Bundesweiter Warntag
Vor einem halben Jahr wurde im Abgeordnetenhaus deutlich, dass Berlin beim Bevölkerungsschutz große Defizite hat. Die zuständigen Behörden versprachen Besserung. Doch nicht nur an Sirenen mangelt es weiterhin. Von Sabine Müller
Am 18. März 2024 trat ein erstaunlich selbstkritischer Innen-Staatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) im zuständigen Ausschuss auf. Seit 1990 seien Zivil- und Katastrophenschutz in der Hauptstadt "etwas aus dem Blick geraten", räumte er ein und kam letztlich zu dem eher beängstigenden Fazit, Berlin befinde sich "nicht mehr ganz am Nullpunkt".
Knapp sechs Monate später stand Hochgrebe zu Beginn dieser Woche erneut Rede und Antwort im Ausschuss und klang deutlich positiver. Es sei gut, sagte er, dass man das Thema jetzt intensiv in den Blick nehme und damit "signifikant das Ruder rumgerissen" habe.
Als Positiv-Beispiel nannte Hochgrebe das neue "Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz und Krisenmanagement" (KBK), das die Zuständigkeiten der insgesamt 36 unterschiedlichen Katastrophenschutz-Behörden im Land Berlin koordinieren soll. Seit dem 1. September 2024 gibt es das KBK als Referat in der Innenverwaltung, noch sind aber erst fünf der geplanten 24 Stellen fest besetzt.
Zum Januar 2025 solle das Zentrum dann "in den operativen Betrieb gehen", schreibt die Innenverwaltung von Iris Spranger (SPD) dem rbb, was übersetzt heißt: richtig die Arbeit aufnehmen.
Versprechen also gehalten? Nicht ganz, denn eigentlich war immer die Rede davon, ein Landesamt für Katastrophenschutz einzurichten, also eine eigenständige Behörde. Das bleibe perspektivisch auch das Ziel, verspricht der Innenstaatssekretär, aber um schneller aus dem Planungsstadium hin zum "doing" zu kommen, wurde als Vorstufe das KBK gegründet.
In einem anderen Punkt muss Hochgrebe einräumen, dass es nicht so läuft wie geplant. "Darauf bin ich nicht stolz." Es geht um die Warnsirenen, die neben Apps, "Cell Broadcast" sowie Radio und Fernsehen die Bevölkerung im Katastrophenfall akustisch warnen sollen.
Seit 2022 kündigt die Innenverwaltung regelmäßig an, zum Jahresende sollten alle versprochenen Sirenen aufgebaut sein. Unter anderem Lieferschwierigkeiten während der Corona-Pandemie und statische Probleme führten dazu, dass dieses Ziel bisher immer gerissen wurde. Auch in diesem Jahr scheint eine Umsetzung praktisch ausgeschlossen, wenn man die Zahlen betrachtet.
Im Vergleich zum März stehen zwar mehr Warnsirenen auf den Berliner Dächern (plus 72), allerdings sind es bisher nur 290 von 450 geplanten. Als "einsatzbereit" stuft die Innenverwaltung 238 Sirenen ein. Aber auch diese werden am bundesweiten Warntag nicht zu hören sein, weil das "vom Bund für die Ansteuerung der Sirenen bereit zu stellende bundesweite Modulare Warnsystem noch nicht verfügbar" sei, so die Innenverwaltung. Sie geht davon aus, dass die erforderliche Schnittstelle zum Digitalfunk im Warnsystem "nicht vor Ende 2025" bereitgestellt wird.
Selbst aus der schwarz-roten Koalition kommt scharfe Kritik. "Außerordentlich unbefriedigend" nennt CDU-Innenexperte Burkard Dregger die Lage gegenüber dem rbb. "Ich erwarte einfach, dass deutsche Ingenieure in der Lage sind, diese Dinge scharf zu schalten." Der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader spricht von einem "Armutszeugnis", die Sirenensituation zeige beispielhaft, dass es beim Katastrophenschutz in Berlin "viel zu langsam" laufe.
Ausbaubedürftig ist aktuell auch die Wasserversorgung im Katastrophenfall. In Berlin gibt es laut Umweltverwaltung insgesamt 2.091 Notwasserbrunnen, gut 1.600 davon funktionstüchtig. Anzahl und Funktionsfähigkeit seien "aktuell nicht ganz ausreichend, um den Trinkwasserbedarf der gesamten Berliner Bevölkerung abzudecken", schreibt die Verwaltung dem rbb. Sie betont aber, es würden "ergänzende Maßnahmen geplant, um im Katastrophenfall alle Berlinerinnen und Berliner mit Trinkwasser versorgen zu können".
Aus den Bezirken, die auf eine rbb-Anfrage antworteten, ist kein Alarmismus zu hören. Pankow nennt einen vollständigen Ausfall der leitungsgebundenen Trinkwasserversorgung "sehr unwahrscheinlich", Friedrichhain-Kreuzberg zeigt sich sicher, dass die Brunnen "ausreichend Wasser" fördern und Tempelhof-Schöneberg schreibt, die Bevölkerung sei "gut versorgt".
Nicht alarmiert, aber durchaus sorgenvoll klingt Treptow-Köpenick. 94 funktionierende Brunnen gibt es dort, der Bedarf wird aber mit 147 angegeben. Der Bezirk geht davon aus, dass für den Bau neuer Brunnen und die Sanierung der älteren 7,1 Millionen Euro benötigt würden.
Auf der Berliner Katastrophenschutz-Website [berlin.de] findet sich in einem der ersten Artikel dieser Satz: "Aktuell planen die Bezirke 37 behördlich betriebene Katastrophenschutz-Leuchttürme und 147 ehrenamtlich besetzte Katastrophenschutz- Informationspunkte." Diese Leuchttürme, etwa in Rathäusern oder Schulen angesiedelt, werden nur in Gefahrenlagen geöffnet und sind Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger, die Informationen brauchen oder Strom zum Handyladen und funktionierendes Internet.
Laut Innenverwaltung sind zurzeit 14 der geplanten 37 behördlichen Katastrophenschutz-Leuchttürme in vier Bezirken einsatzbereit. "Weitere Bezirke folgen", heißt es. Wann dies passieren soll, schreibt die Veraltung dem rbb nicht.
Unabhängig davon, um welche Katastrophen es geht, - ob Großbrände, Stromausfälle, ein schwerer Chemieunfall oder anderes - hat Berlin noch Nachholbedarf beim Bevölkerungsschutz. Die Liste der noch zu erledigen Aufgaben bleibt lang und die Situation schwierig, vor allem vor dem Hintergrund der klammen Haushaltslage.
Sendung: rbb|24 Abendschau, 12.09.2024, 19:30Uhr
Beitrag von Sabine Müller
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