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Besetztes Haus in Berlin
Im Kampf um die Räumung des seit Jahren besetzten Hauses in der Rigaer Straße 94 gehen die Anwälte des Eigentümers jetzt gegen drei Richter am Landgericht vor. Ein Vorwurf: Sie sollen Schriftsätze über Monate nicht weitergeleitet haben. Von Jo Goll und René Althammer
Der Rechtsstreit um das Haus Rigaer Straße 94 - letztes Symbol der linksextremen Besetzer-Szene Berlins – hat eine neue Wendung genommen. Die Anwälte des Eigentümers haben jetzt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen drei Richter der 66. Kammer am Landgericht II in Berlin gestellt. Außerdem drohen sie Schadensersatzansprüche an. Die Richter sollen Berufungsprozesse verzögert und Schriftsätze nicht weitergeleitet haben. Dem Eigentümer sei nach Darstellung seiner Anwälte dadurch ein schwerer wirtschaftlicher Schaden entstanden.
Die juristische Auseinandersetzung um die Rigaer 94 zieht sich seit Jahren hin. Der Eigentümer versucht, das Haus räumen zu lassen. Ein großer Teil der aktuellen Bewohner lebt illegal im Haus, andere haben umstrittene Mietverträge oder nutzen die Wohnungen von Altmietern, die längst ausgezogen sind.
Das Haus gehört laut Grundbuch einer britischen Firma: der Lafone Investments Limited. Hinter dieser Firma steht ein Geschäftsmann, der nicht öffentlich in Erscheinung treten will - aus Angst vor Bedrohung, wie er angibt. Die Lafone Investments hat schon vor Jahren zwei Berliner Anwaltskanzleien beauftragt, ihre Interessen durchzusetzen. Letztlich geht es darum, dass der eigentliche Eigentümer des Hauses, der als sogenannter "wirtschaftlich Berechtigter" hinter der Lafone steht, seine Rechte wahrnehmen und - beispielsweise - dafür sorgen kann, dass die Bewohner ausziehen, die keine Miete zahlen.
Die aktuellen Bewohner des Hauses wehren sich mit eigenen Anwälten. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht dabei immer wieder die Frage, ob die Anwälte des Hauseigentümers überhaupt dazu berechtigt sind, seine Interessen zu vertreten.
Lange geht es um formelle Fragen, die sich aus dem Unterschied des britischen und des deutschen Rechts ergeben. Allerdings bejahen im Frühjahr 2021 sowohl das Kammergericht als auch das Verwaltungsgericht Anträge der Lafone Investments Limited und bestätigen die sogenannte "ordnungsgemäße Bestellung" der sie vertretenden Rechtsanwälte. Damit hätte man vor Gericht eigentlich dazu übergehen können, sich der Kernfrage zu widmen: Darf der Eigentümer des Hauses jetzt gegen die aus seiner Sicht illegalen Bewohner vorgehen?
2021 gehen die Eigentümer-Anwälte davon aus, dass nach zwei grundlegenden Entscheidungen des Kammergerichts und des Verwaltungsgerichts zur "Rechts- und Parteifähigkeit" der Weg frei sei, sich mit Besetzern und Mietern in der Sache auseinanderzusetzen. Sie erheben Räumungsklagen gegen alle Bewohner und Besetzer.
Prompt landen diese Klagen vor dem Amtsgericht Kreuzberg – und werden allesamt abgelehnt. Begründung: Die Lafone Investments Limited sei nach dem Brexit nicht rechts- und parteifähig – und es sei auch gar nicht klar, ob die Anwälte überhaupt berechtigt sind, gegen die Mieter vorzugehen. Dass das Kammergericht und das Verwaltungsgericht dies zuvor - im Frühjahr 2021 - schon anders beschieden hatten, spielt beim Amtsgericht Kreuzberg offenbar keine Rolle.
Die Lafone als Eigentümerin lässt daraufhin Berufung einlegen und 13 Fälle landen bei der 66. Kammer des Landgerichts Berlin II.
Was dann geschieht, beschreiben die Anwälte des Eigentümers in einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständigen Richter wie folgt: "unsachgemäße, auffällige und hartnäckige Verzögerungen", "Untätigkeit und verfehlte und parteiische Verhandlungsführung", "bewusste Verweigerung der Aktenbearbeitung". Die Kammer habe nach Auffassung der Anwälte, so ist es in der 18 Seiten umfassenden Beschwerde vom 29. November 2024 nachzulesen, in den vergangenen 20 Monaten alles dafür getan, um das weitere Verfahren zu verzögern bzw. ruhen zu lassen. Die Richter am Landgericht hätten es unterlassen, die Berufungsschriftsätze an die Anwälte der Bewohner weiterzuleiten. Ebenso seien die Berufungsbegründungen einfach liegengeblieben.
