rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik

Leider gibt es ein Problem beim Abspielen des Videos.

Audio: rbb24 Inforadio | 04.12.2024 | Sabine Müller | Quelle: imago images/photothek

Ersatzfreiheitsstrafe

"Freiheitsfonds" holt wieder Schwarzfahrer aus dem Gefängnis - auch in Berlin

Eine Initiative kauft seit 2021 Menschen frei, die ohne Ticket Bus und Bahn gefahren sind und in Haft sitzen, weil sie die verhängte Geldstrafe nicht zahlen konnten. An diesem Mittwoch sollen bundesweit 100 Inhaftierte freikommen, viele davon in Berlin. Von Sabine Müller

Als "größte Gefangenenbefreiung der bundesdeutschen Geschichte" bewirbt der Freiheitsfonds seinen "Freedom Day", der nun schon zum zehnten Mal stattfindet. Die Initiative von Gründer Arne Semsrott hat nach eigenen Angaben diesmal genug Spenden gesammelt, um die Geldstrafen von 100 Menschen zu zahlen, die wegen "Beförderungserschleichung" in Haft sitzen.

Der Journalist und Aktivist Semsrott kritisiert es gegenüber dem rbb als "unverhältnismäßig", dass wiederholtes Schwarzfahren laut §265a des Strafgesetzbuchs hinter Gitter führen kann. Semsrott sieht eine "Diskriminierung vor allem armer Menschen", denn wie der Freiheitsfonds auf seiner Website schreibt, sind die Betroffenen meist arbeitslos (87 Prozent), ohne festen Wohnsitz (15 Prozent) und suizidgefährdet (15 Prozent).

Antrag im Abgeordnetenhaus

Berliner Linke fordert Verzicht auf Anzeigen gegen Fahrgäste ohne gültiges Ticket

Über die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens wird seit Jahren gestritten, der Bund will auch deswegen das Strafgesetzbuch überarbeiten. Nun fordern die Berliner Linken mit einem neuen Vorstoß die schwarz-rote Koalition heraus. Von Sebastian Schöbel

Gefängnisleitungen bitten um den Freikauf

In Berlin sollen diesmal 34 Menschen freikommen. Für sie öffnen sich die Gefängnistore in der Männer-JVA Plötzensee und der Frauenhaftanstalt Lichtenberg. Manche haben sich selbst an den Freiheitsfonds gewandt, bei anderen waren es Angehörige. Aber die meisten Anträge, Inhaftierte freizukaufen, kommen laut Semsrott von Gefängnisleitungen, die diese Form der Haft nicht für sinnvoll halten. "Das zeigt die ganze Absurdität der Situation", kritisiert er.

1.091 Menschen hat der Freiheitsfonds nach eigenen Angaben in den vergangenen drei Jahren freigekauft, 451 davon in Berlin. Mit der aktuellen "Freedom Day"-Aktion überspringt der Freiheitsfonds die Millionen-Marke, er hat dann 1.000.040 Euro an Spenden ausgegeben, um Menschen aus der Haft zu holen. Sinnvoll angelegtes Geld, findet Semsrott. Er rechnet vor, dem Staat damit bundesweit knapp 17 Millionen Euro gespart zu haben. Denn jeder Tag Haft ist teuer, in Berlin kostet er laut Berliner Justiz knapp 230 Euro.

Tagessätze von 5 statt 15 Euro

Generalstaatsanwältin Koppers will niedrigere Mindest-Geldstrafe durchsetzen

Geldstrafen orientieren sich am Einkommen der Verurteilten. Der niedrigste Tagessatz liegt bei 15 Euro - zu viel für arme Menschen, sagt Berlins Generalstaatsanwältin Margarete Koppers. Diese landen dann oft wegen Bagatelldelikten im Gefängnis.

Mehr als 13.000 Strafzeigen von Verkehrsunternehmen

In diesem Jahr haben laut Berliner Staatsanwaltschaft bisher 328 Menschen Ersatzfreiheitsstrafen wegen "Erschleichen von Leistungen" nach § 265a StGB angetreten (2023 waren es 541). Die meisten von ihnen haben die Strafe bereits verbüßt.

Um welche Delikte es dabei ging, wird nicht einzeln aufgeschlüsselt. Leistungserschleichung liegt zum Beispiel auch dann vor, wenn sich jemand ohne zu zahlen Zutritt zu einer Veranstaltung verschafft. Aus Justizkreisen heißt es aber, der überwiegende Teil der Ersatzfreiheitsstrafen werde gegen Schwarzfahrer verhängt.

