Brandbrief vom Berliner Flüchtlingsamt
Seit Ende August wartet Nurda Tazegül darauf, dass die Politik auf einen verzweifelten Hilferuf der Beschäftigten des Berliner Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten reagiert. Nun macht die Chefin des Personalrats ihre Wut über die Sache öffentlich. Von Sabine Müller
Bei Nurda Tazegül hat sich offensichtlich einiges aufgestaut. Als der rbb sie am Dienstag zum Interview trifft, bricht es regelrecht aus ihr heraus. "Warum soll das LAF für das Missmanagement, die Fehlkalkulation, für das fehlerhafte Personalmanagement büßen?", fragt die Frau mit den kurzen dunklen Haaren und der energischen Stimme. "Warum sollen wir die Quittung dafür bekommen?"
Wenn Tazegül schlechtes Management beklagt, adressiert sie nicht nur den aktuellen schwarz-roten Senat, sondern auch die beiden vorangegangenen Regierungen aus SPD, Grünen und Linken.
Bereits zum dritten Mal haben LAF-Beschäftigte einen Brandbrief an die Politik verfasst, den ersten gleich 2016 im Gründungsjahr der Behörde, die für Registrierung, Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten zuständig ist. Der nächste Brief kam 2022 und nun das Schreiben vom 28. August 2024, das an den Regierenden Bürgermeister, die Mitglieder des Senats und die Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses gerichtet ist.
Darin beklagen der Personalrat, die Frauenvertreterin und die Schwerstbehindertenvertretung in so deutlichen Worten wie nie eine "zunehmend massive Überlastung aller Mitarbeitenden" und warnen, der Personalmangel könne zu obdachlosen Geflüchteten und finanziellem Schaden fürs Land führen.
Nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass die Aufgabenlast des Landesamts rapide gestiegen ist. War das LAF 2022 noch für 82 sogenannte "Unterkünfte in der Regelstruktur" (ohne die großen Ankunftszentren in Tegel und Reinickendorf) mit 21.564 Betten verantwortlich, waren es Anfang dieses Jahres schon 116 Unterkünfte mit 35.805 Betten. Die Zahl der betreuten Geflüchteten nach Asylbewerberleistungsgesetz stieg im selben Zeitraum von 20.975 Personen auf 24.039.
Einen Aufstockung des Personals habe es aber nicht gegeben, beklagen die Beschäftigtenvertretungen, im Gegenteil. "Im Jahr 2023 verließen 56 Mitarbeitende (etwa 10 Prozent) und bis Juli 2024 bereits 29 Kolleginnen und Kollegen das LAF." Dieser "chronische Personalmangel" gefährde die Beschäftigten und die Geflüchteten. Verlängerte Wartezeiten und unbearbeitete Anträge führten zu steigender Aggressivität der Antragsteller gegenüber den Mitarbeitenden. "Grenzüberschreitende Übergriffe auf Kolleginnen und Kollegen, sowohl verbal als auch physisch sind an der Tagesordnung."
Der Brief beschreibt den Arbeitsalltag im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten als ständige Überlastung. Jeder Sachbearbeiter sei mittlerweile für etwa 280 Fälle zuständig, täglich müssten bis zu 350 persönliche Termine mit Geflüchteten durchgeführt werden. Dazu kämen gesetzliche und bürokratische Vorgaben, die die Aufgabenlast immer weiter erhöhten.
Inzwischen gebe es nicht mehr genug Personal, um rechtssichere Vergaben für den Betrieb von Flüchtlings-Unterkünften sicherzustellen, heißt es. Betroffen sein könnten sowohl bestehende als auch neue Unterkünfte. Dadurch drohe Geflüchteten Obdachlosigkeit, während gleichzeitig landeseigene Objekte leer stünden, so die deutliche Warnung.
Angesichts der prekären Haushaltslage in Berlin ist ein weiterer Punkt im Brief bemerkenswert. Der Personalmangel im LAF schade nicht nur den Beschäftigten und den Geflüchteten, wird gemahnt, er könne dem Land Berlin auch finanziellen Schaden zufügen. Denn "viele Rückforderungen" für zu viel gezahlte Leistungen könnten nicht zeitnah bearbeitet werden, ähnlich sehe es bei Abrechnungen aus. Dadurch könnten dem Land Einnahmen entgehen.
"Wir haben es einfach satt", sagt Personalratschefin Nurda Tazegül frustriert. "Wir wollen gesehen und wertgeschätzt werden, das ist nicht der Fall." Auf eine Reaktion aus dem Senat auf den Brandbrief wartet sie bisher vergeblich und versucht nun, über die Öffentlichkeit Druck zu machen. Unterstützung bekommt sie dabei von den Grünen im Abgeordnetenhaus. Deren migrationspolitischer Sprecher Jian Omar fordert den Senat zu Gesprächen mit den LAF-Beschäftigten auf, um zu klären, "was sofortige Maßnahmen zur Entlastung sind und was weitere Maßnahmen, um die Situation nachhaltig zu verbessern".
Personalratschefin Tazegül hat viele Verbesserungsvorschläge, sie reichen von weniger Bürokratie bis zu einfacheren IT-Anwendungen. Als wichtigsten Punkt nennt sie dem rbb aber: mehr Stellen. Zum einen müssten die Positionen von knapp 90 befristeten Beschäftigten verstetigt werden. "Wir haben Kollegen, die Ende November oder Ende Dezember gehen müssen", beschreibt Nurda Tazegül die Lage. "Die bekommen jetzt eventuell die Nachricht, dass sie eine Verlängerung bis nächstes Jahr Ende Juli bekommen. Ende Juli - das ist doch keine Planungssicherheit!"
Auch die regulären Vollzeitstellen müssten aufgestockt werden, fordern die Beschäftigtenvertretungen in ihrem Brief an die Politik. Die Personalratschefin denkt dabei an "mindestens 250 neue Beschäftigte". Das wäre ein Aufwuchs des LAF-Personals um 50 Prozent – angesichts der klammen Finanzlage in Berlin ist das absolut unrealistisch.
Sehr wortkarg gibt sich bisher Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD). Ihr Haus antwortete dem rbb auf eine Interview-Anfrage nur schriftlich und betonte, in den letzten Monaten seien beim LAF schon viele interne Maßnahmen ergriffen worden, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Unter anderem seien temporäre Verstärkungen leichter möglich und es gebe feste "Schließtage für die interne Bearbeitung", um den Teams mehr Zeit für die Abarbeitung der Fallzahlen zu geben.
Was die befristet Beschäftigten betrifft, sieht auch Kiziltepe Handlungsbedarf. "Es braucht dringend langfristige personelle Unterstützung, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden", lässt sie mitteilen. "Die befristete Verlängerung der Stellen reicht hier nicht aus." Außerdem setze sie sich auf Bundesebene dafür ein, dass Behörden wie das LAF nicht durch weitere gesetzliche Verschärfungen überfordert würden.
Im Senat hat die Integrationsverwaltung laut Kiziltepes Pressestelle schon mehrfach auf die personelle Unterausstattung und deren Folgen "aufmerksam gemacht". Wie der rbb aus Senatskreisen erfuhr, hat Kiziltepe das Thema dort seit dem neuerlichen Brandbrief allerdings noch nicht angesprochen. Inzwischen ist aber klar, dass die Situation am Landesamt am morgigen Donnerstag zumindest im Integrationsausschuss des Abgeordnetenhauses zur Sprache kommt. Senatorin Kiziltepe muss sich auf kritische Fragen einstellen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 9.10.2024, 7:20 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen