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Quelle: Picture Alliance/Jens Kalaene

Interview | Freie Kita-Plätze in Berlin

"Dass es jetzt weniger Kita-Kinder gibt, verändert nicht das System"

In einigen Teilen Berlins suchen Kitas inzwischen nach Kindern und inserieren freie Plätze. Jahrelang war das andersherum. Am Kita-Problem der Stadt ändert das trotzdem nicht viel. Denn kommen weniger Kinder, wird der Personalschlüssel gesenkt.

rbb|24: Hallo Herr Borgmann, die Geburtenraten sinken, die Berliner ziehen weniger um – daher brauchen in Teilen der Stadt weniger Kinder Kita-Plätze. Ist das für Sie spürbar?

André Borgmann: Wir merken das. Aber nicht überall. Um mal ein Gebiet in Pankow herauszugreifen: Karow beispielsweise ist für uns ein Kita-Platz-gesättigtes Gebiet. Hier haben wir schon vor zwei, drei Jahren gemerkt, dass es schwieriger wird. Da wurden die Wartelisten erst kürzer - bis es irgendwann gar keine mehr gab. Inzwischen ist es so, dass wir freie Plätze dort streckenweise nicht belegen können. Doch es gibt auch Gebiete, wo der Trend fast gegenläufig ist. Im Wedding zum Beispiel werden durchaus noch sehr viele Kita-Plätze benötigt – und wir können den Bedarf gar nicht decken.

Zur Person

André Borgmann

Wie begegnen Sie dieser Situation? Da Sie ein Träger mit mehreren Kitas sind, könnten Sie ja Personal von der einen in die andere wechseln.

Wir sind kein Freund davon, Menschen innerhalb der Stadt zu versetzen. Wir haben zwar auf dem Papier Einrichtungen, die eine sehr gute Personalausstattung haben und einige andere, wo noch Luft nach oben wäre. Setzt man Personal um, nimmt man jemanden aus einem Teamgefüge und auch aus den Beziehungen zu den Kindern und den Eltern. Jeder Sozialraum funktioniert ein wenig anders und mitunter haben sich die Mitarbeiter die Kitas sehr bewusst ausgesucht.

Wir tun das trotzdem – aber auf Basis einer totalen Freiwilligkeit. Wir kommunizieren als Träger, wenn es eine Kita mit Personalbedarf gibt und fragen, ob es Mitarbeitende aus anderen Kitas, die – wenn es dort möglich ist – sich für einen gewissen Zeitraum vorstellen können, dort zu arbeiten.

Da wo nicht mehr so viele Kinder angemeldet sind, aber noch so viele Erzieher und Erzieherinnen wie zuvor, könnte ja auch Raum dafür entstehen, endlich das zu tun, was man immer schon tun wollte: mehr frühkindliche Bildung, Sprachförderung und Kinder in Einzelbetreuung fördern?

Teilweise ist das möglich. Wenn wir in einer Einrichtung dann – und das ist jetzt in manchen eher möglich - eine volle Personalausstattung haben, dann hat das vor Ort einen Effekt.

Doch wir haben mehrheitlich von Seiten des Personals die Anfrage nach Teilzeitarbeit. Unsere Teams werden also mit der gleichen Personalausstattung an Stunden pro Woche größer. Das wiederum erfordert mehr Kommunikation und mehr Absprache. Es ist dann auch für die Leitung der Kita ein größeres Team, mit dem man den versucht, den pädagogischen Standard zu halten.

Außerdem arbeiten wir in Berlin, das ist nicht neu, inklusiv. Wir haben also einen hohen Anteil an Diversität in den Kitas. Nicht nur, was die Herkunft angeht, sondern es geht auch um den sozialen Status und auch, ob Kinder mit Behinderungen in einer Einrichtung betreut werden. Das setzt den Anspruch in Sachen Pädagogik sehr hoch.

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Das heißt, ja, wir merken eine winzige Entspannung. Die hebt sich aber durch andere Faktoren wieder auf. Gemeint sind auch die hohen Krankenstände, die wir seit Corona verzeichnen. Wirkliche Entspannung würden wir erst verspüren, wenn sich das Land Berlin noch einmal mit der grundsätzlichen Berechnung des Personal-Kind-Schlüssels beschäftigt.

