Interview | Potsdamer Klimaforscher Edenhofer
Ab Montag startet in Baku der Weltklimagipfel. Der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Ottmar Edenhofer spricht über Erfolgsaussichten, enttäuschte Erwartungen an den Kanzler und einen Rat an die künftige Regierung.
rbb|24: Herr Edenhofer, wir haben 2024 - so wie es aussieht - das 1,5-Grad-Ziel globaler Erwärmung gerissen. Es wird wahrscheinlich das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnung werden. Mit welchen Gefühlen fahren Sie nach Baku?
Ottmar Edenhofer: Die Teilnahme an internationalen Klimakonferenzen ist selten eine Frage von Gefühlen, sondern von rationalen Erwartungen. Die Konferenz wird sicherlich keinen Durchbruch bringen. Man wird vielleicht die Finanzierungsfrage klären. Das 1,5-Grad-Ziel ist gerissen. Jetzt muss die Weltgemeinschaft sich damit auseinandersetzen, dass die Temperatur überschießt.
Wir müssen uns jetzt darum kümmern, dass wir die Temperatur wieder zurückbiegen können, zumindest die Voraussetzungen schaffen. Das sind diese berühmten Nettonegativ-Emissions-Technologien, die wir dringend benötigen. Das Management dieses Überschießens ist jetzt die ganz große Aufgabe, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Dafür müssen jetzt institutionelle Voraussetzungen geschaffen werden.
Kann so ein Gipfel dabei tatsächlich einen Durchbruch bringen?
Aus meiner Sicht in der Tat recht wenig, was jetzt unmittelbar Vermeidung, Reduzierung von Emissionen, des Pushens von Negativ-Emissions-Technologien angeht. Was er aber leisten könnte, ist, eine Plattform zu bieten, auf der verschiedene Länder gemeinsame Optionen ausloten. Wir sehen zum Beispiel, dass Länder wie die Türkei, Indien oder China ein ernsthaftes Interesse haben, CO2-Bepreisungssysteme aufzubauen - entweder durch Steuern oder durch Emissionshandelssysteme.
Das ist für die Europäische Union von grundlegender Bedeutung, weil die Europäische Union jetzt einen Klimazoll angekündigt hat. Diese Klimazölle schaffen enorme Anreize für andere Länder, C02-Bepreisungssysteme einzuführen. Und sie erwarten jetzt von der EU strategische Beratung. Alles firmiert unter dem Begriff Carbon-Market-Diplomacy. Das kann man in der Tat auf dieser Konferenz voranbringen.
Wann ist eine Konferenz für Sie ein Erfolg und wann würden Sie von einer Niederlage sprechen?
Ich glaube, es ist sinnlos, bei solchen Konferenzen von Erfolgen und Niederlagen zu reden. Das ist ein langer Prozess und ich glaube, wir müssen uns davon verabschieden, dass diese Konferenzen Durchbrüche ermöglichen. Wir brauchen neue Formate, die diese großen Konferenzen ergänzen: Die Klimakonferenzen sind multilaterale Foren, zu der aus der ganzen Welt CEOs, Kanzler, Präsidenten, Premierminister kommen. Das ist sinnvoll.
Wir brauchen aber ergänzende Formate. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir auf jede Konferenz mit dem Blick schauen: "Kommt da ein Durchbruch oder kommt kein Durchbruch?" Das sind langwierige, viele graduelle Veränderungen. Aber damit werden wir die Klimaziele, die wir in Paris vereinbart haben, nicht erreichen.
Der Bundeskanzler hat seine Reise nach Baku abgesagt. Wie verfolgen Sie die Regierungskrise aus der Klimaschutzperspektive?
Es ist natürlich kein gutes Zeichen, dass der Bundeskanzler genau jetzt nicht daran teilnimmt. Gerade jetzt nach der Trump-Wahl wäre es wichtig gewesen, eine starke, geeinte Bundesregierung zu sehen. Dass wir jetzt in Deutschland durch das Ampel-Aus im Kern gar nicht wissen, wohin die Reise geht, dass die Energiemärkte verunsichert werden, ist alles kein gutes Zeichen. Ich hoffe, dass wir sehr schnell zu stabilen Verhältnissen kommen. Was jetzt dringend notwendig ist, ist eine starke Bundesregierung und vor allem ein geeintes Europa.
Welche Auswirkungen hat die erneute Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten aus Ihrer Sicht auf den Klimaschutz?
Die Trump-Wahl hat aus meiner Sicht kurzfristig relativ begrenzte Wirkungen, zum Beispiel auf die Konferenz in Baku. Das wird sicherlich die Konferenz nicht beflügeln, aber sie wird ihr unmittelbar keinen großen Schaden zufügen. Der Schaden, den Trump anrichtet, ist auf ganz anderer Ebene zu suchen, zunächst mal in den Vereinigten Staaten selbst. Es ist ganz klar: Er wird den Versuch unternehmen, den Inflation Reduction Act abzuwickeln, also das Paket, das Joe Biden für die grüne Transformation aufgesetzt hat.
