Debatte um Standort
Nach dem Terroranschlag von Solingen fordert die CDU in Berlin eine deutliche Ausweitung der Abschiebehaft. Der Koalitionspartner SPD würde eine Ausweitung der Abschiebehaft mittragen, ist aber gegen den vorgeschlagenen Standort. Von Boris Hermel
Die frühere Jugendarrestanstalt am Kirchhainer Damm kurz vor der Berliner Stadtgrenze in Lichtenrade wird seit 2018 als Abschiebegewahrsam genutzt, ausschließlich für verurteilte ausreisepflichtige Straftäter und sogenannte Gefährder. Insgesamt gibt es dort zehn Haftplätze. Die Anstalt, die von der Polizei geleitet wird, ist oft nur mit wenigen Inhaftierten, teilweise monatelang auch gar nicht belegt.
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Burkard Dregger, fordert nun, dass das Gefängnis "auch genutzt wird für sonstige Ausreisepflichtige. Das wäre ein probates Mittel, um das Abtauchen von Menschen vor ihrer Abschiebung zu unterbinden". Nach dem terroristischen Messeranschlag von Solingen sei es wichtig, "dass die Bevölkerung erkennt, es passiert einiges". Berlin müsse alle rechtsstaatlichen Mittel nutzen, um die Ausreisepflicht durchzusetzen.
Beim Koalitionspartner SPD stößt Dregger nicht auf grundsätzliche Ablehnung. Innensenatorin Iris Spranger hatte bereits am Montag in der rbb24 Abendschau ihre Zustimmung zur Ausweitung der Abschiebehaft erklärt. "Wir müssen einfach wissen, wo die Leute sind, um sie abschieben zu können."
Etwas zurückhaltender äußert sich Martin Matz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Er sei für Vorschläge offen, wenn sie sinnvoll und effizient seien. Auch bei den bislang praktizierten Direktabschiebungen müsse die Polizei den Ausreisepflichtigen ja erstmal antreffen. Gleiches gelte bei der Verhängung von Abschiebehaft.
Den Standort am Kirchhainer Damm in Lichtenrade aber hält er nach eigener Aussage für ungeeignet, weil es dort zu wenige Haftplätze gebe. Außerdem seien Teile der Anstalt bereits für den völlig überlasteten Maßregelvollzug vorgesehen.
Ähnlich positioniert sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Wir brauchen ein Gebäude, in dem sämtliche humanitäre Grundsätze gewährleistet werden können. Das sehen wir momentan beim Vorschlag Kirchhainer Damm nicht", so GdP-Sprecher Benjamin Jendro. Allein die zehn Zellen, die es dort gebe, reichten vorn und hinten nicht aus.
Jendro zeigt sich überzeugt, dass eine neue Haftanstalt die Abschiebezahlen erhöhen würde. Derzeit wüssten viele Ausreisepflichtige über soziale Medien schon vorher, wann ihr Charterflug stattfinden soll, und tauchten an dem Tag unter. Mit einem Gewahrsam hätte die Polizei die Möglichkeit, die Menschen "auch mal eine Woche vorher abzuholen".
Ohne eine Abschiebehaft könne Berlin die Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz, die der Bundestag im Februar beschlossen hatte, nicht nutzen. Demnach kann Abschiebehaft auf richterliche Anordnung nicht nur bei Straftätern und Gefährdern angewendet werden, sondern auch bei Ausreisepflichtigen ohne Fluchtgefahr, wenn sie vollziehbar ausreisepflichtig sind.
Die oppositionellen Grünen dagegen lehnen eine neue Abschiebehaftanstalt ab. "Wir müssen natürlich schauen, dass das Recht durchgesetzt wird", sagt deren innenpolitischer Sprecher Vasili Franco. Abschiebehaft sei aber ein teures Unterfangen. "Bevor man hier Millionen verpulvert, sollte man diese in Integration und Deradikalisierung stecken", so Franco.
Auch der Flüchtlingsrat warnt davor, "in Berlin lange erkämpfte Standards abzusenken, weil ausreisepflichtige Menschen unter Generalverdacht gestellt werden sollen für die Tat eines Einzelnen", so Sprecherin Emily Barnickel.
Die Berliner AfD-Vorsitzende Kristin Brinker hingegen unterstützt die Überlegungen für eine Ausweitung der Abschiebehaft in Lichtenrade. "Das ist eine Maßnahme, die Kai Wegner schon seit anderthalb Jahren hätte umsetzen müssen", so Brinker. Wegen des begrenzten Platzes am Kirchhainer Damm fordert sie darüber hinaus eine weitere, größere Abschiebehaftanstalt.
Viele Jahre lang hatte Berlin übrigens ein großes Abschiebegefängnis mit 350 Haftplätzen in Grünau. 2015 wurde es geschlossen – unter der Ägide des damaligen CDU-Innensenators Frank Henkel. Begründung: Direktabschiebungen ohne vorherige Haft seien effektiver.
Sendung: rbb24 Abendschau, 29.08.2024, 19:30 Uhr
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Beitrag von Boris Hermel
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