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Video: Brandenburg Aktuell | 02.10.2018 | Ludger Smolka | Quelle: imago/Florian Gaertner/photothek.net

Einigung im Diesel-Streit

Koalition setzt auf Kaufanreize und Nachrüstungen

Nach langem Streit haben sich die Spitzen der Großen Koalition auf ein Konzept geeinigt, mit dem Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge verhindert werden sollen. Demnach sind sowohl Prämien für den Autotausch geplant, als auch Unterstützung bei Nachrüstungen.

Die Bundesregierung setzt zur Vermeidung von Fahrverboten in besonders belasteten Städten vor allem auf die Autohersteller. Diese sollen Angebote für Hardware-Nachrüstungen machen oder eine Umtauschprämie beim Kauf eines neuen oder gebrauchten Diesel-Fahrzeugs mit höherer Abgasnorm zahlen.

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"Das ist Politikversagen pur"

    

Das gab Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) am Dienstag in Berlin bekannt. Zuvor hatten sich die Spitzen der großen Koalition nach langen Verhandlungen auf einen entsprechenden Kompromiss geeinigt. Scharfe Kritik kommt von der Opposition, aber auch von Umweltverbänden und dem Kfz-Gewerbe.

14 "besonders betroffene Städte" - vorerst ohne Berlin

Die beschlossenen Maßnahmen gelten zunächst für 14 Städte, die von der Überschreitung der EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) "besonders betroffen" sind. Dabei handelt es sich um München, Stuttgart, Köln, Reutlingen, Düren, Hamburg, Limburg an der Lahn, Düsseldorf, Kiel, Heilbronn, Backnang, Darmstadt, Bochum und Ludwigsburg.

Dabei sollen jeweils auch die Bewohner der angrenzenden Landkreise einbezogen werden sowie Fahrzeughalter, die außerhalb dieser Gebiete wohnen und "ein Beschäftigungsverhältnis in der Stadt haben"; ebenso Selbstständige, die ihren Firmensitz in der Stadt haben und deswegen aus beruflichen Gründen in die Städte pendeln müssen, sowie Fahrzeughalter mit besonderen Härten.

In erster Linie dienen die Maßnahmen der Luftreinhaltung, in zweiter Linie geht es darum, Fahrverbote zu vermeiden. Denn solche Verbote drohen inzwischen in zahlreichen Städten, zum Beispiel in Frankfurt am Main, aber auch in Berlin - denn auch in diesen Städten sind Klagen anhängig, mit denen die Deutsche Umwelthilfe die Einhaltung des EU-Grenzwertes für Stickstoffdioxid (40 Mikrogramm/Kubikmeter Luft) durchzusetzen versucht.

Anreize zum Kauf neuerer Wagen

Um ältere Diesel von der Straße zu holen, sollen zum einen neue Kaufanreize geschaffen werden. Die deutschen Hersteller haben demnach zugesagt, für Besitzer von Wagen der Abgasnormen Euro 4 und Euro 5 "ein Tauschprogramm mit attraktiven Umstiegsprämien oder Rabatten" anzubieten. Summen werden in dem Papier nicht genannt. Im Vorfeld war von Prämien zwischen 3.000 und 10.000 Euro die Rede, je nachdem, welches Modell im Austausch erworben wird

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Dabei solle "der besondere Wertverlust, den Diesel-Fahrzeuge durch die Debatte um deren Schadstoffausstoß erlitten haben, ausgeglichen werden". Gekauft werden können Neuwagen und auch Gebrauchte. Von den ausländischen Herstellern würden vergleichbare Angebote erwartet.

Der Branchenexperte Stefan Bratzel rechnete am Dienstag mit etwa 2,5 Millionen Fahrzeugen, die umgetauscht und nachgerüstet werden können. Bei Aufwendungen zwischen 2.500 und 5.000 Euro pro Fahrzeug summierten sich die Kosten für die Autobauer damit auf sechs bis 12,5 Milliarden Euro. Allerdings profitierten sie teilweise auch vom Neuverkauf von Fahrzeugen, sagte Bratzel.

Abgasreinigung für Euro-5-Diesel - soweit verfügbar

Für Euro-5-Diesel soll als zweite Möglichkeit der Einbau sogenannter Stickoxid-Filter geprüft werden. Bei der SCR-Technik ("Selective Catalytic Reduction") handelt es sich um die vieldiskutierte Hardware-Lösung, die vor allem von der Opposition gefordert wird. Bei dieser speziell für den Diesel entwickelten Abgasreinigungstechnik werden Stickoxide so behandelt, dass Wasserdampf und Stickstoff entstehen. Diesel mit SCR-Technik erfüllen die seit September geltende Euro-6-Norm.

