Reaktionen auf rbb|24-Recherche
Rund 218.000 Diesel-Fahrer sind in Sorge: Sollte das Verwaltungsgericht Berlin am kommenden Dienstag der Klage der Umwelthilfe stattgeben, drohen massive Fahrverbote. Doch Verkehrssenatorin Günther glaubt, die Umweltzone für Diesel offenhalten zu können.
In wenigen Tagen entscheidet das Berliner Verwaltungsgericht über eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Wie in anderen Städten, wollen die Umweltaktivisten auch in Berlin Diesel-Fahrverbote durchsetzen - denn nur so könne der von der EU vorgegebene Stickoxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Quadratmeter Luft eingehalten werden.
Wie Recherchen des rbb zeigen, geht die Senatsverkehrsverwaltung offenbar davon aus, dass die DUH am kommenden Dienstag Recht bekommt. Daher plant sie bereits mit Fahrverboten auf insgesamt 20 Straßen oder Straßenabschnitten.
Ob es tatsächlich soweit kommt, sei allerdings offen, sagte Verkehrssenatorin Regine Günther am Freitagabend dem rbb. Die parteilose Politikerin, die nicht nur für den Berliner Verkehr, sondern auch für Umwelt und Klimaschutz verantwortlich ist und von den Grünen für ihr Amt nominiert wurde, geht davon aus, dass der innere S-Bahnring trotz drohender Fahrverbote für Diesel-Autos offen gehalten werden kann.
"Wir wissen ja noch gar nicht, ob es bei 20 Straßen bleibt, oder ob es vielleicht doch viel weniger sind", sagte Günther der rbb-Abendschau, denn es komme auf die Streckenkilometer an. Vor zwei Jahren habe es noch 60 Straßenkilometer mit Grenzwert-Überschreitungen gegeben, nun hoffe sie, "dass wir bis 2019/2020 das Ganze verkürzen können auf fünf bis zehn Kilometer - und damit das Problem deutlich reduziert haben." Aus diesem Grund glaube sie auch, "dass wir zonenbezogene Fahrverbote gar nicht brauchen, sondern uns - chirurgisch - auf Strecken konzentrieren".
Auf die Frage, ob sie ein Fahrverbot für die gesamte Umweltzone ausschließen könne, sagte Günther, dass die Maßnahmen laut Rechtsprechung "verhältnismäßig" sein müssten. Bei fünf Straßenkilometern könne sie "keine Verhältnismäßigkeit darin sehen", die gesamte Umweltzone für ältere Diesel dicht zu machen.
Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, sieht das allerdings ganz anders. Er hoffe, dass das Berliner Verwaltungsgericht "Klartext" spreche und keine Ausweichsverkehre und stärker belastete Nebenstraßen zulasse. "Wir müssen durch die Fahrverbote dafür sorgen, dass im Großraum Berlin die Dieselfahrzeuge entweder stillgelegt oder nachgerüstet werden", sagte Resch der rbb-Abendschau mit Blick auf die Euro-4- und Euro-5-Diesel.
Dagegen sieht der ADAC Berlin-Brandenburg das Verursacherprinzip verletzt: Von den Fahrverboten seien die Autohalter betroffen und nicht die Hersteller, sagte ADAC-Technik-Experte Jörg Kirst am Freitag dem rbb. Diese hatten durch Abgasmanipulationen dafür gesorgt, dass über erhöhte Stickoxid-Werte und Fahrverbote überhaupt diskutiert wird.
Die rbb-Recherchen hatten am Freitag zu sehr unterschiedlichen Reaktionen geführt. So geht der SPD-Verkehrsexperte Daniel Buchholz davon aus, dass die jetzt drohenden Fahrverbote auch bald umgesetzt werden. "Es sieht tatsächlich alles danach aus", sagte Buchholz am Freitag im rbb.Konkrete Lösungen müssten jetzt ausgearbeitet werden. Auf keinen Fall aber wolle man die gesamte Umweltzone, also den gesamten Bereich innerhalb des S-Bahn-Rings, für Diesel unterhalb der Euro-6-Norm sperren, beteuerte auch Buchholz.
In den vergangenen zehn Jahren, so Buchholz, habe es eine Art "Politikversagen" gegeben, weil ständig Grenzwerte beschlossen worden seien, die kein Auto habe erfüllen können - "und das müssen wir jetzt vor Ort ausbaden". Der Verkehrsexperte zeigt sich allerdings skeptisch, ob einzelne Sperrungen tatsächlich den gewünschten Effekt erzielen. "Eigentlich sind lokale Fahrverbote kleine Pflaster, die nur ganz wenig helfen", so Buchholz. "Denn wir erleben ja, dass dann der Verkehr durch andere Straßen geht." Um saubere Diesel, die die Euro-Norm 6 erfüllen, kenntlich zu machen, fordert er: "Wir brauchen dringend eine bundeseinheitliche blaue Plakette."
Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, wirft dem rot-rot-grünen Senat vor, mit Fahrverboten den Autoverkehr schädigen, stören und verringern zu wollen. Man bräuchte jetzt nicht über Fahrverbote reden, "wenn der Senat frühzeitig Staus auflöste oder die Verkehrslenkungsbehörde dazu beauftragt, die Baustellen schneller zu beenden und auch endlich dafür sorgt, dass der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wird."
Harald Moritz, Verkehrsexperte der Berliner Grünen, will erstmal prüfen, ob Tempo-30-Beschränkungen über einen längeren Zeitraum wirksam sind. Ansonsten müssten Fahrverbote verhängt werden. Dabei stellt Moritz infrage, ob ein Fahrverbot für einzelne Straßen sinnvoll ist. Man müsse sich fragen: "Ist dieser Flickenteppich nachvollziehbar oder sollte man nicht gleich die Umweltzone so ausweisen?"
Als "billige Lösung" bezeichnet Henner Schmidt, umweltpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, die drohenden Fahrverbote. Erstmal sollten andere Maßnahmen wie digitale Verkehrslenkung oder die schnellere Umrüstung von Bussen und Taxis umgesetzt werden. Als letztes Mittel machten streckenbezogene Fahrverbote aber Sinn. "Wenn der Verkehr sich andere Wege sucht und in die Fläche geht und überall die Grenzwerte erreicht werden, ist ja das eigentliche Ziel erreicht."
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