Interview | Ukraine-Zentrum an der Viadrina zu US-Wahl
Die Wissenschaftler des Ukraine-Forschungs-Zentrums fürchten Folgen der US-Wahl für die Ukraine. Während Kamala Harris wohl den Weg von Biden fortführen würde, könnte Trumps Wahl Putin direkt die Hände spielen, sagt Forscherin Susann Worschech.
Die Bürger in den USA sind zur Wahl eines neuen Präsidenten oder einer Präsidentin aufgerufen. Auch in Berlin, Brandenburg und der Ukraine wird der Ausgang mit Spannung erwartet. Wissenschaftlerin Susann Worschech koordiniert den Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukraine-Studien Frankfurt (Oder)-Berlin an der Europauniversität Viadrina. Sie beschäftigt sich dort mit den Folgen der US-Wahl für die Ukraine und spricht von einem größeren oder möglicherweise kleineren Übel für das Land im Krieg mit Russland.
rbb|24: Warum ist die US-Wahl mit Blick auf die Ukraine so wichtig?
Susann Worschech: In der Ukraine, wie auch insgesamt in gesamt Ost-Mitteleuropa, schaut man mit sehr großer Sorge auf diese Wahlen. Es geht letztlich um die Frage, wie stark wird die Ukraine weiter unterstützt. Wie stark kann aber auch insgesamt die Unterstützung und die Zusage für ganz Ost-Mitteleuropa sein, dass diese Länder, diese Gesellschaften frei und demokratisch bleiben können. Das hängt im starken Ausmaß vom Ausgang dieser Wahlen ab.
Was ist im schlimmsten Fall zu befürchten?
Man muss ganz klar sagen: die Wahl von Trump und auch ein Sieg der Republikanischen Partei in den Wahlen zum Senat und zum Repräsentantenhaus, die ja auch gleichzeitig stattfinden, wäre der größte anzunehmende Unfall für die Ukraine. Man muss damit rechnen, dass Trump nicht nur der Ukraine die Unterstützung entzieht. Er ist ein wahnsinnig erratischer Typ. Wir können uns auf nichts von dem verlassen, was passieren könnte. Das wird zu einer sehr unsicheren, unverbindlichen Situation kommen.
Trump hat angekündigt, er würde diesen Krieg innerhalb eines Tages beenden. Das heißt, er ist jemand, der sehr stark darauf setzt, Deals machen zu können und hält sich für den größten Helden, den es überhaupt gibt. Das ist eine ganz große Unsicherheit und man muss damit rechnen, dass ein sogenannter Deal, wenn er versucht, den irgendwie durchzudrücken, ganz klar zu Lasten der Ukraine und letzten Endes zum Durchsetzen der Maximalforderung Putins beitragen würde.
Geht es um Entzug von Geld und Unterstützung?
Das Absurde, was Trump bisher im Wahlkampf angekündigt hat, ist, dass er diesen Deal herbeiführen würde können, indem er einerseits Selenskyj sagt: Wenn er nicht sofort verhandlungsbereit wäre, würde er die Unterstützung - vor allem die militärische - einkürzen oder sogar vollständig reduzieren. Zugleich sagt er zu Putin: Wenn Putin nicht verhandlungsbereit wäre, würde er die Ukraine mit allem, was bisher möglich ist und noch darüber hinaus unterstützen. Mit einer solchen widersprüchlichen Logik kann er nicht mal einen Konflikt von Vierjährigen im Sandkasten lösen. Das ist offensichtlich.
Es läuft aber darauf hinaus, dass, was Trump beeinflussen kann, ist tatsächlich die aktive Unterstützung der Ukraine. Wenn er die zurückfährt - das wäre für ihn das einfachste - dann hat Putin leichtes Spiel, kann sich zurücklehnen und letzten Endes die gesamte Ukraine unterwerfen. Das wäre das Ende der freien, demokratischen Ukraine.
Lässt sich schon sagen, was sich mit einer Wahl von Kamala Harris ändern würde?
