Interview | Ursula Nonnemacher
Für Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) beginnen die letzten Wochen in ihrem Amt. Im rbb-Interview spricht sie über Eliten-Bashing, ungebetene Besuche vor ihrem Privathaus - und über Differenzen mit Dietmar Woidke.
rbb24: Frau Nonnemacher, was werden Sie am Tag eins machen, nachdem Sie nicht mehr Ministerin sind?
Ursula Nonnemacher: Das lasse ich alles auf mich wirken. Aber ich brauche auch nicht im Januar '25 schon wieder einen Terminkalender, der zehn Stunden am Tag abdeckt. Ich bin 67 Jahre alt, habe mein ganzes Leben lang sehr, sehr viel gearbeitet. Ob das im Krankenhaus gewesen ist, im Schichtdienst mit drei Kindern, als Stadtverordnete über 16 Jahre in Falkensee neben dem Schichtdienst, ob das im Landtag war oder hier jetzt als Ministerin. Ich habe immer eher eine 80-Stunden-Woche gehabt als eine kürzere Woche. Was mich allerdings extrem schmerzt ist, dass meine Partei so schlecht abgeschnitten hat und jetzt nicht mehr im Landtag vertreten ist.
Wo sehen Sie Versäumnisse Ihrer Partei? Gerade im Osten werden viele Menschen nicht so richtig warm mit den Grünen.
Es gibt sehr viele Gründe. Wir haben in den letzten zwei Jahren ein stark verändertes politisches Klima. Wir erleben eine zunehmende Polarisierung, die Populisten stärkt. Wir haben sicher auch sehr gelitten unter dem Abwärtstrend durch die Ampel. Das hat uns sehr viel Gegenwind beschert. Wir haben seit zwei Jahren eine Kampagne, die uns zum Lieblingsfeind von allen macht.
Die Partei Bündnis 90/Die Grünen nimmt ihre eigene Programmatik ernst und sagt: "Wir müssen die Zukunft gestalten, wir müssen die Klimakrise bekämpfen!" Das ruft Reaktionen hervor bei denen, die gerne alles so belassen möchten, wie es im Moment ist, was meiner Meinung nach sehr, sehr töricht und wenig zukunftsfähig ist.
Wir leben in turbulenten Zeiten. Die Welt ist im Wandel. Die Klimakrise ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Die "Vogel-Strauß-Taktik" ist da keine Lösung. Ein Grund für das schlechte Abschneiden bei der Landtagswahl war sicherlich auch die starke Polarisierung "Woidke oder AfD". Es hat dann halt leider nicht gereicht.
Was werden Sie keinesfalls vermissen, wenn sie an ihre Arbeit zurückdenken?
Manche unschönen, internen Auseinandersetzungen. Da hätte ich mir manchmal mehr Miteinander, mehr Solidarität gewünscht.
In der Kenia-Koalition lief es nicht immer harmonisch etwa als Ministerpräsident Woidke den Corona-Impfprozess, für den Sie verantwortlich waren in Brandenburg, plötzlich an das Innenministerium übertrug. War das für Sie eine Demütigung?
Ich fand es schwierig, aber in einer sehr heftigen Krise geht man nicht von Bord, sondern zeigt Flagge. Ich finde, wir haben es gemeinsam gut hingekriegt und drei Monate später durften wir auch wieder weitermachen, nachdem die Brandenburger Impfzahlen praktisch unverändert schlecht gewesen waren. Ich bin der Meinung, dass wir uns als Landesregierung immer wieder zusammengerauft haben.
Am schwierigsten ist mir gegen Ende die Positionierung in der Asyl- und Migrationspolitik gefallen, weil ich da doch einen Schwenk des Ministerpräsidenten und der SPD hin zu einer sehr restriktiven Haltung verspürt habe, die hier im Haus fachlich nicht geteilt worden ist. Da waren, glaube ich, die Differenzen schon am größten, nicht während der Corona-Pandemie.
