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Quelle: dpa/Simon

Asylpolitik

Berliner Hilfsorganisationen kritisieren "Abschiebedruck"

Die Bundesregierung setzt in der Asylpolitik auf Härte: Grenzkontrollen, Leistungskürzungen, vermehrte Abschiebungen. Das Schicksal der Einzelnen zähle dabei kaum noch, kritisieren zivilgesellschaftliche Organisationen. Von Birgit Raddatz

Emily Barnickel vom Berliner Flüchtlingsrat ist der Frust über immer neue Vorschläge aus der Politik anzumerken. Erst in dieser Woche hatte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) vor der Konferenz der Ministerpräsidenten in Leipzig laut überlegt, im Zweifel für eine Verfassungsänderung zu plädieren, um die "irreguläre Migration nach Deutschland zu verringern".

Für alle Menschen gelte das gleiche Recht, erinnert Barnickel. Die Debatte um Abschiebungen von Straftätern beispielsweise hält die Leiterin des Berliner Flüchtlingsrates deshalb für einseitig – und plädiert dafür, zugewanderte straffällig gewordene Menschen mithilfe des Strafrechts zu sanktionieren. "Abschiebungen kosten Geld. Richtig viel Geld allein für Polizei, Fahnder, das ist ein riesiger Verwaltungsaufwand. Wir könnten das Geld auch nehmen und es in Prävention von Kriminalität und Radikalisierung stecken."

rbb-Reportage

Leiter der Brandenburger Ausländerbehörde will Straftäter leichter abschieben

Der Leiter der "Zentralen Ausländerbehörde Brandenburg", Olaf Jansen, fordert eine leichtere Abschiebung von Straftätern und Integrationsverweigerern. Von erschwerten Abschiebungen profitierten die falschen Menschen, sagt Jansen dem rbb.

Kaum aussagekräftige Zahlen

Wie viele der insgesamt gut 16.300 ausreisepflichtigen Menschen in Berlin wirklich wegen einer Straftat verurteilt sind, kann oder will sowieso niemand wirklich sagen. Die Berliner Innenverwaltung teilt auf Anfrage von rbb|24 schriftlich mit, "weder das Landesamt für Einwanderung noch die Polizei Berlin verfügen über eine statistische Erfassung oder Gesamtdatenbank, welche spezifische Zahlen zu verurteilten Straftätern unter den ausreisepflichtigen Menschen dokumentiert". In der jährlich erscheinenden Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden zwar Straftaten von "Ausländern" erfasst, jedoch fallen darunter beispielsweise auch Touristinnen und Touristen.

Anne-Marie Braun vom Verein "Schöneberg hilft" schätzt, dass es sich um eine kleine Zahl von Straffälligen handele, die in der Debatte derzeit aber ein großes Gewicht bekäme. Außerdem müsse man sich die Vergehen genau anschauen: "Ich habe hier ganz viele Leute sitzen, die beim Fahren ohne BVG-Karte erwischt worden sind." Anders als die Stadt Potsdam beispielsweise ahndet Berlin das Fahren ohne Fahrschein immer noch als Straftat.

Berliner Polizeipräsidentin

"Sicherheit ist für unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie wichtig"

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Jeder Fall ist besonders

Braun erinnert daran, dass fast 85 Prozent der Ausreisepflichtigen eine Duldung besäßen, es also Bleibegründe gebe, etwa, weil in den Herkunftsländern Krieg herrscht und Folter droht oder Papiere fehlen. Viele könnten außerdem ein Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis nachweisen.

Seit 2020 gibt es die sogenannte Arbeits- und Ausbildungsduldung. Sie ist jedoch kein Aufenthaltstitel. Das schrecke Arbeitgeber ab, sagt Emily Barnickel vom Berliner Flüchtlingsrat "Dadurch verzerrt sich auch das ganze Bild, dass wir hier über die sogenannten Ausreisepflichtigen zeichnen, die angeblich nicht willig sind, auszureisen."

Braun und Barnickel fehlt es in der Politik an Visionen. Zum Beispiel, wie die Behörden entlastet werden könnten, damit diejenigen - die eine Bleibeperspektive hätten - zu ihren Rechten kämen.

Immer wieder machen die zivilgesellschaftlichen Organisationen deshalb auf einzelne Schicksale aufmerksam. Etwa auf das einer Mutter und ihres minderjährigen Kindes, die sich vor ihrer Abschiebung nach Moldau in psychiatrischer Betreuung in Berlin befanden – und damit als besonders schutzbedürftig gelten.

Nicolay Büttner vom Verein "Zentrum Überleben" kritisiert, das Landesamt für Einwanderung hätte das bei seiner Entscheidung eigentlich berücksichtigen müssen. Aus Sicht der Berliner Innenverwaltung hingegen seien die "Rückführungen rechtmäßig und weisungskonform erfolgt".

Förderprogramme laufen aus

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Schwere Zeiten für Integrationsprojekte. Die politischen Debatten drehen sich vor allem um Abschiebungen. Gleichzeitig laufen wichtige Förderprogramme aus. Eine Begegnungsstätte in Oranienburg steht vor dem Aus. Von Christoph Hölscher

Der Druck wächst

Die Republik Moldau gilt seit gut einem Jahr als sicheres Herkunftsland, Georgien ebenfalls. Das macht es Berlin leicht, vermehrt in diese Länder abzuschieben. Insgesamt wurden bis Ende September 840 Menschen abgeschoben, 1.370 waren es im vergangenen Jahr. So viele wie seit 2017 nicht mehr.

Der Druck auf die Bundesländer nach den Ankündigungen der Bundesregierung, mehr abzuschieben, wachse, sagt Tarek Alaows vom Verein Pro Asyl. Das führe auch zu aus seiner Sicht falschen Entscheidungen und Menschenrechtsverletzungen. "Trennungen von Familien beispielsweise, fehlerhafte Haftbescheide bei der Einordnung von Abschiebehaft, oder Nachtabschiebungen von Kindern und Familien, was zu einer Traumatisierung führt."

Das mache auch etwas mit denjenigen, die diese Abschiebungen durchsetzen müssten, sagt Anne-Marie Braun vom Verein "Schöneberg hilft": "Kein Polizist zerrt gerne nachts jemanden aus einer Unterkunft, obwohl man genau weiß, dass es eigentlich gegen Paragraf 13 des Grundgesetzes verstößt, der die Unverletzbarkeit der Wohnung garantiert."

Viele würden sich wehren, immer wieder kommt es zu dramatischen Szenen. Innerhalb der linken Szene finden sich deshalb immer wieder Menschen, die vor Abschiebungen warnen – oder Menschen helfen, unterzutauchen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.10.2024, 07.28 Uhr

Beitrag von Birgit Raddatz

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