Facebook-Projekt "Ost Cola"
Junge Menschen mit den wilden Mähnen der 80er-Jahre stehen zwischen bröckelnden Fassaden: Beim Brandenburger Projekt "Ost Cola" sind die Erinnerungen an die DDR meist schwarz-weiß - aber alles andere als grau. Von Johanna Siegemund
17 "Gefällt mir"-Klicks nach einer Woche – und der Seitenadministrator ist stolz wie Bolle. So hätte die Geschichte der Facebook-Seite "Ost Cola" [facebook.com] enden können. Schließlich waren die Bilder, die Mathias Knoppe erstmals 2012 postete, lediglich Übungsaufnahmen aus seiner Lehrlingszeit als Fotograf in den frühen 80er-Jahren.
Darauf zu sehen: Ein paar Freunde und Bekannte aus Brandenburg/Havel mit hochgegelten Haaren und in Shirts. Die Fotos, die Hans Hoffmann oder Alexander Pollok noch beisteuerten, waren Aufnahmen aus der Stadt Brandenburg in den 1980er Jahren: angeschlagene Fassaden, leere Straßen, Passanten - aus der Hand geschossen, teilweise verwackelt, damals einfach so gemacht.
Doch es sollte anders kommen. Bereits nach wenigen Wochen und einem Zeitungsartikel hatte "Ost Cola" Tausend Facebook-Fans. 2013 gab es eine erste Ausstellung, zu der 1.500 Interessierte kamen. Es folgte ein Buch und weitere Ausstellungen, bis die "Ost Cola"-Partys schließlich zum größten Klassentreffen der Stadt wurden - original mit Ketwurst, Grilletta, 80er-Jahre-Musik und FDJ-Hemden. Das Projekt ist mittlerweile eine Institution in der Stadt. Und das alles nur, weil Mathias Knoppe eine kleine Kiste vom Dachboden holte.
Schuld war die Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Genervt vom eintönigen Fernsehprogramm und den grölenden Zuschauern beim Griechen nebenan, verzog sich Mathias Knoppe auf den Dachboden, um die letzten übrig gebliebenen Umzugskartons zu sortieren. So fand er auch einen Rollschrank wieder, gefüllt mit 10.000 Negativen aus seiner Lehrzeit als Fotograf. Knapp zwanzig Jahre nach der Wende fand er diese Aufnahmen witzig, so witzig, dass der mittlerweile professionelle Fotograf beschloss, die Bilder zu teilen – auf Facebook.
Der Name "Ost Cola" entstand laut Knoppe aus der Frage heraus: "Was ist denn das Groteskeste im Osten gewesen? Natürlich, dass viele auch Cola getrunken haben. Cola war ja eigentlich das Getränk des Westens - und das war so der Versuch, sich den Jugendlichen anzubiedern, uns im Osten auch Cola verkaufen zu wollen."
Die Seite, die im April 2012 online ging, bekam schnell großen Zuspruch. Von der Lokalzeitung, von Freunden und Bekannten aus der Stadt – wie dem ehemaligen Zeitungsvolontär Alexander Pollok und dem Pfarrerskind Hans Hoffmann, die ebenfalls ihre Fotografien für die Seite beisteuerten. Sie alle hatten das Leben in der Stadt Brandenburg festgehalten - ohne voneinander zu wissen und auch auf unterschiedliche Art und Weise. Während Knoppe eher Menschen fotografierte, porträtierte Hoffmann den Verfall in der Stadt und Pollok widmete sich Ereignissen, wie dem 1. Mai, oder berühmten Persönlichkeiten, wie Loriot. Daraus fügte sich ein umfassendes Bild der Stadt, das über zwanzig Jahre nach der Wende zu verblassen drohte.
10.000 Fans hat "Ost Cola" mittlerweile – das ist ein Siebtel der Einwohnerzahl der Havelstadt. Warum die Seite so erfolgreich läuft? Weil die Brandenburger ein bisschen vergessen hätten, was früher im Osten eigentlich war, sagt Knoppe. Das Land sei verschwunden, fügt Pollok hinzu, viele Sachen, die es damals gab, sind mittlerweile komplett anders. Er merke an sich selbst, dass man sich freue, wenn man die alten Gewürzgläser sehe - oder einen alten Wartburg.
