rbb exklusiv | Geheimplan der Umweltverwaltung
Die Berliner Umweltverwaltung prüft, ab 2020 auch viele Euro-6-Dieselautos mit Fahrverboten zu belegen. Das geht aus internen Unterlagen hervor, die dem rbb exklusiv vorliegen. Von Robin Avram und Dominik Wurnig
Wenn das Berliner Verwaltungsgericht am kommenden Dienstag Fahrverbote in der Hauptstadt anordnen sollte, könnten davon auch Besitzer von brandneuen Diesel-Autos der Schadstoffklassen Euro 6 a,b und c betroffen sein. Das geht aus internen Unterlagen der Berliner Umwelt- und Verkehrsverwaltung hervor, die dem rbb exklusiv vorliegen.
Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Bündnis 90/Die Grünen) bestätigte dem rbb entsprechende Überlegungen zu Fahrverboten und nannte 2020 als möglichen Zeitpunkt für die Einführung.
"Auch Euro-6-Fahrzeuge sind nicht sauber, sondern wir wissen ja, dass die Autoindustrie auch die Euro-6-Fahrzeuge so manipuliert hat, dass die Grenzwerte deutlich überschritten werden”, sagte Günther dem rbb am Freitag. "Auch die, die jetzt ein Auto austauschen, sind nicht sicher, dass sie mit dem Auto dann 2020 nicht doch ausgesperrt werden würden", so die Umweltsenatorin weiter. Ob Berlin im Jahr 2020 wirklich Euro-6-Diesel aussperrt, sei aber noch nicht festgelegt. Solch einen Beschluss könnte nur der Berliner Senat treffen.
Die Aussage der Senatorin hat dennoch eine hohe Brisanz: Denn nach dem Dieselgipfel 2017 nutzten viele Verbraucher die Kaufprämien der Autoindustrie, um ihren alten Euro-4- oder Euro-5-Diesel abzugeben und sich einen vergünstigten Euro-6-Diesel anzuschaffen.
Die Berliner Umweltsenatorin warnt nun Verbraucher, die im Rahmen des Diesel-Kompromisses der Bundesregierung neu aufgelegten "Umtauschprämien" zu nutzen, um sich ein Euro-6-Dieselauto anzuschaffen. "Nur Euro-6d-Fahrzeuge halten die Grenzwerte zuverlässig ein", schränkte Günther ihre Verbotswarnung ein.
Kommt ein Fahrverbot für Euro-a,b,c-Diesel, müssten betroffene Autofahrer mit erheblichen Wertverlusten für ihre Fahrzeuge rechnen. Nach jetzigem Stand könnten sie nicht einmal Umtauschprämien oder Hardware-Nachrüstungen in Anspruch nehmen. Der Diesel-Kompromiss der Bundesregierung sieht diese Angebote nur für Euro-4- und Euro-5-Dieselfahrer vor.
ADAC-Experte Jörg Kirst lehnt Fahrverbote für Euro-6-Fahrzeuge ab: "Mit Software-Updates kann man bei Euro-6-Fahrzeugen eine Schadstoff-Reduzierung um bis zu 50 Prozent erreichen, deshalb verstehe ich die Diskussion um Fahrverbote für Euro-6-Fahrzeuge nicht", sagte er auf Anfrage.
Konkret prüft die Umweltverwaltung nach rbb-Informationen Euro-6a,b,c-Fahrverbote an zwölf Straßenabschnitten in Berlin - darunter an der Leipziger Straße in Mitte. Die Senatsverwaltung hatte zuvor modelliert, wie stark die NO2-Belastung auf Berlins Straßen durch Software-Updates, Hardware-Umrüstungen für kommunale Fahrzeuge sowie Euro-5-Fahrverbote sinken würde. Die Berechnungen zeigen, dass selbst diese Maßnahmen nicht ausreichen, um in ganz Berlin den NO2-Grenzwert im Jahr 2020 einzuhalten. Das Verwaltungsgericht erwartet aber einen Plan, wie an allen Straßen Berlins zeitnah der EU-Grenzwert eingehalten werden kann. Messungen durch die TU Berlin und rbb|24 hatten bereits 2017 gezeigt, dass Berlin ein flächendeckendes Stickstoffdioxidproblem hat.
In einem internen Dokument der Umweltverwaltung mit dem Titel "Zeitplan Modellierungen" vom 18. Juli 2018 heißt es deshalb: "Nachdem ersichtlich wurde, dass ein Fahrverbot nur für Diesel-Pkw bis einschließlich Euro 5 nicht ausreichen wird, um den NO2-Grenzwert überall einzuhalten, (…) wurde letztendlich beschlossen, dass alle Diesel-Pkw bis einschließlich Euro-6c, welche hohe reale Fahr-Emissionen aufweisen, dem streckenbezogenen Fahrverbot unterliegen sollten."
Auf Nachfrage des rbb präzisierte der Sprecher der Umweltverwaltung: "Ein Beschluss im Sinne der Festlegung auf ein Fahrverbot wurde nicht gefasst. Es wurde lediglich festgelegt, dass Dieselfahrzeuge der Schadstoffklasse bis einschließlich Euro 6c bei der Berechnung eines Szenarios für Dieselfahrverbote mit einbezogen werden."
Die Verwaltung müsse nun noch prüfen, ob ein solches weitreichendes Fahrverbot verhältnismäßig und verursachergerecht sei. Außerdem müssten noch "die Umsetzbarkeit und die rechtlichen Rahmenbedingungen" berücksichtigt werden.
Sollte der Berliner Senat tatsächlich beschließen, Euro-6-Fahrzeuge ab 2020 auszusperren, wäre die Hauptstadt die erste Stadt in Deutschland, die ein solches weitreichendes Fahrverbot verhängt. Hintergrund der Überlegungen: Auch Dieselautos der Normen Euro 6a, b und c stoßen laut Umweltbundesamt im realen Fahrbetrieb im Schnitt bis zu sechs Mal mehr Stickstoffdioxid aus, als nach der Abgasnorm erlaubt. "Erst ab der Schadstoffklasse Euro 6d TEMP bzw. Euro 6d sind die Fahrzeuge im Realbetrieb sauber", heißt es beim ADAC.
Auch in einem Schreiben an das Berliner Verwaltungsgericht vom 30. Juli 2018 erläutert der Senat, dass Fahrverbote für Euro 6a, 6b und 6c geprüft würden, es müsse aber Übergangsfristen geben. Auf ein konkretes Datum, wann Euro-6-Fahrverbote eingeführt werden könnten, will der Senat sich in diesem Dokument nicht festlegen.
Wie lange die Übergangsfristen sein müssen, darüber hat bislang noch kein Gericht geurteilt. Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, fordert Euro-6-Fahrverbote schon ab 2019. Wie immer bei diesem Thema will die DUH selbst mit Klagen nachhelfen: "Wenn die Berliner Senatsverwaltung die Grenzwerte bis Ende nächsten Jahres nicht einhält, dann kommt natürlich der Antrag von uns, weiter zu verschärfen", kündigt der klagefreudige Umweltaktivist schon einmal an. Und setzt nach: "Ich hoffe dass Berlin mit gutem Beispiel vorangeht und gegebenenfalls als erste Stadt dann auch Euro-6-Diesel konsequent aus der Innenstadt aussperrt."
Sendung: Abendschau, 08.10.2018, 19.30 Uhr
Beitrag von Robin Avram und Dominik Wurnig
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