Ob ihm das tatsächlich so gelingt, wird man sehen. Es gibt hier bereits starke wirtschaftliche Interessensgruppen, die davon abhängen und dafür kämpfen werden. Ich glaube, dass Trump auch die Umweltbehörde, die berühmte Environmental Protection Agency, abwickeln wird. Er wird die klimapolitische Handlungsfähigkeit der Vereinigten Staaten nahezu auf Null zurückführen. Das ist schon ein größeres Problem.
Mindestens genauso wichtig ist die Wirkung der Trump-Wahl auf Europa selber. Es könnte sein, dass jetzt in Europa die Kräfte stark werden, die mit autoritären und mit autokratischen Systemen liebäugeln. Und autokratische Systeme, die wir in Europa schon haben - zum Beispiel in Ungarn - noch stärker gegen die EU opponieren werden.
Es könnte aber auch sein, dass in Europa die demokratischen Integrationskräfte gestärkt werden: Ausbau des Binnenmarktes, verstärkte Umsetzung des European Green Deals. Dass wir uns auf den internationalen Clean-Tech-Märkten sehr viel stärker und besser aufstellen. Dass wir unser Energiesystem - vor allem den Strommarkt - so voranbringen und liberalisieren, dass die Strompreise tatsächlich fallen können.
Alles das sind große Aufgaben. Es hängt jetzt davon ab, wie Europa diese Herausforderung durch Trump versteht. Als einen Ruf, eine historische Aufforderung zur Einheit und zur Einigkeit. Oder ob die divergierenden Kräfte am Ende des Tages den Sieg davontragen werden.
Der europäische Emissionshandel ist vergleichsweise fortgeschritten. Allerdings stehen die Regierungen unter Druck aufgrund der Preissteigerungen bei Energie. Deutschland ist ein Beispiel davon. Befürchten Sie, dass da noch mal Hand an den Emissionshandel angelegt werden wird?
Da sind zwei Bewegungen, die sichtbar werden. Das eine ist, dass natürlich die Transformation der europäischen Wirtschaft Brüche hervorruft. Das ist völlig klar. Wir sehen, dass China auf dem Automarkt eine Strategie fährt, die die europäische Autoindustrie vor fundamentale Herausforderungen stellt. Die werden sich irgendwann dieser Dekarbonisierung des Automarktes stellen müssen. Da bin ich fest davon überzeugt. Das muss sehr, sehr schnell passieren.
Im europäischen Emissionshandel kommt es darauf an, dass wir jetzt alles daran setzen, die europäische Klimapolitik so effizient wie möglich zu gestalten. Das ist aus meiner Sicht eine Herausforderung. Dafür haben wir mit den beiden Emissionshandelssystemen alle Karten in der Hand.
Es geht aber nicht nur um den Emissionshandel, es geht auch um den europäischen Strommarkt. Wir müssen dafür sorgen, dass wir hier sehr, sehr effizient die Transformation voranbringen und das handelspolitisch absichern. Wir werden mit Klimazöllen konfrontiert werden. Wir werden selber Klimazölle verhängen müssen und uns in der Handelspolitik strategisch neu aufstellen müssen. Wir brauchen dafür eine grüne Industriepolitik. Auch die muss den Effizienztest bestehen. Das ist aus meiner Sicht die Aufgabe, die sich für Europa stellt.
Eine Frage zu Brandenburg: Sie haben dort den Nachhaltigkeitsbeirat mit auf den Weg gebracht, der die Landesregierung auch beim Klimaschutz berät. Es gibt Sorgen, dass Klimaschutz in einer neuen Landesregierung von SPD und BSW eine untergeordnete Rolle spielen könnte. Wie wirkungsvoll kann Klimaschutz auf Länderebene eigentlich sein, wenn es vor allem um große Player wie China, Indien, die USA oder die EU geht?
Klimaschutz muss immer auf allen Ebenen voranschreiten und gerade Brandenburg ist für die Klimapolitik ein grandioses Laboratorium. Wir haben Tesla hier, wir haben einen Landwirtschaftssektor, wir haben Moore. Da spielen alle Dinge zusammen. Ich glaube, Brandenburg ist gut beraten, weiterhin an einer konsistenten Klimapolitik zu arbeiten. Vor allem, wenn man auch an die Fragen der negativen Emissionen denkt, an Carbon-Capture-Storage [Speicherung von Kohlendioxid, Anm.d.Redaktion].
Ich glaube, es ist ein fatales Zeichen, wenn in Zeiten der Wirtschaftskrise immer so getan wird, als sei die Klimapolitik das Kernproblem der Wettbewerbsfähigkeit. Nicht die Klimapolitik ist das Kernproblem der Wettbewerbsfähigkeit, sondern dass wir die Herausforderung der Weltmärkte verschlafen haben.
Geschickt ausgestaltete Klimapolitik hilft uns bei der Wettbewerbsfähigkeit. Man hat manchmal den Eindruck, wenn man die Klimapolitik abschafft, dann steht die deutsche Wirtschaft glänzend da. Dem ist nicht so! Die Herausforderung der Elektromobilitätsstrategie der Chinesen, die wird nicht dadurch angenommen, indem man die Klimaziele abschafft. Die würde dann angenommen werden, wenn wir uns dieser Herausforderungen kraftvoll stellen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Ottmar Edenhofer führte Hanno Christ, rbb-Landespolitik
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