Harris würde für eine Kontinuität stehen. Was wir bei Harris sehen, ist, dass sie sehr sicher die Politik von Joe Biden fortführen würde. Das wäre für die Ukraine aber auch nur eine halb-gute Nachricht. Denn Biden hat zwar sowohl in der Rhetorik als auch faktisch die Ukraine immer unterstützt. Die USA sind der größte Unterstützer. Zugleich hat er aber zwei entscheidende Schritte nicht mitgemacht. Das eine wäre eine klare Zusage und eine Einladung zu einem Nato-Betritt der Ukraine. Das andere wäre die Aufhebung der Reichweiten-Beschränkung der gelieferten Waffen. Beides würde die Ukraine in die Lage versetzen, Putin zu wirklich realistischen Bedingungen zum Verhandeln zu zwingen.
Joe Biden hat das bisher nicht gemacht. Die Frage ist, ob Kamala Harris sich von ihrem Ziehvater gewissermaßen emanzipieren könnte und diese Schritte geht. Ob sie sagt, sie nimmt dort gewissermaßen auch eine Führungsrolle im gesamten westlichen Bündnis ein, würde den Nato-Beitritt durchsetzen, die Reichweiten-Beschränkung aufheben. Ich halte das aber für sehr fragwürdig, ob sie sich das traut, ob sie dazu bereit ist. Eine weitere Fortsetzung der Biden-Politik würde letzten Ende aber auch bedeuten, dass die Ukraine weiterhin sehr stark auf sich gestellt ist, eine zu geringe Unterstützung bekommt und wir sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen.
Wie verfolgen Sie das an der Viadrina?
An der Europauni ist es das große Thema. Alle schauen zu und gucken, was passiert. Es gibt Gesprächsrunden und Auswertungen. Wir als Uni schauen auch mit diesem europäischen Blick auf die Wahlen und wissen, dass auch das Schicksal Europas immer ganz stark von Amerika abhängig ist und dass auch gerade die Frage, ob wir ein freies, demokratisches Europa bleiben können oder die Orbáns, die Melonis, die autokratischen, rechten Akteure in Europa auch durch einen Sieg Trumps gestärkt werden. Das bewegt uns nicht aus Sicht der Ukraine, sondern Europa insgesamt.
Trump ist ein Vorbild für autoritäre Parteien in Europa. Die würden sicherlich auch einen Aufwind bekommen. Es ist wichtig, dass wir in Europa aufwachen und verstehen, dass wir unsere Demokratie schützen müssen. Gemeinsam mit der Ukraine, indem wir die Ukraine bei ihrem Abwehrkampf, ihrem Widerstand gegen diesen russischen Angriffskrieg ganz enorm unterstützen müssen. Viel mehr als das bisher der Fall ist. Denn nur eine freie und demokratische Ukraine, die sich vollständig gegen diese Aggression wehren kann, kann auch zeigen, dass Europa frei und demokratisch bleiben kann. Ost-Mitteleuropa, Polen, das Baltikum haben das verstanden. Wir in Deutschland haben das noch lange nicht. Aber es ist dringend notwendig, dass wir uns darüber im Klaren sein müssen und ein Konzept entwickeln, wie wir Europa gegen die Autokraten und Anti-Demokraten von innen und außen verteidigen können.
Haben Sie Kontakt in die Ukraine, wie die Wahl dort gesehen wird?
Selbstverständlich. Wir sind in Kontakt mit unseren Partner-Hochschulen, den Kolleginnen und Kollegen dort, aber auch hier an der Viadrina. Wir haben auch viele ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die derzeit hier in Frankfurt arbeiten und forschen. Wir sind natürlich alle sehr gespannt. Man schaut mit sehr großer Sorge auf diese Wahl. Es ist gewissenmaßen die Wahl zwischen einem Weiter-so mit Harris, was nicht ausreicht, und einem größten anzunehmenden Unfall für die Ukraine, eine Katastrophe, wenn Trump gewählt werden würde.
Man muss dann immer noch schauen, wie sich Senat und Repräsentantenhaus zusammensetzen, wer werden Ministerinnen und Minister in den jeweiligen Kabinetten. Aber grundsätzlich schaut man mit Sorge und hofft, dass zumindest diese Katastrophe Trump irgendwie abgewendet werden kann. Aber ganz klar: wir werden uns auch mit einer Präsidentin Harris nicht ausruhen können – weder die Ukraine noch Europa insgesamt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Das Interview führte Martina Rolke für Antenne Brandenburg.
Sendung: Antenne Brandenburg, 05.11.2024, 16:10 Uhr
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