Durch diese Untätigkeit der Kammer sei dem Eigentümer über die Monate erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstanden. "Das bewusste Unterlassen von verfahrensleitenden Handlungen der 66. Kammer" komme nach Auffassung der Lafone-Anwälte einer "Rechtsverweigerung" gleich, heißt es in der Dienstaufsichtsbeschwerde, die rbb24 Recherche vorliegt. Auch sei eine "Schadenersatzklage aus Amtshaftung gegen alle drei Richter der 66. Kammer" in Vorbereitung. Zudem wird gefordert, die Fälle einer anderen Kammer zuzuweisen.
Was die Anwälte des Eigentümers besonders ärgert: Sie hielten sich eigentlich für geduldig. Dass die Gegenseite versuche, auf Zeit zu spielen, sei nicht ungewöhnlich, heißt es von den in Berlin ansässigen Anwälten des Eigentümers. Doch als auch das Gericht auf Fragen nicht reagiert habe, seien sie stutzig geworden und hätten Akteneinsicht genommen, sagt Rechtsanwalt Alexander von Aretin im Gespräch mit dem rbb. Das Ergebnis habe sie dann doch überrascht: Es sei gar nicht so sehr die Gegenseite gewesen, die auf Zeit spielte, sagt von Aretin. Vielmehr sei es das Gericht gewesen, dass die Verzögerungen verursacht habe.
Die Pressesprecherin des Landgerichts teilt auf rbb-Anfrage dazu mit: "Für Dienstaufsichtsbeschwerden und Ablehnungsgesuche gibt es vorgegebene Verfahren. In diesem Rahmen wird über die entsprechenden Anträge entschieden werden. Dem kann und darf ich nicht vorgreifen."
Doch die Beschwerde scheint Wirkung zu zeigen. Die Kammer habe nun - nach durchschnittlich 18 Monaten Verfahrensstillstand - zum ersten Mal Verfügungen veranlasst und die Berufungsbegründungen und sonstige Schriftsätze an die Gegenseite übermittelt, erklärt Eigentümer-Anwalt von Aretin. "Seit wir Akteneinsicht genommen und dadurch entdeckt haben, dass die Richter monatelang alles liegen ließen, hat sich etwas bewegt." Mit ersten Ergebnissen: Sieben ehemalige Bewohner und Bewohnerinnen, die längst ausgezogen, aber noch immer im Besitz von Mietverträgen sind, haben im Rahmen von sogenannten "Anerkenntniserklärungen" der Auflösung ihrer Mietverträge zugestimmt.
Die juristische Gegenwehr gegen Räumungsklagen des Eigentümers wäre damit eigentlich gebrochen, der Weg für eine Räumung grundsätzlich frei. Doch nach Ansicht der Eigentümer-Anwälte ziehen auch hier die Richter der 66. Zivilkammer des Landgerichts II offenbar nicht mit. In der Dienstaufsichtsbeschwerde schreiben die Anwälte des Hauseigentümers: "Auch sieben prozessuale Anerkenntniserklärungen von ehemaligen Mietern führten nicht dazu, dass die Richter der 66. Kammer auch nur in einem Fall ein Anerkenntnis- oder Teilanerkenntnisurteil in Erwägung zogen. Dies begründete die Kammer mit der angeblich immer noch ungeklärten Frage der Rechts-, Partei- und Prozessfähigkeit der Klägerin." Und das, obwohl inzwischen – siehe oben – zwei Gerichte anders entschieden haben.
Das juristische Hin und Her treibt nicht nur für die Eigentümerin die Kosten in die Höhe. Prozesskosten, Neben- und Unterhaltskosten des Hauses stehen so gut wie keine Mieteinnahmen gegenüber. Je länger sich alles hinzieht, umso mehr müssen auch die illegalen Besetzer damit rechnen, dass sie zu sogenannten "Nutzungsersatzzahlungen" verpflichtet werden und die entgangenen Mieten zu begleichen haben. Und jede weitere juristische Schleife treibt auch die Gerichtskosten für die Bewohner in die Höhe. In einem aktuellen Fall hat das Kammergericht eine Besetzerin dazu verurteilt, über 20.000 Euro "Nutzungsersatz" zu bezahlen.
Die verbliebenen Besetzer geben sich auf ihrer Website aber weiterhin gewohnt kämpferisch: "Wir sind traurig, ängstlich und wütend, nichtsdestotrotz aber auch angriffslustig und zuversichtlich, dass wir auch die kommenden Angriffe gemeinsam überstehen werden - zu viele haben schon zu oft unser Ende verkündet und auch dieses Mal können sie sich alle auf Überraschungen gefasst machen!" Wann es dazu kommen könnte, ist derzeit nicht absehbar.
Sendung: rbb 88.8, 18.12.2024
Beitrag von Jo Goll und René Althammer
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