sagt er und steigt von der Bühne runter auf die Wiese. Er sei überzeugt, es wird alles gut werden. "Russland wird frei sein!", ruft Jaschin in die Menge.
Viele junge Menschen sind zum Treffen gekommen, aber auch einige ältere. Eine davon ist Morin Smolé, sie hat vor über 25 Jahren Russland verlassen: "Ich kannte Jaschin gar nicht so richtig. Aber ich finde es ist wichtig, sich mit politischen Gefangenen zu treffen." Den Abend fand sie inspirierend. "Ich habe noch nie Briefe an politische Gefangene geschrieben, aber ich habe es mir nun vorgenommen, das zu tun".
Sendung: Radioeins, 08.08.2024, 7:40 Uhr
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