Ohne Ticket werden in Berlin jedes Jahr Tausende erwischt, die allermeisten zahlen ihre Geldstrafe allerdings. Die Berliner S-Bahn teilte dem rbb mit, sie habe in diesem Jahr bis Ende Oktober rund 11.600 Strafanzeigen wegen Beförderungserschleichung gestellt. Bei der BVG waren es bisher 1.600. Nach Informationen des rbb passiert dies erst bei wiederholtem Schwarzfahren.

Ab Mitte 2027

Berliner Senat will autonom fahrende Busse auch in Innenstadt einsetzen

Der Nazi-Paragraf soll weg

Deutschlandweit kommen jedes Jahr etwa 7.000 Menschen wegen Schwarzfahrens in Haft. Der Freiheitsfonds kümmert sich aber nicht nur ums Freikaufen. Er arbeitet daran, den Straftatbestand der Beförderungserschleichung, der 1935 von den Nazis eingeführt wurde, komplett abzuschaffen. Mit dieser Forderung ist er nicht allein: Viele Juristen, Anwältinnen und auch Politiker teilen sie, ebenso die Mehrheit der Bevölkerung.

Im Oktober legte der damalige FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der Schwarzfahren von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabstufen soll. Doch nach dem Aus der Ampel-Koalition ist unklar, ob dieser nun weiterverfolgt wird. Freiheitsfonds-Gründer Arne Semsrott fordert, der Bundestag müsse dafür sorgen, dass eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens noch vor der Neuwahl verabschiedet werde. In der Berliner Landespolitik gibt es sowohl Unterstützung für diese Forderung als auch Widerstand dagegen.

Verkehrseinschränkungen

Berliner Hauptbahnhof wird ab Mitte Februar für zwei Monate teilgesperrt

Wochenlang werden ab Februar viele Gleise am Berliner Hauptbahnhof nicht verfügbar sein, weil an Schienen und Weichen gebaut wird. An zwei Wochenenden fahren im Tiefgeschoss sogar gar keine Züge.

Die Landespolitik ist uneins

Seine Fraktion lehne eine Entkriminalisierung der Leistungserschleichung ab, sagt der rechtspolitische Sprecher der CDU, Alexander Herrmann, dem rbb. Ebenso sieht es die AfD. "Armut ist fraglos hart", so der Abgeordnete Marc Vallendar, "darf aber auch kein Schutz vor Strafe sein."

Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) vermeidet eine klare Positionierung, verweist nur auf die geltende Rechtslage. "Solange eine Strafnorm nicht außer Kraft gesetzt ist, wird sie von den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten angewandt", schreibt ihre Pressestelle.

Einig sind sich SPD, Grüne und Linke, sie alle wollen das Schwarzfahren als Straftatbestand abgeschafft sehen. Jan Lehmann, der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, nennt Strafverfolgung bis zur Ersatzfreiheitsstrafe "nicht menschenwürdig und nicht mehr zeitgemäß". Die Grüne Petra Vandrey verweist angesichts klammer Kassen noch auf einen anderen Punkt: "Haftplätze sind teuer und unsere Gefängnisse ohnehin schon am Rande ihrer Kapazitäten, besonders was das fehlende Personal in den Gefängnissen angeht."

Haushaltskürzungen

Berliner Senat kürzt massiv: Verkehr und Klimaschutz stark betroffen

Die geplanten Einsparungen des Berliner Senats stellen eine erhebliche Bedrohung für die Erreichung der Klimaschutzziele dar. Es bleibt abzuwarten, ob der Senat auf die Kritik reagiert und alternative Finanzierungsmöglichkeiten in Betracht zieht. Felix Creutzig aus dem Berliner Klimaschutzrat zeigte sich auf radioeins schockiert über die Kürzungen. Er betont, dass die Klimaschutzziele Berlins für 2030 unter diesen Bedingungen nicht mehr erreichbar sind.

Diese Alternative gäbe es zur Paragrafen-Abschaffung

Die Sorge, dass ein Gesetzentwurf aus dem Bund auf sich warten lässt oder unter einer möglichen neuen, CDU-geführten Bundesregierung gar kein Thema mehr ist, treibt Berliner Politiker um. Unter anderem die Linksfraktion, deren Abgeordnete 2023 laut Fraktions-Angaben übrigens 24.140 Euro an den Freiheitsfonds gespendet haben.

Wie Jan Lehmann von der SPD verweist auch der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, auf eine andere Handlungsoption. Der Senat könne das Landesunternehmen BVG anweisen, auf Strafzeigen wegen Schwarzfahrens zu verzichten. Schlüsselburg verweist auf andere Städte, in denen Verkehrsunternehmen dies schon tun, etwa Köln, Bremen oder Potsdam. Im Berliner Senat gibt es nach rbb-Informationen aber keine Überlegungen in diese Richtung.

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.12.2024, 9:40 Uhr

Beitrag von Sabine Müller

Artikel im mobilen Angebot lesen