Die Bekämpfung der Pandemie hat die Gesellschaft stark polarisiert. Sollte man diese Zeit nochmal aufarbeiten, um auf eine nächste Pandemie vorbereitet zu sein?
Wir hatten in der vergangenen Wahlperiode zwei Corona-Untersuchungsausschüsse, die die AfD mit ihrer Stimmenanzahl erzwungen hatte. Dort stand kein besonderes Erkenntnisinteresse im Vordergrund. Ich bin bei insgesamt vier Terminen dort teilweise bis zu sechs Stunden befragt worden. Es waren sehr oft immer wieder dieselben Mythen aus dem Querdenker-Milieu, die dort aufgerührt worden sind. Wer an echter Aufarbeitung interessiert ist, der muss sehr, sehr intensiv einsteigen. Wir hatten eine internationale Situation.
Als die Pandemie begann, wusste niemand genau, was auf uns zukommt. Wir hatten x-verschiedene Varianten des Erregers mit unterschiedlicher Infektiosität. Das muss man ja alles in Relation setzen. Wenn man im Nachhinein mit dem Wissen von 2024 versucht, bestimmte Entscheidungen im Herbst 2020 zu bewerten, ist das sehr schwierig, weil man den Hintergrund berücksichtigen muss und von daher ist das eine sehr hyperkomplexe Angelegenheit.
Im Moment habe ich die Sorge, dass das nur benutzt wird, um bestimmten wissenschaftsfeindlichen Ansichten Auftrieb zu verleihen. Das kann von mir aus in einer Enquete-Kommission, wie das im Moment in den Koalitionsverhandlungen diskutiert wird, nochmal bearbeitet werden. Aber das ist sicher eine schwierige Angelegenheit.
Sind Sie mit sich im Reinen?
Ja. Ich habe mich damit so intensiv beschäftigt, dass ich da nicht mehr grübele. Ich bin der Meinung, dass die gesamte Landesregierung sich zu jedem Zeitpunkt immer sehr, sehr intensiv mit den Sachfragen beschäftigt hat und die Antworten gegeben hat, die zu dem damaligen Zeitpunkt der aktuelle Stand waren. Wir haben es uns nicht leicht gemacht, und auch im Kabinett ist damals extrem viel diskutiert worden. Das war eine Mannschaftsleistung, und da ist gut reagiert worden. Ich finde, dass wir bei allen Schwierigkeiten insgesamt gut durch diese Pandemie gekommen sind.
Inwiefern hat diese Zeit und die Arbeitsbelastung an Ihnen genagt?
Das war extrem herausfordernd. Früh morgens war der erste Griff zum Handy: Wie sind die aktuellen Fallzahlen? Wie entwickelt sich die 7-Tage-Inzidenz? Ist wieder irgendwas passiert? Haben wir einen Ausbruch in einem Pflegeheim? Das hat uns alle hier extrem beschäftigt, jeden Tag von morgens bis spät abends, und auch dieses Ministerium unwahrscheinlich gefordert.
Wir brauchen uns nicht zu verstecken. Die Erfolge dieser Kenia-Koalition liegen auf dem Tisch, die kann auch keiner wegdiskutieren. Das Land hat sich gut entwickelt und das sagen ja auch viele Leute, wo ich hinkomme. Wir kommen gut voran, das ist wesentlich besser geworden. Diese Diskrepanz zwischen einer erfolgreichen Regierungstätigkeit und dieser Weltuntergangsstimmung, dass alles furchtbar ist, die ist mir fast unbegreiflich.
Wenn wir vor zehn Jahren solche sozialen Daten und einen solchen Standard gehabt hätten, wären die Leute in Begeisterung ausgebrochen - was sozialversicherungspflichtige Jobs angeht, was die Arbeitslosenquote im Bundesschnitt angeht, was die Ansiedlung von Industrie- und Wirtschaftsunternehmen hier angeht und auch die Fortschritte in Sachen Klimaschutz und Energiewende. Hier ist viel geleistet worden und viel Gutes passiert.
Fühlen Sie sich gekränkt? Würden Sie sich mehr Anerkennung und Dank wünschen?
