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Interview | Opferbeauftragte SED-Diktatur
Vor 35 Jahren stürmten DDR-Bürger die Stasi-Zentrale und stoppten die Aktenvernichtung. Diese Akten erleichtern heute auch Evelyn Zupke die Arbeit. Als Bundestagsbeauftragte will sie die soziale Lage der Opfer verbessern - und ist optimistisch.
rbb: Evelyn Zupke, Sie sind seit gut dreieinhalb Jahren Beauftragte für die Opfer der SED-Diktatur. Warum war die DDR eine Diktatur?
Zupke: Es gab keine freien Wahlen, es gab keine Pressefreiheit, keine Versammlungs- oder Meinungsfreiheit, keine Reisefreiheit. Allein daran sieht man schon, dass es eine Diktatur gewesen ist. Und natürlich waren die Menschen in Unfreiheit gehalten. Jeder Mensch, der sich anders benahm, anders bewegte, als der Staat es wünschte oder vorsah, hatte die Folgen zu spüren. Ich als SED-Opferbeauftragte spüre das natürlich noch heute, weil ich mit den Betroffenen des Unrechts der Diktatur zu tun habe.
Welche Folgen hatte diese Parteidiktatur für die Opfer?
Man muss wissen, dass es in der DDR circa 250.000 bis 280.000 politische Gefangene gegeben hat. Circa 36.000 Kinder und Jugendliche waren in Spezialkinderheim und Jugendwerkhöfen eingesperrt. Und es gab noch diverse andere Opfergruppen.
Weswegen wurde man politischer Gefangener?
Politischer Gefangener konnte man leicht werden. Die Menschen haben vielleicht mit anderen schlecht über die DDR geredet oder die DDR zu stark kritisiert, haben Flugblätter erstellt. Gerade einzelne Personen, die nicht organisiert waren, wie wir in den oppositionellen Gruppen, waren besonders gefährdet. Wenn ein einfacher Arbeiter im Betrieb ein Flugblatt an eine sogenannte Wandzeitung hing, dann konnte das zu politischer Haft führen. Viele Menschen wurden eingesperrt, weil sie einen missglückten Fluchtversuch hinter sich hatten. Das Strafgesetzbuch der DDR war sehr kreativ und fantasiereich. Oft wurden Jugendliche eingesperrt, die einfach unangepasst gewesen sind. Das kann die falsche Frisur sein, die falsche Klamotte, die falschen Gedanken, die ich dummerweise ausgesprochen habe. Falsche Musik hören, einfach eine große Klappe haben und auffallen.
Unter welchen langfristigen Folgen leiden diese Opfer?
Viele der Menschen, die von politischen Repressionen betroffen waren, haben langfristige Gesundheitsschäden davongetragen. Wenn man sich vorstellt, jemand kommt in politische Haft, eine Frau kommt nach Hoheneck, eines der berüchtigtsten Frauengefängnisse in der DDR, dass die dort in der Dunkelzelle saß, in der Wasserzelle stand, in Einzelhaft war, zu Verhören geholt wurde, Haft-Zwangsarbeit leisten musste - und so erging es sehr vielen Häftlingen - dann war das natürlich sehr, sehr traumatisierend. Diese Folgen begleiten die Menschen ein Leben lang.
Und wenn sie heute, nach Jahrzehnten, noch diese Gesundheitsfolgen anerkennen lassen wollen, dann ist das sehr schwierig. Es ist schwierig, die Kausalität zwischen der damaligen Repressionserfahrung und der heutigen Erkrankung nachzuweisen. Die Menschen leiden darunter, dass ihnen nicht geglaubt wird, dass die Ämter und Behörden sagen, das kann nicht sein, dass es daher kommt, das ist so lange her. Da kämpfe ich aber ganz stark, das zu verbessern.
Nach diesen furchtbaren Haftbedingungen leiden viele unter Traumata. Und aus der Traumaforschung wissen wir, dass auch die Kinder und Enkel teilweise von diesen Erfahrungen der Elterngeneration geprägt werden, dass auch sie darunter leiden. Sind sie in indirekter Form auch Opfer?
Das würde ich deutlich bejahen. Auch die Angehörigen, vor allem die Nachkommen, die Kinder der ehemals politisch Verfolgten sind Opfer der SED-Diktatur. Denn sie sind getrennt worden von ihren Eltern, sie haben mitunter die Verhaftung vor ihren eigenen Augen miterlebt. Oder die Eltern, die Mutter, der Vater, waren von dem einen auf den anderen Tag weg. Sie wussten nichts über den Verbleib, sie kamen in Heime, sie kamen zu Verwandten. Auch wenn sie später wieder zusammenkamen mit ihren Eltern, ist das Verhältnis oft gestört bis heute, weil eben viele Fragen im Raum stehen. Es stehen auch Schuldvorwürfe im Raum, oder die Eltern sind anders aus der Haft gekommen, als sie hineingegangen sind. Warum ist meine Mutter so komisch? Warum mussten immer die Türen aufbleiben? Warum wurde ich immer so beschützt, bewacht? Es gibt ganz viele Fragen, die dort aufkommen.
