Wegfall der Sozialbindung
In Friedrichshain-Kreuzberg sind Tausende Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen. Bis Ende 2025 verliert der Bezirk noch ein Viertel der Sozialwohnungen. Es drohen drastische Mieterhöhungen oder gar Kündigungen. Von D. Knieling und J. Menzel
Die Idylle an der Samariterkirche ist trügerisch. Verena Siebelt-Zehm sitzt mit ihrem Mann und bestem Blick auf den hohen roten Turm vor der Eckkneipe. Seit Jahrzehnten ist der Friedrichshainer Kiez rund um die Kirche Siebelt-Zehms Zuhause. Doch was hier auf dem Mietenmarkt passiere, macht die Berlinerin auch an diesem lauen Sommerabend wütend, wie sie sagt.
"Du hast ja keine Chance hier irgendwo noch eine Wohnung zu bekommen und bist hier aufgewachsen. Das ist schon echt heftig." Wenn dann doch mal Wohnungen angeboten werden, verlangten die Vermieter Preise von 1.700 oder 2.000 Euro im Monat. "Jenseits von Gut und Böse", sagt Siebelt-Zahn das und schüttelt den Kopf.
Auch sie, ihr Mann und die anderen Mietparteien in ihrem Wohnhaus sehen sich seit Jahren mit wachsender Unsicherheit und Forderungen der Vermieterseite konfrontiert. "Bei uns in der Wohnung war das auch so: Die wollten Eigenbedarf anmelden, bieten dir Geld, dass du ausziehst und solche Sachen und versuchen mit allen Tricks, dich aus der Wohnung zu bekommen."
Doch Ausziehen können sich viele Bewohnerinnen und Bewohner schlicht nicht leisten. Günstige Wohnungen sind Mangelware im Szenekiez und nicht nur dort. Wir treffen einen Mieter an der Rigaer Straße. Aus Angst vor Konsequenzen möchte der Mann anonym bleiben. Der Vermieter hat ihn gerade erst im Juli informiert, dass seine Wohnung aus der Sozialbindung gefallen ist.
"Was das genau für mich bedeutet, ist mir nicht klar. Mieterhöhungen gab es vorher auch schon, bis zu 15 Prozent Anpassung an den Mietspiegel", berichtet er. Aber eine Ahnung, was auf ihn zukommen könnte, hat der Mann mit Mütze schon. Seit 20 Jahren lebt er im Samariterkiez und hat seitdem den Anstieg der Mieten und die Gentrifizierung vor Augen.
Im Gespräch zeigt er auf ein eingerüstetes Eckhaus, wo so genannte Entmietungen stattgefunden hätten, also die Mieterinnen und Mieter aus den Wohnungen gedrängt worden seien. "Noch vor Kurzem hingen Plakate aus, auf denen stand, dass die Miete sich innerhalb eines kurzen Zeitraums verdoppelt oder verdreifacht hätte und die Leute deswegen ausziehen müssten."
Dass sich im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Problem ballt, hat auch der Berliner Mieterverein in seinen Beratungen registriert. Bis Ende nächsten Jahres wird der Bezirk noch einmal 2.665 Sozialwohnungen verlieren, weil diese aus der Bindung fallen. Die Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, Ulrike Hamann-Onnertz, rät Betroffenen, sich unbedingt zu wehren und Mieterhöhungsverlangen überprüfen zu lassen.
"Man darf eben nur bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erhöhen und zwar alle drei Jahre maximal 15 Prozent. Es sei denn, es ist eine landeseigene Wohnung. Diese Mieterinnen und Mieter haben Glück, weil dann sind es elf Prozent in drei Jahren." Die zweite große Gefahr sieht Hamann-Onnertz in Eigenbedarfskündigungen.
Hier empfiehlt die Geschäftsführerin des Mietervereins Betroffenen, sehr genau zu dokumentieren, wie sie sich um eine neue Wohnung bemüht haben. Das könnte bei etwaigen Gerichtsverhandlungen relevant werden, wenn es um Härtefälle geht. Grundsätzlich aber gilt in Berlin ein erweiterter Kündigungsschutz von zehn Jahren bei Eigentümerwechseln.
Hamann-Onnertz nimmt aber auch den Senat in die Pflicht: Der Wegfall der Sozialbindungen sei schließlich absehbar gewesen, das Problem somit eines mit Ansage. Das sieht auch der wohnungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schenker, so. Er hat die Angaben zum Wegfall der Sozialwohnungen in Friedrichshain-Kreuzberg beim Senat erfragt und sieht sich in der Diagnose bestätigt, dass Berlin immer stärker auf eine "wahrhaftige Wohnraumkrise" zusteuere.
"Wir brauchen jetzt endlich so etwas wie ein Rettungsprogramm für den sozialen Wohnungsbau", verlangt Schenker. Dazu gehöre der Ankauf von Wohnungen, die bald ohne Sozialbindung dastehen. "Wir arbeiten gerade auch an einem Konzept, dass wir private Vermieter dazu verpflichten können, dass sie Wohnungen als Sozialwohnungen vermieten müssen."
Für den Linken-Politiker ist aber auch klar, dass deutlich mehr Sozialwohnungen gebaut werden müssten. Eine Milliarde Euro an Krediten werde gebraucht, um die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften so auszustatten, dass sie 7.500 bezahlbare Wohnungen im Jahr neu bauen könnten, rechnet er vor. Doch ein solcher finanzieller Kraftakt scheint angesichts der Haushaltskrise höchst unwahrscheinlich.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verweist auf rbb-Anfrage darauf, dass für die ehemaligen Sozialmieter im Samariterkiez und andernorts das Mietrecht auf Basis des Bürgerlichen Gesetzbuchs greife. Danach sind Mieterhöhungen von maximal 15 Prozent in drei Jahren möglich und rechtlich zulässig.
Sendung: rbb24 Abendschau, 08.08.2024, 19:30 Uhr
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Beitrag von Dorit Knieling und Jan Menzel
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