Mittlerweile geht auch das auf der "Ost Cola"-Seite. Der Unternehmensberater Alexander Pollok hat die Seite verändert und um weitere geschichtsträchtige Aspekte erweitert. So geht es zum Beispiel auch um Gegenstände aus der DDR oder um die Vorkriegszeit. Menschen schicken mittlerweile fast täglich Bilder. Fast 40.000 Aufnahmen hat Pollok auf seinem Computer gesammelt.
Knoppe stieg nach der zweiten Ausstellung aus. Es sei ihm nach zwei Jahren zu viel Arbeit geworden, sein Fundus sei langsam erschöpft gewesen, sagt er. Trotzdem findet er es gut, dass es weiterhin die alljährlichen "Ost Cola"-Partys gibt – denn sie bringen die gebürtigen Brandenburger nach all den Jahren wieder zusammen. Aus ganz Europa kommen sie - manche davon im FDJ-Hemd - und tauchen mit alten Schulfreunden in ihre Jugendzeit ab.
Es ist eine Seite, die Spaß machen soll – ohne die damalige politische Landschaft zu verherrlichen. "Es geht uns um die Leute, die Jugendlichen, die Stadt an sich, die Gebäude, die Stadtansichten - aber nicht um die politischen Sachen", sagt Pollok. Dennoch komme es zu Meinungsverschiedenheiten. Diskutiert wurde zum Beispiel über die damalige SED-Bürgermeisterin Elvira Lippitz oder darüber, dass sich ehemalige Stahlwerksmitarbeiter über Fotos vom alten Stahlwerk freuten. "Wir wissen auch, dass es viele Umweltschäden hier gab, man konnte kaum baden gehen, die Seen waren verschmutzt. Bei schlechtem Wind war der Schnee in der Stadt schwarz", erzählt Pollok.
Auch das gehört zu Brandenburg/Havel, auch wenn man es sich heute kaum mehr vorstellen kann. Die Industriestandorte sind zurückgebaut worden, die Altstadt wurde saniert. In den sieben Seen kann man wieder Baden und Angeln gehen. Und dennoch sollen die Erinnerungen wach gehalten werden, sagt Pollok: "Es ist so, dass die Bewohner der Stadt auch gemerkt haben, dass sie stolz sein können auf ihre Stadt, weil ganz tolle Sachen passiert sind." Und das interessiert nicht nur die Älteren, sondern auch die jüngeren Generationen. Deswegen gibt es neben Facebook-Seite, zwei Büchern und zahlreichen Ausstellungen auch eine Instagram-Seite, die innerhalb von zwei Monaten um die 450 Follower hat.
Mathias Knoppe beobachtet "Ost Cola" mittlerweile aus dem fernen Hamburg. Manchmal fragt er sich, was passiert wäre, wenn er gewusst hätte, was damals keiner glaubte: Dass die Mauer irgendwann fällt und ein ganzes Land verschwinden wird. Mit seiner Kamera - einer "blöden Praktika" - habe er ja nur ganz naiv herumfotografiert: "Das waren Fotos, die man eben so macht, jeden Tag. Nur eben eine große Menge davon. Das, gemischt mit meinen Lehrlingsaufnahmen, hat ein merkwürdiges Bild vom Osten kreiert."
Fotografisch wertvoll sei das nicht unbedingt, aber inhaltlich schon. Denn nicht die Fassaden hätten die Stadt ausgemacht, sondern die Menschen, die in ihr lebten, schreibt der Musiker und Autor Torsten Gränzer in der zweiten Ausgabe von "Ost Cola". Sie seien weniger angepasst gewesen, als die DDR das sich vorgestellt habe. Und obwohl die meisten Bilder in schwarz-weiß sind, merkt man doch, dass die Stadt und besonders deren Menschen nicht ganz so grau gewesen ist, wie viele Brandenburger sie in Erinnerung hatten.
Sendung: Antenne Brandenburg, 22.10.2019, 14:10 Uhr
Beitrag von Johanna Siegemund
Artikel im mobilen Angebot lesen