Opfer im Sinne des Gesetzes ist jemand, der mindestens 90 Tage in Haft gewesen ist und wesentliche wirtschaftliche Beeinträchtigungen dadurch erlitten hat. Eines Ihrer großen politischen Ziele ist es, die materielle Situation der Opfer zu verbessern. Das hatte sich auch die gescheiterte Ampel auf die Fahnen geschrieben, und hatte eine Novelle des entsprechenden Entschädigungsgesetzes vorbereitet. *Ist völlig unzureichend' haben Sie 2024 gesagt, als der erste Entwurf vorlag. Wo stehen wir denn heute, Anfang 2025. Ist in Ihrem Sinne und im Sinne der Expertinnen und Experten und Opferverbände nachgebessert worden?
Ich habe immer gesagt, das ist ein Gesetzentwurf mit Licht und Schatten, und die Schatten sind mir noch viel zu groß. Es waren gute Dinge drin, und es waren wesentliche Dinge nicht enthalten. Mir geht es auch um die soziale Lage der Opfer. Studien zeigen, dass fast die Hälfte der Betroffenen von SED-Unrecht an der Grenze zur Armutsgefährdung leben. Und es geht mir um die Gesundheitsschäden und auch um andere Dinge. Und darum kämpfen wir. Damit sind wir in der Politik im Gespräch. Und die Legislatur ist noch nicht zu Ende.
Haben Sie Hoffnung, dass sich bis zu den Wahlen noch etwas ändert?
Ich habe durchaus Hoffnung. Es gibt Gespräche, und wir werden sehen, ob es diese Legislatur noch schafft, einen verbesserten Entwurf der Gesetze zur Entschädigung oder Rehabilitierung der Opfer durchzubringen. Oder ob es sich durch den Ampel-Bruch zeitlich noch mehr verzögert. Aber auch da bin ich nicht pessimistisch. Wir stehen nicht mit leeren Händen da. Alles, was wir in den letzten Monaten erarbeitet haben, war gemeinsam mit Politikern, die durchaus auf unserer Seite stehen und auch bereit sind, sich über Parteigrenzen hinweg zu verständigen. Es gibt einfach ein Konsens über bestimmte Dinge. Und das sage ich auch immer wieder den Betroffenen, auch den Opferverbänden, die sich natürlich zahlreich an uns wenden.
Eines der Themen, um die gestritten wird, ist die Anerkennung von gesundheitlichen Schäden. Was schwebt Ihnen da vor?
Dass wir uns einen Mechanismus zu eigen machen, den es im Soldatenversorgungsgesetz gibt, nämlich dass im Auslandseinsatz geschädigte Soldaten automatisch, also ohne nachweisen zu müssen, was ihnen dort passiert ist, bei bestimmten Gesundheitsschäden in die Fürsorge kommen. Dort haben sie Schutz- und Schonfristen, wo dann ihre Situation geklärt wird. Wenn der politische Wille dafür vorhanden ist, ist es durchaus möglich. Denn der Staat hat eine Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten, gerade denen gegenüber, die im Ausland eingesetzt werden. Er hat aber auch, und das hat er bei Einigungsvertrag übernommen, eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber den Opfern der SED-Diktatur.
Am Mittwoch ist der 35. Jahrestag der Erstürmung der Stasi-Zentrale in Berlin. Was bedeutet es Ihnen heute im Rückblick?
Das ist eine der größten Errungenschaften der friedlichen Revolution, dem Staatssicherheitsdienst quasi die Akten zu entreißen. Und immerhin hat es die Grundlage dafür gelegt, dass die Akten und Dauer erhalten bleiben, die ja auch eine wichtige historische Quelle sind. Wir haben quasi Einblick durch sie in den Maschinenraum der Diktatur. Und nicht zuletzt sind die Akten wichtig, in Fragen von Rehabilitierung, Entschädigung. Die Täter schweigen und die Akten sprechen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Wolf Siebert, rbb24 inforadio. Dieser Text ist gekürzt und redaktionell bearbeitet. Das Original-Interview können Sie mit Klick auf das Audiosymbol am Artikelanfang nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.01.2025, 07:50 Uhr
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