Pro-palästinensische Proteste
Dass Eltern ihre Kinder auf Demos mitnehmen, kommt regelmäßig vor. Doch was, wenn die Kinder andere beleidigen oder verbotene Parolen brüllen? In Berlin ist das bei pro-palästinensischen Protesten zu beobachten. Von Kerstin Breinig
Es ist ein Abend Anfang Oktober in Berlin-Wedding. Auf dem Leopoldplatz wird für Palästina demonstriert, gegen Israel. Eine Kinderstimme ruft zur Intifada auf [Arabisch: Erhebung, Volksaufstand; Anm. d. Red.]. Die erwachsenen Demonstranten wiederholen die Parole.
Am Mikrofon steht ein kleines Mädchen, es ist vielleicht zehn, elf Jahre alt, vielleicht auch jünger. Minutenlang ruft das Kind Parolen, auf Deutsch, Englisch, Arabisch. Zum Beispiel: "We want 48" - das bedeutet, es äußert den Wunsch nach dem Zustand, bevor der Staat Israel gegründet wurde.
Es ist nicht die einzige Parole, die das Existenzrecht Israels bestreitet. Auch die in Deutschland seit November 2023 verbotene Parole "From the river to the sea" stimmt das Mädchen immer wieder an, auf Arabisch. Der Slogan bezieht sich auf die Hamas-Charta. Dort heißt es 2017 in Artikel 20: "Hamas lehnt jede Alternative zu einer kompletten und vollständigen Befreiung von Palästina ab, vom Fluss zum Meer."
Nach einigen Minuten darf das Mädchen zu seiner Mutter zurück, ein anderes Kind bekommt das Mikro in die Hand gedrückt. Ob die Kinder wirklich begreifen, was sie dort rufen, was die Slogans bedeuten, ist zumindest mehr als fraglich. Sie sind hier geboren, hier aufgewachsen, gehen hier in die Schulen. Was immer wieder deutlich wird, ist, dass Erwachsene die Kinder dirigieren. Sie sorgen dafür, dass sie sich abwechseln.
Levi Salomon vom Jüdischen Forum beobachtet pro-palästinensische Demos in Berlin seit Jahrzehnten. Dass Kinder eine so große Rolle spielen, ist nicht neu. Das gab es auch schon vor zehn, zwanzig Jahren. Auch damals standen Kinder in der ersten Reihe, erzählt er.
Auf Bildern von 2014 sind Kinder zu sehen, die blutrote Kleidung tragen und Puppen, die ebenfalls mit roter Farbe beschmiert sind. Ein Vater setzte damals sein vielleicht einjähriges Baby neben so eine Puppe auf den Boden. Daneben lag noch eine - ohne Kopf.
Es sind verstörende Bilder. Den Mann sieht Levi Salomon auch jetzt auf der Straße. So wie viele andere auch. Einige der Kinder von damals sind inzwischen erwachsen. Zu den Demonstrationen gehen sie immer noch, zum Teil mit ihren Kindern. "Das ist Erziehung zum Hass und schafft eine Kontinuität im Antisemitismus in diesem Milieu", sagt Salomon.
Die Geschichten über die Vertreibung 1948 und der Traum von der Rückkehr in "ihr" Land nach der Vernichtung Israels würden so von Generation zu Generation weitergegeben.
Die Berliner Polizei stellt inzwischen vermehrt fest, dass "Minderjährige aktiv in die Demonstrationsdynamik eingebunden werden". In einem Fall ermittelt die Polizei jetzt gegen Eltern wegen Verstoßes gegen die Fürsorgepflicht. In einem anderen kursiert ein Video in den sozialen Medien: Zu sehen ist ein Junge, der mit einer Palästina-Fahne über den Breitscheidplatz läuft, verfolgt und dann gestoppt durch Berliner Polizisten. Am Ende steigt er in einen Polizeiwagen.
In unzähligen Kommentaren im Netz ist von Polizeigewalt die Rede, von der Verhaftung eines Elfjährigen, es werden Vergleiche zum Nationalsozialismus gezogen und Deutschland als Kriegspartei an der Seite Israels betrachtet. Dass das Kind ohne seine Eltern allein auf einer gewalttätigen Veranstaltung war und an seinen Vater übergeben wurde, erklärt die Polizei einen Tag später. Zwei Tage später ist der Junge wieder auf einer Kundgebung - diesmal auf einer eher islamistisch geprägten - und hält dort eine Rede.
Grundsätzlich ist Kindern die Teilnahme an Demonstrationen in Begleitung ihrer Eltern erlaubt. Wenn sie aber bei strafbaren, gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt oder anwesend sind, kann das ein Fürsorgeverstoß sein. Dann müsse die Polizei eingreifen, genauso dann, wenn Kinder Straftaten begehen, Gegendemonstranten beleidigen, angreifen, bespucken. Auch das passiert immer wieder.
Die FDP-Politikerin Karoline Preisler steht zwei, drei Mal pro Woche mit einem Schild am Rande der Demonstrationen. "Vergewaltigung ist kein Widerstand" steht darauf geschrieben. Dafür wird sie angefeindet, beleidigt, angegriffen. Von Kindern. "Einige der Kinder kenne ich inzwischen sehr gut. Die werden von der Szene mitgebracht", erzählt sie. Ohne Polizeischutz kann sie nicht mehr mit ihrem Schild am Rand stehen. Zu groß ist der Hass.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.10.2024, 16:20 Uhr
Beitrag von Kerstin Breinig
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