Ich würde das persönlich jetzt nicht als Kränkung sehen. Nein. Wir beobachten diese Phänomene in vielen westlichen Gesellschaften. Wir sehen jetzt wieder den - für uns fast unbegreiflich wirkenden - Wahlsieg von Trump in USA. Wir müssen versuchen zu verstehen, was dort passiert ist. Da ist in den vergangenen Jahren etwas gerutscht in der gesamten Gesellschaft, nicht nur in Deutschland, hin zu "Hilfe! Bleibt mir mit Veränderungen von der Wäsche. Ich will, dass alles so bleibt, wie es früher nie gewesen ist." Das ist ja auch eine illusionäre Verkennung. Auf einmal war die DDR ganz toll. Diese Veränderung der letzten Jahre zu verstehen, zu begreifen und einzuschätzen, das empfinde ich schon weiterhin eine Aufgabe.
Klingt, als würden Sie als Westdeutsche mit dem Osten fremdeln.
Ach Gott, jetzt kommt wieder die alte Ostdeutschen-und-Westdeutschen-Leier! Da reagiere ich gereizt drauf. Die Grünen sind immer die "Besser-Wessis" und haben kein Verständnis vom Land. Wir stellen für diese Landtagswahl zwei Menschen auf - Benjamin Raschke und Antje Töpfer - die hier geboren sind, die hier aufgewachsen sind, die hier studiert haben, die hier gelebt haben. Das wird nirgendwo erwähnt. Wir haben auch unsere Parteistrukturen in der Peripherie ausgebaut, aber trotzdem höre ich mir jedes Mal die alte Leier an.
Sind Maßstäbe, die heute an Politiker angelegt werden, zu hoch? Hat sich da was verschoben?
Ich glaube, dass oftmals einfach ungerechtfertigte Haltungen unterstellt werden: Immer dieses Eliten-Bashing, die sind abgehoben, die haben von nichts eine Ahnung oder die sind ganz weit entfernt. Das ist an mir immer abgeprallt. Ich komme aus einer Familie, in der meine Eltern beide acht Jahre Dorfschule oder Volksschule absolviert haben, ich komme aus keinem Haushalt, der akademisch gebildet gewesen ist. Wir hatten kein Klavier zu Hause, keine Reichtümer. Ich besitze keine Aktien, ich sitze in keinem Aufsichtsrat, habe mein ganzes Leben lang immer viel gearbeitet.
Wenn ich alles zusammenrechne, habe ich 30 Jahre im Krankenhaus gearbeitet, bevor ich dann hauptamtlich Politik gemacht habe. Von daher finde ich diese Anwürfe völlig daneben. Und auch wenn Kommunalpolitiker und – politikerinnen angegangen werden auf eine Art und Weise, die völlig grenzüberschreitend ist, finde ich das wirklich schlimm. Das sind Verwahrlosungstendenzen in unserer Demokratie, und ich muss auch sagen, ich bin nach wie vor entsetzt, dass bei mir Querdenker-Demonstrationen vor meinem Privathaus auflaufen. Das empfinde ich wirklich als eine Grenzüberschreitung.
Was hätten Sie denn gerne noch erreicht?
Ich bin mir keiner Dinge bewusst, wo ich sage: Meine Güte, das hätten wir eigentlich noch wuppen müssen. Was wir im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, haben wir angeschoben und umgesetzt – plus Bewältigung von Corona-Pandemie, Afrikanischer Schweinepest und diversen anderen Seuchen. Mir geht es darum, dass die vielen Dinge, die auf den Weg gebracht worden sind, nicht wieder alle in Frage gestellt werden. Pakt für Pflege, Familienzentrum, aber auch viele Dinge im Integrationsbereich, dass so etwas nicht wieder zurückgedreht wird. Das ist, was mir Sorgen macht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch mit Ursula Nonnemacher führte Hanno Christ, rbb24-Landespolitik-Redaktion Brandenburg
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 14.11.2024, 19:30 Uhr
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