Wenn Besitzer eine solche Hardware-Nachrüstung wollen und solche Systeme verfügbar und geeignet sind, erwartet der Bund "vom jeweiligen Automobilhersteller, dass er die Kosten hierfür einschließlich des Einbaus übernimmt". Die Haftung sollen die Nachrüstfirmen übernehmen.

Kritik von Umwelthilfe und Kfz-Gewerbe

Kritik an den Beschlüssen kam von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Der Diesel-Kompromiss sei eine "doppelte Nulllösung" und ein "weiterer Beleg für die wahren Machtverhältnisse in der Autorepublik Deutschland". Die Hauptkritik der Umweltaktivisten, die derzeit in 28 deutschen Städten auf Durchsetzung der Stickoxid-Grenzwerte klagen, richtet sich dagegen, dass "schmutzige Euro-5-Diesel-PKW durch ebenfalls schmutzige Euro-6-Diesel-PKW ausgetauscht werden können". Dies sei ein Kniefall der Bundesregierung, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung der DUH.

Scharfe Kritik aus Potsdam und von der Berliner Opposition

In Berlin und Brandenburg ist das Dieselkonzept der Bundesregierung am Dienstag zum Teil scharf kritisiert worden. Der Berliner Senat bemängelt vor allem die Unverbindlichkeit der beschlossenen Maßnahmen und setzt weiter auf Hardware-Lösungen. Besonders scharf reagierte das Verbraucherschutz-Ministerium in Potsdam. Das am Dienstag vorgestellte Diesel-Konzept sei "Politikversagen pur", erklärte Verbraucherschutzminister Stefan Ludwig (Linke). Statt die Automobilhersteller in die Verantwortung zu nehmen, würden "diese jetzt mit windigen Entscheidungen noch belohnt". Umtauschprämien und Rabatte für Käufer neuer Fahrzeuge seien eine Beihilfe für die Industrie, ergänzte der Linken-Politiker. "Der Käufer bezahlt deren Betrug dann doppelt."

Kfz-Gewerbe kritisiert "Fleckenteppich" bei Nachrüstung

Auch der Zentralverband des Deutschen Kfz-Gewerbes (ZDK) begrüßt den Diesel-Beschluss nur teilweise. "Es war längst überfällig, den Weg der Hardware-Nachrüstung freizumachen", so ZDK-Präsident Jürgen Karpinski. "Die privaten und gewerblichen Halter dieser zum Teil noch jungen und langlebigen Fahrzeuge haben nun bald die Möglichkeit, deren Wertverlust zu mindern und die individuelle Mobilität aufrechtzuerhalten", ergänzte  Karpinski. Es sei allerdings ein Anachronismus, Deutschland bezüglich der Nachrüstförderung "in einen Flickenteppich unterschiedlicher Regionen aufzuspalten".

Quelle: Martina Springmann

Fahrverbote für ältere Diesel drohen auch in Berlin

Bereits nach dem Dieselgipfel von Bund und Autobranche 2017 hatten die deutschen Hersteller Prämien von bis zu 10.000 Euro aufgelegt. Diese nahmen mehr als 200.000 Kunden in Anspruch, wie es im Juli hieß. Dieser Effekt reichte der Regierung aber nicht.

Hintergrund für die neuen Maßnahmen ist, dass die Luft in vielen deutschen Städten zu hoch mit Schadstoffen belastet ist. Diesel-Abgase sind ein Hauptverursacher von hohen Stickoxid-Werten. Daher drohen Fahrverbote für ältere Diesel, auch in Berlin. In Hamburg sind schon zwei Straßenabschnitte für sie gesperrt. In Stuttgart ist 2019 ein großflächiges Einfahrverbot geplant. Kürzlich hatte ein Gericht auch Fahrverbote für die Innenstadt der Pendlermetropole Frankfurt am Main ab 2019 angeordnet.

Die EU-Kommission macht ebenfalls Druck und will Deutschland per Klage beim Europäischen Gerichtshof zur Einhaltung der Grenzwerte zwingen, die schon seit 2010 verbindlich sind. Um mögliche Fahrverbotszonen organisieren und kontrollieren zu können, will der Bund für besonders stark betroffene Städte einheitliche Rechtsregeln schaffen. Eine besondere Kennzeichnung etwa mit einer blauen Plakette sei dafür nicht erforderlich.

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