rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Audio: rbb|24 Abendschau| 12.09.2024 | Norbert Siegmund | Quelle: dpa/Ender

Landgericht Berlin

Angeklagte schweigen auch im Berufungsprozess um Neuköllner Anschlagsserie

Zum zweiten Mal müssen sich zwei Männer aus der rechtsextremen Szene wegen zwei politisch motivierten Brandstiftungen in Neukölln verantworten. Im ersten Prozessanlauf wurden sie aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Von Ulf Morling

Vor dem Berliner Landgericht müssen sich seit Donnerstag in einer Berufungsverhandlung zum zweiten Mal zwei Aktivisten der rechtsextremen Szene verantworten, unter anderem wegen zweier politisch motivierter Brandstiftungen in Neukölln. Zum Auftakt schwiegen sie vor Gericht.

Im ersten Prozessanlauf waren die 38- und 41-jährigen freigesprochen worden, weil laut Urteil Beweise fehlten.

In der Nacht zum 1. Februar 2018 waren die Autos eines Neuköllner Buchhändlers, der sich gegen Rechtsextremismus engagiert, und des Linken-Politikers Ferat Kocak fast ausgebrannt. Nach Freisprüchen der Angeklagten Tilo P. (41) und Sebastian T. (38) in einem Indizienprozess vor dem Amtsgericht Tiergarten im Dezember 2022 und Februar 2023 will die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in der Berufungsverhandlung jetzt einen Schuldspruch erreichen gegen die Hauptbeschuldigten einer rechtsextremistisch motivierten Anschlagsserie in Neukölln. Bei einer Verurteilung würde beiden Angeklagten Haftstrafen drohen.

Untersuchungsausschuss

Ermittler hatten "bereits 2012 gute Anhaltspunkte" zu Anschlagsserie in Neukölln

Hätte die Anschlagsserie in Berlin-Neukölln schon vor Jahren aufgeklärt werden können? Wie ein Ermittler vor dem Untersuchungsausschuss aussagte, gab es schon 2012 Anhaltspunkte und konkrete Verdächtige. Von Christoph Reinhardt

"Kopfschuss" für engagierte Neuköllner

2013 soll die rechtextremistische Anschlagsserie bei "gegen Rechtsextremismus in Berlin-Neukölln engagierten Personen" begonnen haben, behauptet die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Anklageschrift. Die Opfer der Straftaten sollten danach eingeschüchtert und mundtot gemacht werden.

Laut Ermittlern erfolgte das Einschüchtern engagierter Personen unter anderem dadurch, dass deren Briefkästen und Hauswände besprüht worden seien, wie dem mit blutroter Farbe geschriebenem Wort "Kopfschuss".

Nazi-Propaganda für Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess und entsprechenden SS-Runen und Nazipropaganda sollen ebenfalls verbreitet worden sein. Das war im ersten Prozess auch abgeurteilt worden. Außerdem war Sebastian T. auch wegen Betruges mit Corona-Soforthilfen und beim Empfang von ALG II für schuldig befunden worden.

Freispruch für Brandstiftungen bisher

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte Berufung gegen den Freispruch der beiden Angerklagten vor allem betreffend die beiden Brandstiftungen eingelegt. Die Behörde sei überzeugt davon, dass T. und P. "sehr wohl die Taten nachzuweisen sind", sagte Gerichtssprecherin Lisa Jani rbb|24.

In der Tatnacht 2018 war es für den Neuköllner Buchhändler Heinz O. bereits das zweite Auto, das ausbrannte. Linken-Politiker Ferat Kocak hatte in derselben Nacht das brennende Auto neben dem Haus seiner Eltern entdeckt. Daraufhin habe er seine Eltern voller Panik aus dem Schlaf gebrüllt und aus dem Haus gebracht. Seine Mutter habe kurz darauf einen Herzinfarkt erlitten.

Neuköllner Anschlagsserie

Berliner Staatsschutz-Chef räumt eigene Fehler ein und verteidigt Ermittlungen

Die Ermittlungen zu einer rechtsextremistischen Anschlagsserie in Neukölln beschäftigen weiterhin einen Untersuchungsausschuss. Am Freitag äußerte sich der Chef des Berliner Staatsschutzes in der Sache - und räumte eigene Versäumnisse ein. Von Christoph Reinhardt

Kocak ist Nebenkläger im Prozess. Seit Wochen denke seine Familie an nichts anderes mehr als den heute begonnenen Berufungsprozess um das traumatische Geschehen vor annähernd sieben Jahren. Die Ängste und schlaflosen Nächte hätten jetzt wieder begonnen. "Wir passen auf, wenn wir auf die Straße gehen: ob uns jemand verfolgt oder beobachtet zum Beispiel", so Kocak.

Zwar wurden Sebastian T. und Tilo P. wegen der Brandstiftung an seinem Auto nicht verurteilt, aber im erstinstanzlichen Urteil hieß es, dass erwiesen sei, dass beide den Linken-Politiker lange Zeit ausgekundschaftet hatten – bis zwei Wochen vor dem Brandanschlag. Dieses Indiz alleine beweise aber nicht die Schuld der Angeklagten, urteilte das Amtsgericht Tiergarten.

Versäumnisse festgestellt

Bereits 2021 hatten zwei vom Berliner Senat eingesetzte Sonderermittler Fehler von Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz bei der Verfolgung der rechtsextremistischen Anschlagsserie in Neukölln ab 2013 festgestellt. Es hätten sich Umstände ergeben, die "kritik- und verbesserungswürdig" seien. Die Justiz habe den Seriencharakter der Taten zu spät erkannt und die Staatsanwaltschaft habe Ermittlungsverfahren zu früh eingestellt. Hinweise auf rechtsextreme Netzwerke in der Polizei, die Ermittlungen behinderten, seien nicht gefunden worden, hieß es weiter.

Rechtsextrem motivierte Anschläge

Berliner Polizist soll Dienstgeheimnisse verraten haben

Angezündete Autos, Hakenkreuze an Häuserwänden, Drohungen gegen linke Initiativen: Jahrelang gab es solche Vorfälle in Berlin-Neukölln. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen Polizisten. Er soll Dienstgeheimnisse verraten haben.

Die Versäumnisse von Politik und Ermittlern sollen jetzt auch in dem vom Abgeordnetenhaus im vergangenen Jahr wieder eingerichteten "Untersuchungsausschuss zur rechtsextremistischen Straftatenserie im Bezirk Neukölln in den Jahren 2009 bis 2021" herausgefunden und benannt werden. Im Fokus der parlamentarischen Untersuchung stehe das behördenseitige Ermittlungsvorgehen im Rahmen der Aufklärung der Deliktserie, hieß es.

Unter anderem begehren die Landesparlamentarier im Untersuchungsausschuss die Gerichtsakten Akten des Gerichts zu dem noch laufenden Verfahren. Die 2. Große Strafkammer des Landgerichts 1, die gerade gegen Tilo P. und Sebastian T. verhandelt, vertröstete den Ausschuss bezüglich der Akteneinsichtnahme allerdings mindestens bis zum Ende des jetzt laufenden Prozesses.

Bisher sind 14 Verhandlungstage bis zum 28. November 2024 geplant.

Sendung: rbb|24 Abendschau, 12.09.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

Artikel im mobilen Angebot lesen