Interview | #abgasalarm auf Leipziger Straße
Durch Tempo 30 sind die Stickstoffdioxid-Werte an der Leipziger Straße kaum gesunken - das zeigen Messungen von rbb|24 und Technischer Universität. TU-Experte Wolfgang Frenzel könnte sich vorstellen, dass am Ende des Experiments doch Fahrverbote stehen.
rbb|24: Herr Frenzel, überraschen Sie unsere Messergebnisse in der Leipziger Straße?
Wolfgang Frenzel: Nein, sie überraschen mich nicht. Die Werte sind deutlich über dem Grenzwert, wenn man das hochrechnet auf den Jahresmittelwert. Mit all den Einschränkungen, die es mit sich bringt, von einem Monat auf ein ganzes Jahr zu rechnen.
Die Senatsverwaltung kritisiert, dass unsere Messungen nicht nach ihren Kriterien erfolgt sind. Sind unsere Messungen aussagekräftig?
Ja, ich denke die Messungen sind aussagekräftig. Grundsätzlich wird dieses Messverfahren - das wir nutzen, das der Senat nutzt und das auch weltweit in vielen ähnlichen Messkampagnen genutzt wird - immer geringfügig modifiziert. Interne Vergleichskampagnen zeigen, dass die erzielten Messwerte vergleichbar sind mit den Messungen, die im offiziellen Umfeld gemacht werden.
Welchen Unsicherheitsrahmen hat die Messmethode von rbb und TU Berlin mit Passivsammlern?
Bei der Passivprobennahme muss man, wenn keine zusätzlichen Fehler gemacht werden, mit maximal 15 bis 20 Prozent Messunsicherheit im Vergleich zum gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren auf der Basis von Chemolumineszenz rechnen. Das ist auch das Ergebnis, das wir immer wieder erhalten, indem wir an den gleichen Messorten sowohl mit diesen Chemolumineszenz-Monitoren als auch mit Passivprobenahme messen. Im Ausnahmefall ist es möglich, dass ein Wert auch mal deutlich darüber oder darunter liegt, weil eben doch ein Fehler passiert ist. Aus diesem Grund messen wir mit mehreren Sammlern an einer Messstelle und haben ein relativ dichtes Messstellenetz, so dass wir nicht einen einzelnen Wert herauspicken. Wenn ein Wert auffällig in die eine oder die andere Richtung abweicht, dann ist im Nachhinein auch nicht feststellbar, was da vielleicht der Fehler gewesen sein könnte - ob zum Beispiel eine Baumaschine kurzzeitig ganz dicht neben einem Sammlern betrieben wurde. Das kann so einen Wochenmittelwert drastisch nach oben anheben.
rbb|24 und TU Berlin haben mit acht Passivsammlern auf der Leipziger Straße gemessen. Wie erklären Sie sich die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Messstellen?
Das ist etwas, das wir in Zukunft im Rahmen einer kleinen, hoch ortsaufgelösten NO2-Messkampagne weiter untersuchen werden. Es gibt eine Messkampagne in München in der Landshuter Allee, die gezeigt hat, dass Baulücken, Kreuzungen oder kleine Parkanlagen zu ganz erheblichen Veränderungen der mittleren NO2-Konzentration führen können. Wenn ich beispielsweise in einer Straße an zwei Orten messe – und am einen Messpunkt biegt eine kleine Straße ein, am anderen gibt es beidseitige gleichförmige Bebauung: Da können an dieser Einmündung durchaus lediglich 80, 60 oder gar 50 % Prozent weniger Stickoxide auftreten – auf Grund der Verdünnung der Luft. Die Modellierung von der Berliner Senatsverwaltung, die man im Fis-Broker im Internet [Geodatenkatalog des Berliner Senats] finden kann, spiegelt das auch wieder.
Können Sie beurteilen, was Tempo 30 in der Leipziger Straße bringt?
Nein, dazu fehlen mir zu viele Daten, was die Verkehrssituation in der Leipziger Straße angeht. Ich kann nur ein paar Dinge grob intuitiv nennen: Die Senatsverwaltung hat früher eine Auswertung beim Wechsel von Tempo 50 auf Tempo 30 in der Silbersteinstraße, in der Schildhornstraße und in der Beusselstraße vorgenommen. Das hat eine Minderung um circa sechs Mikrogramm und teilweise mehr ergeben. Aber ich denke, die Leipziger Straße ist nicht ohne weiteres vergleichbar mit der Verkehrsführung in der Schildhornstraße, der Silbersteinstraße und der Beusselstraße. Weil zum einen das Verkehrsaufkommen, glaube ich, noch höher ist, und es sehr viele Einmündungen und Ampeln gibt.
Ich glaube, dass in der Leipziger Straße Tempo 30 in der Rush Hour nicht wirklich einzuhalten ist. Ich behaupte nicht, dass die Leute schneller fahren - ich denke, man kann nicht mal Tempo 30 fahren. Da ist Stop-and-Go und da bleibt Stop-and-Go. Ich glaube, das war nicht der beste Ort, um die Minderungsmöglichkeiten zu demonstrieren. Aber ich bin sehr zuversichtlich für die drei anderen Straßenzüge Potsdamer Straße, Tempelhofer Damm und Kantstraße, die auch auf Tempo 30 gesetzt wurden bzw. werden sollen.
Die Leipziger Straße ist sowohl in der Modellierung als auch in den Messungen der Hotspot mit der höchsten Belastung. 2017 wurden dort im Jahresmittel 63 Mikrogramm Stickstoffdioxid gemessen. Mit allen möglichen Maßnahmen, die der Senat schon in Planung hat oder auch schon umsetzt - Stichwort Umrüstung von BVG-Bussen, Taxis und so weiter: Reichen diese Maßnahmen aus, um auf der Leipziger Straße unter den Grenzwert von 40 Mikrogramm zu kommen?
Wenn das Verkehrsaufkommen gleich bleibt und die Leute sich nicht andere Umwege suchen, glaube ich nicht, dass man auf unter 40 µg/m3 kommen wird. Das anzunehmen, ist nicht realistisch. Unter Kollegen gibt es das Gerücht, dass über weitere Maßnahmen nachgedacht wird: bedingte partielle Sperrungen für Autos, die die Euro-6-Norm real nicht erfüllen. Das, was jetzt Hamburg gemacht hat in dem kleinen Straßenabschnitt - das wird in Berlin womöglich auch gemacht werden müssen, um dann vielleicht die Grenzwerte wirklich einzuhalten.
Längerfristig kommt es durch die übliche Flottenerneuerung mit Euro 6 aber sowieso zu einer mittelfristigen Minderung der NOx-Emissionen. Die Prognose für 2020 bzw. 2022 ist durchaus positiv, aber eine berlinweite vollständige Grenzwerteinhaltung auch dann noch nicht realistisch.
Das Interview führte Dominik Wurnig
Sendung: Abendschau, 12.06.2018, 19.30 Uhr
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