Kommentar | #abgasalarm
Berlin hat ein Abgas-Problem, das zeigen Messungen der TU Berlin zusammen mit rbb|24 in drastischer Weise. Warum wird also nichts unternommen gegen die Luftbelastung? Weil die Lobby der Betroffenen schwächer ist als die der Verursacher, meint Jan Menzel.
Berlin und die Luftverschmutzung – das ist wie "nichts hören, nichts sehen, nichts sagen". Sie wissen schon die drei Affen, die sich mit ihren Händen Ohren, Augen und Mund zuhalten. Zugegeben: Andere deutsche Städte sind ähnlich ignorant, aber das macht es ja nicht besser.
Die Luftverschmutzung durch Stickoxide ist nichts, was quasi über Nacht über uns hereingebrochen ist. Die Grenzwerte sind keine plötzliche Laune von Medizinern oder der Europäischen Union. Sie sind wissenschaftlich fundiert und seit langem bekannt. Vor neun Jahren von der EU erlassen, seit sieben Jahren in deutsches Recht umgesetzt. Und doch werden die Grenzwerte seit Jahren gerissen, gerissen und wieder gerissen - und nichts passiert. Warum? Die Antwort ist womöglich so zynisch wie brutal: Weil Kinder, alte Menschen und chronisch Kranke, diejenigen sind, die die Luftverschmutzung am stärksten trifft. Ihre Stimmen aber zu schwach sind, um wirklich gehört zu werden. Kollektives Aufjaulen löst nur das Schlagwort "Fahrverbote" aus.
Und sie könnten tatsächlich kommen. Weil die Politik - in erster Linie die Bundesregierung – sich verhalten hat wie ein Pate der Automafia. Weil seit Jahren systematisch gegen Recht und Gesetz verstoßen wird. Und weil Aktivisten das nicht länger hinnehmen wollen und die Gerichte bislang eindeutig geurteilt haben: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Artikel 2 des Grundgesetzes, gilt auch für Menschen an stark befahrenen Hauptstraßen. Interessanterweise wollen darüber viele, die sonst immer lautstark die volle Härte des Gesetzes und den zupackenden Rechtsstaats einfordern, hinwegsehen - so als könnten Gesetze nach Gutdünken mal gelten und mal nicht.
Wie immer die Gerichte voraussichtlich im Frühjahr entscheiden - Berlin hat mit der Umweltzone gezeigt: Eine Plakettenpflicht ist umsetzbar, Übergangsfristen sind möglich und bessere Luft kein Hexenwerk.
Es braucht einen langen Atem und einen Plan. Den ist die Stadt denen schuldig, die am meisten Dreck abbekommen, weil sie sich kein Haus im Grünen leisten können, sondern dort wohnen, wo der Verkehr besonders tost. Diese Menschen können nicht einfach Augen, Ohren und Nasen verschließen vor den Schadstoffen vor ihrer Haustür.
Sendung: Inforadio, 13.12.2017, 10:25 Uhr
Beitrag von Jan Menzel
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