Der Effekt, dass es jetzt weniger Kinder gibt, ist also vielleicht gut für Einrichtungen, in denen das Personal immer knapp war, aber fürs ganze System ist das jetzt nicht die große Veränderung.

Wie ist das in den Kitas, in denen es zu wenige Anmeldungen gibt. Nehmen Sie da jetzt auch Kinder aus anderen Berliner Bezirken oder Brandenburg auf?

Aus anderen Bezirken, ja. Aus dem Land Brandenburg eher nicht. Das liegt auch an den verschiedenen Finanzierungsarten.

Für Sie als Träger hat sich also gar nicht so viel verändert. Für die Eltern von Kita-Kindern ist es aber vielleicht jetzt schon anders. Haben die jetzt in den entsprechenden Gegenden Wunsch- und Wahlfreiheit?

Ja. Und das freut auch uns. Denn die Wunsch- und Wahlfreiheit, die viele Jahre faktisch überhaupt nicht gegeben war, hat ja dazu geführt, dass Eltern weder den Weg zur Kita noch das Konzept einer Einrichtung wählen konnten. Wir erhoffen uns jetzt, dass wenn Eltern unsere Einrichtungen gezielt auswählen, dass die Zusammenarbeit vor Ort qualitativ stärkt. Denn so ist die Identifikation mit den Einrichtungen und den Konzepten vor Ort sicherlich noch höher.

Denn es handelt sich nicht mehr länger um eine Art B-Wahl – bei der man das Kind in der Einrichtung betreuen ließ, die als erste gesagt hat, dass sie es nehmen. Dann haben Eltern künftig auch die Gelegenheit, die Kita zu wechseln, wenn es innerhalb des Kita-Verlaufs zu Unzufriedenheit kommt.

Bleiben Plätze frei, fehlen dort aber Einnahmen. Müssen Einrichtungen oder ganze Träger jetzt um Ihre Existenz fürchten?

Ja. Vor allem, wenn eine Einrichtung Gewerbemieten zu zahlen hat. Diese Mieten sind in den letzten Jahren stark angestiegen und können jederzeit wieder einen hohen und schnellen Sprung machen. Bei diesen Kitas kann es knapp werden. Denn da geht es ja um fixe Kosten, die man nicht senken kann, wenn man weniger Einnahmen hat. Auch – je nach Größe der Einrichtung – Kosten für Gas, Wasser und Strom bleiben ja. Wenn dort, wo die Fixkosten hoch sind, die Auslastung zu gering ist, werden Einrichtungen bangen müssen.

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Müssen Erzieher und Erzieherinnen, die in den vergangenen Jahren ja fast wie Goldstaub gehandelt wurden, auch um ihre Jobs fürchten?

Stand heute: Nein. Es wird vermutlich eher andere Effekte geben. Sollten Träger spüren, dass es ausreichend Fachpersonal gibt, werden vielleicht die Ausbildungszahlen in der berufsbegleitenden Ausbildung zurückgehen. Eventuell wird es auch schwieriger für Quereinsteiger. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Erzieher in den nächsten Jahren ihren Job verlieren.

Es sind jetzt also gar keine so schlechten Aussichten?

Ich würde gern noch einmal betonen, dass die Entwicklung, dass es weniger Kinder gibt, nicht zu verwechseln sind mit einem verbesserten Personal-Kind-Schlüssel. Diesen Anspruch wird es weiter geben. Egal, ob eine Kita eine Vollauslastung mit Kindern hat oder nicht – das Personal wird am Ende immer an den Schlüssel angepasst. Und in diesem Schlüssel sind keinerlei Fehlzeiten von Personal – weder Urlaub, noch Schwangerschaft, noch Krankheit – berücksichtigt. Der Berliner Schlüssel besteht nur auf dem Papier. Es gibt keinen Tag in der Kita, in der er faktisch wirklich so ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

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