Politikwissenschaftler
Erst gewinnt in den USA Donald Trump die Wahl, kurz darauf bricht die Ampel-Koalition in Deutschland zusammen. Grund genug, sich verunsichert zu fühlen. Oder? Der Politikwissenschaftler Aiko Wagner sorgt sich nicht wirklich.
rbb|24: Hallo Herr Wagner. Im Moment ist ja viel los. Morgens gewinnt Trump, abends platzt die Ampel. Ist das ein besonders ungünstiger Zeitpunkt, hierzulande die Ampel abzuwickeln, wo gerade ein absolut unberechenbarer Mann in den USA gewählt worden ist?
Aiko Wagner: Ja. Aber ich weiß gar nicht, was ein guter Zeitpunkt gewesen wäre, um die Ampel platzen zu lassen. Ich glaube natürlich, dass vor dem Hintergrund von Neuwahlen und des Wahlsiegs von Donald Trump Deutschland und auch Europa vor besonderen Herausforderungen stehen. Allerdings wird Trump ja das Amt erst im Januar antreten – und bis dahin hat sich vielleicht in Deutschland ein bisschen was wieder sortiert. Um es mal positiv zu sehen: Vielleicht wäre es beispielsweise Anfang Januar noch ungünstiger gewesen. Es war also zumindest nicht der allerungünstigste Zeitpunkt.
"Die Welt nah und fern bricht zusammen" - das hat mir heute früh jemand als Nachricht auf mein Telefon geschickt. Ist das so?
Ich weiß, dass ein großer Teil der Deutschen nicht für Trump die Daumen gedrückt hat. Aber es ist nun einmal eine demokratische Wahl, bei der man dann das Ergebnis – auch wenn es einem nicht passt – zu akzeptieren hat. Ob die Welt jetzt gleich zusammenbricht, wäre abzuwarten. Wir können hoffen, dass die "Checks and Balances", also die Gewaltenteilung in den USA, so weit funktioniert, dass ein Donald Trump zumindest nicht die Demokratie dauerhaft beschädigen wird. Ob jetzt er Politik-Inhalte verfolgt, die man nicht gut findet, kann man nicht ändern. So ist es nunmal in einer pluralistischen Welt, dass es da unterschiedliche Vorstellungen gibt. Aber von einem Zusammenbruch der Welt zu sprechen, ist vielleicht ein wenig überdramatisiert.
Um auf die aktuelle Situation zu kommen: Dass eine Regierung nicht immer durchhält bis zum Ende – gerade eine, die sich auch schon seit Längerem ziemlich beharkt hat – ist auch kein Zusammenbruch. Es ist sicherlich turbulent und eine sehr dynamische Lage. Es gibt den chinesischen Fluch "Mögest Du in interessanten Zeiten leben!" Das hat man jetzt ein bisschen.
Aber ich würde es wirklich erst einmal nicht überdramatisieren. Die Regierung ist gescheitert, jetzt muss sich bei aller Voraussicht nach Neuwahlen eine neue finden. Dann werden die verantwortlichen Akteure versuchen, neue Mehrheiten zu schmieden.
Wie ordnen Sie den Bruch der Ampel im Vergleich zu vergangenen Koalitionsbrüchen in der Geschichte der Bundesrepublik ein?
So etwas gab es auf der Bundesebene bislang sehr selten. Da gibt es seitens der politischen Eliten eine hohe Disziplin und eine Verantwortung, zu der man steht. Auch wenn die Unterschiede groß sind – und wenn sich verschiedene Parteien zusammenfinden, finden sich natürlich auch verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Vorstellungen davon, was man in der Politik machen sollte – waren Verantwortlichen da bislang sehr besonnen. Ich würde auch nicht unterstellen, dass beim derzeitigen Ampel-Ende eine Seite leichtsinnig war. Aber man hat gemerkt, dass es drei Parteien waren, die in manchen Fragen sehr weit auseinander lagen. Deshalb gab es in Fragen von Wirtschafts-, Finanz- und teils auch der Klima- und Sozialpolitik sehr unterschiedliche Vorstellungen. Dadurch, dass gleich zu Beginn der Amtszeit der Ampel der Angriff auf die Ukraine stattfand, und durch die damit verbundene Energie-Mangellage, die Inflation und die Wirtschaftskrise wurde das Geld knapp. Das hat die Situation noch einmal verschärft.
Deshalb stand diese Ampel von Anfang an unter sehr großem Stress. Die Weltlage hat auf die Ampel gedrückt und das immer genau da, wo es wehtat, nämlich beim Geld. Spätestens seit einem Jahr, als das Bundesverfassungsgericht über den Haushalt entschieden hat, hat es immer mehr geknirscht. Und wie es dann manchmal so kommt: Wenn man merkt, es geht nicht mehr zusammen, trennen sich Partner.
