Interview | Krieg im Libanon
Shahed Naji lebt seit fast zehn Jahren in Berlin. Der Libanese kann wegen des Krieges in seiner Heimat nur schlecht schlafen, wie er sagt. Im Interview spricht der 43-Jährige über die Folgen des Konflikts für ihn und seine Familie im Land.
rbb|24: Herr Naji, als Sie im August mit uns sprachen, hatten Sie sich noch Hoffnungen gemacht, der Krieg könnte vermieden werden. Wie fühlten Sie sich, als Israel seine Offensive gegen die Hisbollah im Süden des Libanon begann?
Shahed Naji: Ich war traurig und deprimiert. Und ich konnte nicht schlafen, wachte immer mitten in der Nacht auf, um die Nachrichten zu sehen. Ich machte mir viele Sorgen. Denn ich habe viele Freunde im Südlibanon und in Beirut. Die Gebiete, in denen sie leben, wurden bombardiert.
Wie hat sich Ihr Alltag seitdem geändert?
Ich schlafe weiterhin nicht gut und schaue immer wieder die Nachrichten auf meinem Handy. Jedes Mal, wenn ich über einen Bombenangriff auf ein Gebiet lese, frage ich mich, ob ich dort jemanden kenne. Falls ja, frage ich sie, wie es ihnen geht. Ich mache mir viele Sorgen, da viele Angriffe auch nachts stattfinden. Es ist schwer.
Wie haben Ihre libanesischen Freunde und Bekannte in Berlin reagiert?
Viele versuchen zum Beispiel, Veranstaltungen zu organisieren, um Geld zu sammeln für Vereine, die im Libanon helfen. Und wenn ich mich mit Freunden treffe, die aus dem Libanon kommen, reden wir nur über Politik. Was werden die nächsten Schritte für Israel und die Hisbollah sein, was können Europa oder die USA tun? Wir reden viel darüber und schicken uns immer wieder Nachrichten. Alle haben noch Familie oder Bekannte im Land.
Wie geht es Ihrer Familie im Libanon gerade?
Wir sind täglich im Kontakt. Sie können nachts wegen des Lärms von Drohnen und Kampfjets kaum schlafen. Sie kommen aus dem Norden des Landes und sagen, dass es im Libanon keinen sicheren Ort mehr gibt. Es werden überall Bombenangriffe verübt, auch im Norden. Alle haben Angst.
Meine Familie ist nicht in der Lage, das Land zu verlassen. Denn die einzigen Fluchtmöglichkeiten sind entweder die Türkei über den Seeweg oder Syrien. Aber wegen der wirtschaftlichen Lage im Libanon ist die Türkei derzeit zu teuer. Syrien ist für sie wegen des dortigen Regimes keine Option. Sie müssen dann im Libanon bleiben und einfach nur abwarten.
Und wie hat sich die materielle Lage für sie seit Kriegsbeginn geändert?
Alles ist jetzt teurer. Meine Schwester hat mir erzählt, dass das, was sie früher für umgerechnet 50 Euro kaufen konnte, nun das Fünffache kostet. Nun haben alle Angst, dass das Mehl bald knapp wird. Laut dem libanesischen Wirtschaftsminister gibt es Mehlvorräte für nur zwei Monate.
Etwa 1,2 Millionen Menschen sind im Libanon auf der Flucht. Was macht das mit Ihnen?
Ehrlich gesagt bin ich froh, dass viele es rechtzeitig nach Beirut oder in den Norden geschafft haben. Denn ihr Gebiet wurde zerstört. Viele sind traurig und fragen sich, was sie tun können, um ihr Leben zu verbessern. Ich denke zum Beispiel an einen Freund von mir, der aus der Stadt Sidon kommt. Sein Vater hatte dort ein Restaurant, das komplett zerstört wurde. Er fragt sich, weshalb das passiert ist. Aber auch, wer das jetzt wiederaufbauen kann.
Wie blicken die Menschen im Libanon, mit denen Sie im Kontakt sind, auf die Hisbollah?
Eine Mehrheit der Menschen im Libanon ist mit der Politik von Hisbollah nicht einverstanden. Das heißt nicht, dass sie pro Israel wären. Viele von ihnen denken, dass die Hisbollah uns in diesen Krieg gebracht hat, ohne nachzudenken, was das für die Menschen im Libanon bedeutet.
Ich kann sagen, dass viele Unterstützer der Hisbollah jetzt verzweifelt sind. Die Hisbollah hatte ein Bild von sich abgegeben, als wäre sie stark und könnte Israel zerstören. Das war jedoch nur Propaganda, wie jetzt alle sehen können. Wenn die Hisbollah ihren Generalsekretär Hassan Nasrallah nicht schützen konnte, wie soll sie dann die Menschen im Land schützen?
Wünschen Sie sich eine Entmachtung der Hisbollah auch zum Wohle des Libanon?
Ja. In einem Land mit insgesamt 18 Glaubensgemeinschaften kann es keine geben, die viel stärker als die anderen ist. Das hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. In einem solchen Land sollte es immer Kompromisse geben, doch das hat die Hisbollah nicht gewollt. So haben wir ihretwegen seit zwei Jahren keinen Präsidenten, das ist inakzeptabel. Weil die Hisbollah bewaffnet ist, kann niemand etwas gegen sie tun.
Der Libanon ist offenbar vielfach gespalten, aber was verbindet die Menschen immer noch?
Das ist einerseits die gemeinsame Kultur. Andererseits träumen alle von dem Land vor dem Bürgerkrieg, der 1975 begann. Damals lief die Wirtschaft gut, der Libanon war ein offenes Land mit vielen Touristen. Dieser Traum verbindet viele Libanesen.
Wenn der Albtraum des Krieges eines Tages vorbei wäre und Sie träumen dürften: Wie könnte der Weg zu einer besseren Zukunft für den Libanon aussehen?
Zuerst müsste eine Entwaffnung aller Milizen erfolgen. Dann bräuchten wir ein neues Bildungssystem, in dem wir lernen, dass es okay ist, wenn nicht alle so denken wie man selbst. Zudem wünsche ich mir eine bessere Wirtschaftslage und dass mehr Geld in den Libanon investiert wird. Ich zum Beispiel betreibe hier in Berlin zwei Yoga-Studios und für mich wäre es ein Traum, im Libanon ein Studio oder ein Haus für Yoga-Retreats in den Bergen aufzumachen. Der Libanon hat viel Potenzial. Aber solange es bewaffnete Milizen gibt, ist vieles nicht möglich.
Glauben Sie, dass sich Israelis und Libanesen zu Ihrer Lebzeit irgendwann versöhnen können?
Ich sehe bereits, dass es viele junge Menschen im Libanon und Israel gibt, die kein Interesse an Krieg haben. Ich habe beispielsweise auch israelische Lehrer, die in meinen Yogastudios arbeiten, auch israelische Schüler. Wir sind befreundet. Wir sind gegen den Krieg und finden das, was in unserer Region passiert, nur verrückt. Unsere Kulturen haben vieles gemeinsam.
Aber es liegt an der Politik. Es gibt viele korrupte Politiker, die von diesem Krieg profitieren und durch ihn an der Macht bleiben wollen. Und solange die Situation so ist, ist Frieden nicht möglich. Ich hoffe trotzdem, dass keine weiteren Menschen wegen dieses Krieges sterben, weil er sinnlos ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Juan F. Álvarez Moreno für rbb24. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung des Gesprächs.
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