Reaktionen auf Diesel-Konzept der Bundesregierung
Mit teils scharfer Kritik haben Politiker in Berlin und Brandenburg auf das Diesel-Konzept der Bundesregierung reagiert. In Potsdam ist von "Politikversagen" die Rede, und auch die Senatskanzlei ist nicht zufrieden. Den Beschlüssen fehle es an Verbindlichkeit.
Umtauschprämien für ältere Diesel und die Option auf Hardware-Nachrüstung bei bestimmten Modellen der Euro-5-Norm - so sieht das Diesel-Konzept aus, das die Bundesregierung am Dienstagmittag vorgestellt hat. Ziel ist es, die Stickoxid-Belastung in 14 besonders betroffenen Städten zu senken und auf diese Weise Fahrverbote für Dieselfahrzeuge zu vermeiden.
Doch viele Fragen sind noch offen, so zum Beispiel, ob die Autohersteller bei der Nachrüstung tatsächlich die gesamten Kosten übernehmen und welche Ansprüche Diesel-Fahrer in anderen Regionen Deutschlands geltend machten können. Auch in Berlin und Brandenburg stößt der Beschluss daher zum Teil auf heftige Kritik.
Allein in Berlin sind mehrere hunderttausend Autofahrer betroffen. Nach Angaben des ADAC Berlin-Brandenburg sind in der Hauptstadt aktuell 218.578 Diesel-Pkw unterhalb der Euro-6-Norm zugelassen. Das sind 18,2 Prozent des gesamten Pkw-Bestandes. In Brandenburg gibt es mit 308.247 Autos noch deutlich mehr Diesel unterhalb von Euro 6 (der Anteil am Gesamtbestand liegt dort bei 21,9 Prozent).
Setzt man diese Zahlen ins Verhältnis zur Zahl der Menschen, die aus Brandenburg nach Berlin pendeln, kommt man laut ADAC auf weitere rund 46.000 betroffene Dieselfahrer, so dass im Großraum Berlin rund 265.000 Diesel-Pkw unterwegs sind, die nicht die Euro-6-Norm erfüllen. Im Flächenland Brandenburg mit nur wenigen großen Städten ist die Stickoxid-Belastung allerdings nicht so dramatisch wie in Berlin.
In der Hauptstadt dagegen werden die zulässigen Stickoxid-Werte (40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft) an zahlreichen Verkehrsschwerpunkten regelmäßig überschritten. Das haben Ende 2017 Stickoxid-Messungen von rbb|24 in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin (TU) ergeben.
Aus Kreisen des Berliner Senats verlautete am Dienstag, das Diesel-Konzept könne "nur ein erster Schritt sein". Den Beschlüssen fehle es vor allem noch an Verbindlichkeit, hieß es auf Nachfrage von rbb|24. Aus Berliner Sicht hätten Hardware-Lösungen nach wie vor Priorität. Ob und wie diese realisiert werden könnten, müsse weiter diskutiert werden.
Harsche Kritik kam aus der Brandenburger Staatskanzlei. Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) hält den Kompromiss für "völlig unzureichend". Auch müssten die Kosten für mögliche Nachrüstungen von den Herstellern übernommen werden. "Die Sorgen der Millionen von Pendlerinnen und Pendler in Deutschland finden viel zu wenig Beachtung. Ich erwarte, dass die Autoindustrie für nötige Umrüstungen vollständig aufkommt", erklärte Woidke am Dienstag in Potsdam.
Verbraucherschutzminister Stefan Ludwig (Linke) ging noch einen Schritt weiter: "Dieses Maßnahmenpaket ist Politikversagen pur. Statt klar die Automobilhersteller in die Verantwortung zu nehmen, werden diese jetzt mit windigen Entscheidungen noch belohnt", teilte Ludwig mit. Umtauschprämien und Rabatte für Käufer neuer Fahrzeuge seien eine Beihilfe für die Industrie. "Der Käufer bezahlt deren Betrug dann doppelt", meinte Ludwig.
Ganz ähnlich äußern sich Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Fraktionschefin Antje Kapek hält die Beschlüsse für einen "Skandal". 14 Städte würden bevorzugt, alle anderen, darunter Berlin, lasse die Bundesregierung im Regen stehen. Das Kabinett habe es versäumt, den Autokonzernen harte Vorgaben zur Nachrüstung aller schmutzigen Dieselfahrzeuge zu machen, sagte Kapek.
Auch die Liberalen sind mit den Beschlüssen nicht zufrieden. Zwar gehöre Berlin erst einmal nicht zu den besonders betroffenen Städten, doch Nachrüstungen auf bestimmte Regionen zu beschränken, sei "nicht fair", erklärte Henner Schmidt, infrastrukturpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. "Denn auch in Berlin werden an einigen Stellen die Grenzwerte überschritten", fügte Schmidt hinzu. Der Senat bleibe daher aufgefordert, die Stickoxid-Emissionen zu senken, beispielsweise durch "digitale Verkehrssteuerung, städtebauliche Maßnahmen zur besseren Durchlüftung oder Erhöhung der Attraktivität von Ride Sharing und ÖPNV".
Mit Spannung wird nun die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes am kommenden Dienstag erwartet. Geklagt hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH), genau wie in 28 anderen Städten. Ziel der Klagen ist es, die Stickoxid-Grenzwerte der EU durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund bezeichnete die DUH den Diesel-Kompromiss als "doppelte Nulllösung" und als weiteren Beleg für die "wahren Machtverhältnisse in der Autorepublik Deutschland".
Die Hauptkritik der Umweltaktivisten richtet sich dagegen, dass "schmutzige Euro-5-Diesel-Pkw durch ebenfalls schmutzige Euro-6-Diesel-Pkw ausgetauscht werden können". Dies sei ein Kniefall der Bundesregierung, heißt es in einer DUH-Pressemitteilung.
Auch der Naturschutzbund NABU hält wenig von dem am Dienstag vorgestellten Kompromiss. Zwar habe sich Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) in der Frage der Hardware-Nachrüstungen gegen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) durchsetzen können, aber die Einigung bleibe "Stückwerk", erklärte NABU-Präsident Olaf Tschimpke - denn sie stehe unter dem Vorbehalt, dass die Hardware "verfügbar und geeignet" sein müsse. "Diese Formulierung ermöglicht der Automobilindustrie viel zu viel Interpretationsspielraum und die Möglichkeit, weiter auf Zeit zu spielen", fügte Tschimpke hinzu.
Sendung: Abendschau, 02.10.2018, 19.30 Uhr
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