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Nachwuchsmangel
Mit abgesenkten Einstellungskriterien will Berlins Justizsenatorin mehr Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in den Landesdienst holen. Der Plan scheint aufzugehen. Aber es gibt auch Kritik an dem Vorgehen. Von Sabine Müller
Es ist eins der zentralen Versprechen von CDU-Justizsenatorin Felor Badenberg: Der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität (OK) soll verschärft werden, unter anderem will Berlin verstärkt illegal erworbenes Vermögen einziehen. Ziel ist, in diesem Jahr insgesamt mehr als 100 neue Richterinnen und Staatsanwälte auf Probe einzustellen, vor allem für den Bereich OK.
Doch gerade auf die Stellen bei der Staatsanwaltschaft gab es in den ersten Monaten 2024 nicht genug Bewerbungen. "Fachkräftemangel, demografischer Wandel und die zunehmende Konkurrenz von Großkanzleien haben Auswirkungen auf die Personalgewinnung", sagt Felor Badenberg dem rbb.
Berlin ist zwar ein attraktiver Standort, aber die Konkurrenz groß, auch von Bundesministerien und -behörden, die besser bezahlen als das Land. Um das Bewerberfeld zu erweitern, hat die Justizsenatorin deshalb an den Einstellungskriterien geschraubt und die Notenvorgaben abgesenkt.
Im zweiten Staatsexamen sind jetzt noch 6,5 Punkte gefordert (bisher 7,5) und aus beiden Staatsexamen zusammen 14 Punkte (bisher 15). Damit sind die Anforderungen in Berlin in Zukunft noch weiter als bisher von einem sogenannten Prädikatsexamen entfernt, das es im strengen Jura-Bewertungssystem ab der Note "Vollbefriedigend" gibt.
Auch andere Bundesländer haben die Einstellungsnoten in den vergangenen Jahren abgesenkt und laden ebenfalls Bewerber jenseits von Prädikatsexamen ein. In Berlin liegt die Notenanforderung aber besonders niedrig.
Aus der CDU-Fraktion, die sich in der Vergangenheit oft klar gegen Notenabsenkungen ausgesprochen hatte, kommt Unterstützung für den Schritt. "Wir sind über unseren Schatten gesprungen", sagt der rechtspolitische Sprecher Alexander Herrmann. Sven Rissmann, Vorsitzender des Rechtsausschusses im Abgeordnetenhaus, betont: "Wir müssen dringend Stellen besetzen, daher war diese Notenabsenkung notwendig."
Wichtig ist der CDU, dass die geänderten Einstellungskriterien mit einem potenziellen Ablaufdatum versehen sind. Laut Justizverwaltung ist die aktuelle Stellenausschreibung, die am 9. August veröffentlicht wurde, zunächst auf ein Jahr befristet und wird danach evaluiert.
Wenig Verständnis zeigt trotz der schwierigen Rahmenbedingungen Stefan Schifferdecker, Vorsitzender des Richterbunds Berlin. Schon bei der vorangegangenen Notenabsenkung hatte er kritisiert, Berlin suche nur noch "Mittelmaß". Jetzt befürchtet er, dass neben guten Absolventen viel "Drittelmaß" nach Berlin kommt – sprich: unteres Drittel. "Wir suchen ja nicht Sachbearbeiter, die gesagt bekommen, wann sie welche Akte umzublättern haben", moniert Schifferdecker. "Wir suchen Leitungsfiguren und herausragende Persönlichkeiten, die im Prozesskampf die Oberhand behalten." Der Richterbund-Vorsitzende weist darauf hin, dass Berlin seine Anforderungen in einer Zeit senkt, wo die Abschlussnoten im Jura-Studium insgesamt besser werden.
Justizsenatorin Felor Badenberg sagt, sie könne Bedenken gegen eine Notenabsenkung grundsätzlich nachvollziehen. Allerdings sehe sie keine Gefahr, dass Berlin nur noch Mittelmaß einstellt. "Es ist nur eine ganz leichte Notenabsenkung, die gleichzeitig zu kompensieren ist durch andere Qualifikationen", betont Badenberg. In der Stellenausschreibung werden als Einstellungsvoraussetzung unter anderem "besondere strafrechtliche Qualifikationen" gefordert, etwa ein Ausbildungsschwerpunkt im Strafrecht, überdurchschnittliche Stationsnoten im Referendariat oder anwaltliche/wissenschaftliche Tätigkeiten vor der Bewerbung.
Der CDU-Abgeordnete Sven Rissmann verweist außerdem auf die dreijährige Probezeit für die neuen Staatsanwältinnen und -anwälte. "Es sind also weitere Mechanismen vorhanden, um sicherzustellen, dass am Ende nur die Besten in den Dienst kommen."
"Wir haben uns jahrelang auf Noten fixiert, aber die Erfahrung zeigt, dass nicht alle Absolventen mit guten Examensnoten für den Dienst bei der Staatsanwaltschaft geeignet sind", sagt Oberstaatsanwalt Ralph Knispel, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte.
Er habe in seiner Laufbahn viele Referendare erlebt, die höchst geeignet gewesen wären für den Dienst, aber an den Noten gescheitert seien. "Das wären ganz hervorragende Kollegen geworden", ist sich Knispel sicher. Gesucht würden Leute mit großem Interesse an Strafverfolgung und viel Engagement, die müsse die Auswahlkommission herausfiltern.
Die Kritik, durch eine Notenabsenkung sinke die Qualität, nennt der Oberstaatsanwalt "borniert" und führt sich selbst als besten Gegenbeweis an. Der junge Knispel wollte Ende der 1980er Jahre unbedingt Staatsanwalt werden, aber ein Bekannter aus der Justizverwaltung machte ihm klar, mit seinen Noten brauche er sich gar nicht erst bewerben. Knispel hatte das erste und zweite Staatsexamen mit befriedigend beziehungsweise ausreichend bestanden. Nur der Mauerfall und die daraus resultierende Notenabsenkung ebneten ihm den Weg zu seinem Traumjob. "Ganz vermessen" sage er heute rückblickend, so Knispel: "Wenn ich meine Karriere bei der Staatsanwaltschaft betrachte, muss ich mich nicht zu den Schlechtesten zählen."
Laut Justizverwaltung geht die Rechnung, durch abgesenkte Noten die Bewerberzahl für die Berliner Staatsanwaltschaft zu erhöhen, bisher auf. Im Zeitraum von August bis Oktober seien mehr Bewerbungen eingegangen als in den sieben Monaten davor. Seit September laufen Auswahlgespräche und die Verwaltung zeigt sich zufrieden. "Der Bewerberkreis zeichnet sich durch einen deutlichen Strafrechtsfokus sowie eine sehr hohe Motivation für die staatsanwaltschaftliche Tätigkeit aus."
Justizsenatorin Felor Badenberg ist zuversichtlich, dass bis Ende des Jahres zu den bisherigen rund 350 Staatsanwältinnen und -anwälten mindestens 40 neue dazukommen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 11.11.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Sabine Müller
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