Doch die Art und Weise, wie das geschehen ist, ist neu und besonders: also dass nicht die Parteien gesagt haben, dass es nicht mehr geht, sondern dass am Ende der Kanzler den Finanzminister vor die Tür setzt. Er hat ja gar nicht die Koalition auflöst, sondern nur Christian Lindner rausgeschmissen. Das ist schon sehr deutlich. Man hat Olaf Scholz in seinem Statement dann angemerkt, dass es keine Kurzschlussreaktion war, sondern dass sich da viel – auch an persönlicher – Enttäuschung aufgestaut hat.
Inwiefern zeigt die Geschichte der Bundesrepublik, dass das politische System auch solche Krisen gut bewältigen kann?
Ich mache mir keine sonderlich großen Sorgen, dass jetzt das politische System hierzulande ins Wanken gerät. Dass eine Koalition vorzeitig beendet wird, hatten wir beispielsweise auch 2005, als Gerhard Schröder damals die Neuwahl ausgerufen hat nach der verlorenen Landtagswahl. Das gab es auch 1982/83, als die FDP die sozialliberale Koalition verlassen hat. Es gab auch eine gescheiterte Regierungsbildung mit Jamaika bei der Wahl 2017. Es ist nicht so, dass immer alles glattgeht. Wenn man auf die Landesebene schaut, sieht man auch da, dass Regierungsbildung nicht immer einfach ist.
Unser politisches System sieht es vor, dass Regierungen auch mal frühzeitig aufgelöst werden. Dann gibt es Neuwahlen. Dafür sind die Hürden relativ hoch, aber sie sind definitiv machbar. Bisher ist das immer gut gegangen und ich sehe keinen Grund, warum das jetzt komplett schieflaufen sollte.
Nach den Neuwahlen wird es neue Kräftekonstellationen geben und mit denen wird dann zu arbeiten sein. Ich sehe da keine Systemkrise.
Wem kämen Neuwahlen jetzt gelegen? Der CDU? Der AfD? Dem BSW?
Dreimal ja. Für die Ampelparteien wäre es sicherlich gut gewesen, mehr Zeit zu haben. Einerseits mit der Hoffnung, dass sich die wirtschaftliche Lage aufhellt und andererseits, dass man mit Blick auf die anstehende Wahl gar nicht mehr so über Politikdifferenzen diskutiert hätte, sondern sich auf den Wahlkampf konzentriert. SPD und Grüne haben ein Tief. Die FDP muss darum bangen, überhaupt wieder in den Bundestag einzuziehen. Die Ampelparteien stehen derzeit alle nicht so gut da. Schon deshalb denke ich, dass es sich da keiner leicht gemacht hat, sich dafür zu entscheiden, die Koalition platzen zu lassen. Wo es Verlierer gibt, gibt es im Nullsummenspiel auch Gewinner. Das ist zuerst die Union, die in den Umfragen derzeit ganz gut dasteht. Die AfD hat sich auch wieder etwas stabilisiert. Das BSW hat mit den Koalitionen auf der Landesebene keine ganz leichte Situation – da sind frühzeitigere Bundestagswahlen vielleicht auch gar nicht so unattraktiv.
Welche Chancen können sich aus dieser Situation für Deutschland ergeben?
Vielleicht ist die größte Chance, dass so ein weiter durchwursteln und das sich gegenseitig Blockieren und das Gefangensein im politischen Streit – der vielleicht noch zehn Monate weitergegangen wäre – vermieden ist. Die Verhältnisse sind klarer. Die Koalition ist vorbei, die Partner gehen getrennte Wege. Das kann heilsam sein. Das ist vielleicht der einzige positive Punkt nach diesem Ereignis.
Sie sagen es schon. So viele positive Punkte gibt es nicht. Viele Menschen sind also durchaus verunsichert. Wie geht man damit am besten um?
Die Unsicherheit ist meiner Meinung nach unterschiedlich stark ausgeprägt. Mit Blick in Richtung USA haben wir es mit einem teils irrlichternden neuen Präsidenten zu tun, von dem man überhaupt nicht weiß, was zu erwarten ist. Da kann man nicht einmal einfach sagen, dass Donald Trump Politikvorstellungen hat, die den eigenen widersprechen. Denn man weiß ja schlichtweg nicht, was dieser Mann vorhat. Wahrscheinlich weiß er selbst morgens noch nicht, was er abends dann gesagt haben wird. Deshalb ist die USA gerade die größere Wundertüte.
Bei den deutschen Parteien gibt es ja nicht so viele Optionen, wie es weitergehen wird. Auch die Union wird der vielzitierten staatspolitischen Verantwortung schon gerecht werden und sich nicht wegducken. Daher glaube ich, dass die Verunsicherung in Deutschland um Welten geringer ist als die, die aus den USA kommt.
In Deutschland wird es also wahrscheinlich bald eine neue Regierung geben – und das ist keine so schreckliche Situation. Und es gab ja auch Umfragen, wonach sich eine Mehrheit der Deutschen Neuwahlen gewünscht hat. Es ist also nicht nur ein negatives Beben, sondern auch das, was sich die meisten Menschen erhofft hatten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.11.2024, 13:40 Uhr
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